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# taz.de -- Linkes Engagement in den US-Südstaaten: Wohin geht der Süden?
> Die Südstaaten der USA sind politisch großteils in den Händen
> erzkonservativer Republikaner. Aber langsam wächst der Widerstand.
Bild: Justin Pearson (Mitte) protestiert zusammen mit anderen Demonstranten im …
Memphis, Hattiesburg und Atlanta taz | Ein „Fundament aus Liebe, Säulen der
Gerechtigkeit, ein Dach aus Mut, und Türen, die offen sind für alle“ – es
waren große Metaphern, die der Abgeordnete Justin Pearson im Frühjahr
benutzte, als er ins Parlament von Tennessee zurückkehrte. So stelle er
sich das Repräsentantenhaus seines Bundesstaats vor, sagte der Schwarze
Demokrat. Die „Säulen“ formte er dabei mit den Händen, wie man auf den
Fernsehbildern sehen konnte. Für Jubel pausierte er in seiner Rede.
Die republikanische Mehrheit hatte Pearson und einen weiteren Schwarzen
Demokraten, Justin Jones, [1][am 6. April 2023 aus dem Parlament
ausgeschlossen.] Wegen „ungebührlichen Verhaltens“. Beide hatten den
Protest gegen zu laxe Waffengesetze ins Parlamentsgebäude in Nashville
getragen, nachdem ein Amokläufer drei Kinder und drei
Mitarbeiter:innen einer Grundschule ermordet hatte. Der Konflikt
machte Pearson, Jones und Gloria Johnson, eine dritte protestierende
Abgeordnete, als die „Tennessee Three“ international bekannt.
Ein Ausschuss seines Wahlbezirks Shelby County votierte einstimmig dafür,
Pearson sofort nach seinem Rauswurf wieder für den frei gewordenen
Parlamentssitz zu nominieren, [2][so dass er schon nach weniger als einer
Woche ins Repräsentantenhaus zurückkehren konnte.]
Seither wird er als progressiver Hoffnungsträger gefeiert. Pearson sei
charismatisch und habe eine enge Verbindung zu den Menschen in seiner
Heimatstadt Memphis, sagt etwa Tikeila Rucker von der Basisinitiative
„Memphis for All“. In seinen Reden knüpft Pearson, selbst Pastorenkind, an
den Stil von Predigern des progressiven Schwarzen Christentums an.
Bereits als Jugendlicher konfrontierte er die Schulbehörde von Memphis, um
bessere Unterrichtsmaterialien zu erreichen. 2020 organisierte er eine
Koalition, um den Bau einer Ölpipeline zu stoppen. Als das Projekt nach
Monaten des Widerstands tatsächlich aufgegeben wurde, war Pearson plötzlich
das Gesicht eines wundersamen Erfolgs. Mit dieser Geschichte im Rücken
kandidierte er schließlich fürs Parlament.
Pearson gilt als Ausnahmetalent. Aber er ist keine Einzelerscheinung.
Hinter dem Abgeordneten stehen soziale Bewegungen, die in den vergangenen
Jahren gewachsen sind. Ohne sie, das betont er selbst, wäre Pearson gar
nicht erst ins Parlament gelangt. Der Kampf der „Tennessee Three“ zeigt
aber auch: Im Süden der USA wächst der Widerstand gegen den konservativen
und zunehmend autoritären Status quo.
## ***
„Wohin der Süden geht, dahin geht auch die Nation“, lautet ein bekanntes
Zitat [3][des großen Schwarzen Soziologen W. E. B. Du Bois]. Im Schlechten
wie im Guten habe der Süden den Rest des Landes geprägt: von der
Sklav:innenhalterwirtschaft bis zum Widerstand der Schwarzen
Befreiungsbewegung. Du Bois ist 1963 gestorben, seinen Satz kann man aber
auch auf die Gegenwart übertragen: Robuste Mehrheiten lassen sich ohne den
Süden kaum organisieren. Ein politischer Wandel der USA weg von der
Dominanz der Rechtskonservativen wird ohne diese Region nicht erreichbar
sein.
Der Süden hat schon deswegen hohe Bedeutung für das Land, weil in keiner
Großregion mehr US-Amerikaner:innen leben. Laut Zensus sind es rund 130
Millionen, verteilt auf sechzehn Bundesstaaten und den District of Columbia
um die Hauptstadt. Die Harvard-Professorin Imani Perry nennt den Süden das
wahre „Heartland“ – üblicherweise eine Bezeichnung für den Mittleren
Westen.
In ihrem Buch „South to America“ erklärt Perry, dass die Sklaverei das
„Verhältnis der Amerikaner:innen zu Arbeit und Boden“ geprägt habe und
man die Geschichte des amerikanischen Kapitalismus somit nicht vom Süden
trennen könne. Wer die heutigen Machtverhältnisse verstehen wolle, müsse
deshalb südlich von Washington, D. C., ansetzen.
Der Süden werde in seiner Bedeutung oft verkannt, sagt auch James Thomas,
Soziologe an der Universität in Oxford, Mississippi. Das liege unter
anderem daran, dass viele Politiker:innen und Journalist:innen bei
Kategorien wie „ländlich“ oder „working class“ immer noch zuerst an We…
denken. Der Süden sei jedoch nicht nur die Region mit dem größten Schwarzen
Bevölkerungsanteil, sondern auch der ländlichste und ethnisch diverseste
Teil des Landes. „Der Süden ist kein überwältigend konservatives Gebiet“,
sagt Thomas. „Der Süden ist ein Ort, der heiß umkämpft ist.“
Die Region ist voller Widersprüche. Die Menschen hier sind durchschnittlich
ärmer als im Rest des Landes, und struktureller Rassismus bestimmt viele
Lebensbereiche. Gleichzeitig ist der Süden für Unternehmen besonders
attraktiv – niedrige Steuern und Löhne ziehen auch Autobauer wie Volkswagen
an. In vielen Vorgärten sieht man bis heute auch die Konföderierten-Flagge,
das Symbol der ehemaligen Sklav:innenhalterstaaten.
Christliche Kirchen mit extremen Ideologien haben im Süden besonders großen
Einfluss. Und fast flächendeckend regieren die Republikaner mit einem
zunehmend repressiveren Programm. Die Partei verbietet Abtreibungen,
schränkt das Wahlrecht ein, unterdrückt Gewerkschaften, erlässt
transfeindliche Gesetze. Wer nur diese Schlagzeilen verfolgt, kann vom
Süden die Vorstellung einer reaktionären Masse bekommen.
Zur Realität gehört aber nicht nur, dass viele Menschen unter der rechten
Politik leiden, sondern auch, dass viele Bürger:innen an den politischen
Prozessen gar nicht erst beteiligt sind. Bei den Kongresswahlen 2022 gab
weniger als die Hälfte aller Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In
Mississippi waren es nur 31,5 Prozent – nirgendwo sonst im Land ist die
Beteiligung so gering. Davon profitieren vor allem die Republikaner, die
schon länger darauf setzen, ihre überwiegend weiße Basis zu agitieren,
während ein großer Teil der Bevölkerung resigniert. „Minority Rule“ nennt
sich das: autoritäres Regieren trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit.
Aus genau dieser Konstellation ergibt sich aber auch das Potenzial für
politische Veränderungen.
## ***
In Memphis im Bundesstaat Tennessee lässt sich beobachten, dass Menschen
nicht nur resignieren, sondern sich auch politisch organisieren. Das liegt
vor allem an progressiven Gruppen, die die Basisarbeit leisten.
[4][„Memphis for all“] ist eine solche Initiative. Sie wurde im Dezember
2016 gegründet – einen Monat nach Donald Trumps Wahl zum Präsidenten.
„Viele wollten sich damals politisch einbringen, aber wussten nicht, wo“,
sagt Bennett Foster, der die Gruppe leitet.
Durch den Trump-Schock sei die Überzeugung gewachsen, dass sich auch die
Demokratische Partei wandeln müsse. Bernie Sanders’ linker Wahlkampf habe
ihnen zudem Mut gemacht, dass es anders gehen könne.
Foster, 38 Jahre alt, ein großer Mann mit braunen Haaren und kleinen
silbernen Ohrringen, sitzt in einem Sitzungsraum im Seitengebäude einer
Kirche. Sein Handy legt er kaum aus der Hand, tippt auf einem Laptop – mal
geht es um Flyer, die gedruckt werden müssen, mal darum, einen Raum für
eine Veranstaltung zu besorgen. Wie viele Städte des Südens hat Memphis
einen Demokraten als Bürgermeister und ist eine vergleichsweise liberale
Stadt. Die Stärke der republikanischen Partei kommt oft von den Weißen, die
in Vorstädten und auf dem Land leben.
Die liberale protestantische „First Congressional Church“ stellt Bennett
Foster und den anderen Aktivist:innen Räume zur Verfügung, das Geld für
die zehn Angestellten von „Memphis for all“ kommt aus Spenden.
Die Kirche liegt im Viertel Cooper-Young, zwischen szenigen Cafés. An den
Wänden hängen Bilder von Martin Luther King, der 1968 in Memphis ermordet
wurde. Foster, der hier aufgewachsen und einer der wenigen Weißen im Team
ist, sagt, dass das wichtigste Ziel der Initiative eine höhere
Wahlbeteiligung sei. Dafür ziehen die Mitglieder von Tür zu Tür, richten
Veranstaltungen aus, helfen bei der Registrierung.
„Wir mussten in den letzten Jahren viel dazulernen“, sagt Foster. Zum
Beispiel, wie elementar die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen sei. „Wir
gehen zu Gewerkschaftstreffen, um die Leute dort für die Wahl zu
mobilisieren. Die Gewerkschaften wiederum kommen zu uns, wenn sie Leute am
Streikposten brauchen.“ Ohne konkrete Themen ließen sich Wähler:innen
schwer motivieren. Die Initiative versucht deshalb, über politische Ziele
ins Gespräch zu kommen: eine staatliche Krankenkasse für alle, eine Reform
des Strafjustizsystems, mehr Schutz für Einwander:innen ohne Papiere
und ein strengeres Waffengesetz. Es sind genau die Dinge, für die auch
Justin Pearson kämpft.
Die Aktivist:innen in Memphis sind stolz auf den Abgeordneten, mit dem
sie eng zusammenarbeiten. Zugleich wissen sie, dass einzelne Lichtgestalten
auf Dauer wenig ausrichten können. „Wir wollen Tennessee politisch
umdrehen“, sagt die Aktivistin Tikeila Rucker. Sollte dieses Ziel
irgendwann erreicht werden, könnte das auch Auswirkungen auf die Politik in
Washington haben.
Für viele Reformen brauchen die Demokraten im hundertköpfigen US-Senat eine
Mehrheit von 60 Stimmen. Diese Mehrheit kann die Partei eigentlich nur
erreichen, wenn sie in Bundesstaaten wie Tennessee irgendwann auch
Senatswahlen gewinnt.
Bislang ist der Wandel im Süden vielerorts nur eine Andeutung. Doch
angesichts der schwierigen Bedingungen ist jeder Versuch aus Sicht
liberaler und linker Kräfte schon erfreulich. Das gilt nicht nur für die
Wahlpolitik, sondern auch für die Gewerkschaftsbewegung, die in den
vergangenen Jahren neuen Aufschwung bekommen hat. Bei Starbucks haben
Angestellte in zahlreichen Städten des Südens mittlerweile erreicht, dass
es eine gewerkschaftliche Vertretung gibt. In der Kleinstadt Bessemer in
Alabama kämpfen die Beschäftigten eines Amazon-Logistikzentrums seit 2021
für dieses Ziel. Mit der [5][Union of Southern Service Workers] gibt es
zudem eine neue Gewerkschaft, die Arbeiter:innen aus verschiedenen
Dienstleistungsjobs zusammenbringen will.
Diese Auseinandersetzungen haben besonderes Gewicht, weil fast überall im
Süden „Right to work“-Gesetze gelten: Arbeiter:innen haben meist keinen
Kündigungsschutz. Gewerkschaften wird verboten, verpflichtende
Mitgliedsgebühren zu verlangen. Im Süden sind daher nur 4,5 Prozent aller
Beschäftigten organisiert. Während jeder Vorstoß für eine stärkere
gewerkschaftliche Vertretung den progressiven Kräften Mut macht, ist er für
die einzelnen Arbeiter:innen immer auch ein Existenzrisiko.
## ***
Christina Jiménez nahm im März 2022 dieses Risiko auf sich. Sie streikte,
zum ersten Mal in ihrem Leben. Wie ihr Arbeitgeber, die Callcenter-Firma
Maximus, darauf reagieren würde, war unklar. Die Mitarbeiter:innen
hatten Angst, dass die Firma ihnen kündigen oder den Standort schließen
könnte. Und doch wagten Jiménez und rund 40 Kolleg:innen, von denen die
meisten ebenfalls Schwarze Frauen sind, den Streik. Wenn sie heute darüber
spricht, erinnert sich Jiménez vor allem an das Gefühl, etwas bewegen zu
können: „Bei meinem allerersten Streik habe ich meine Tochter mitgenommen.
Sie war zu der Zeit drei Jahre alt. Ihr zu zeigen, wie man für seine Rechte
eintritt, war fantastisch.“ Sie habe ihrer Firma zeigen können, „dass ich
nicht nur eine Zahl bin, sondern eine Stimme habe, dass ich nicht nur ein
Roboter bin, sondern ein menschliches Wesen“.
Jiménez ist 29 und hat drei Kinder, die sie allein großzieht. Sie wohnt in
Hattiesburg, einer mittelgroßen Stadt im Süden des Bundesstaats
Mississippi. Jiménez sitzt im Büro der Gewerkschaft CWA, die
Arbeiter:innen in der Telekommunikationsbranche vertritt. Sie wirkt
erschöpft, aber lächelt viel. Nur kurz hat sie Tränen in den Augen, als sie
erzählt, dass sie vor ihrem Umzug nach Mississippi in einem Obdachlosenheim
in Georgia gewohnt habe. Ein Leben „ganz unten in der Hierarchie“. Dieses
Bild benutzt sie mehrfach im Laufe des Gesprächs.
Der Job im Callcenter sei hart. Jiménez nimmt von 8.30 Uhr bis 17 Uhr
Anrufe entgegen, um Versicherte von Medicare, der staatlichen
Krankenversicherung für Rentner:innen, zu beraten. Ihr Arbeitgeber Maximus
ist eine private Firma, Auftraggeber ist aber die Bundesregierung, die sich
mit Mississippi einen Staat ausgesucht hat, in dem die Arbeit billig ist.
Manchmal werde sie beschimpft, sagt Jiménez. Einige Versicherte, die
verzweifelt seien, weil sie sich mehr Unterstützung gewünscht hatten,
hätten schon mit Selbstmord gedroht. Und wenn man sich gerade fangen müsse,
sei schon der Nächste in der Leitung.
Mehr als eine Handvoll „sick days“ habe sie am Anfang nicht gehabt. Das ist
eine feste Anzahl von Tagen, an denen Beschäftigte krank sein dürfen. Zudem
sei ihre eigene Krankenversicherung so mangelhaft, erzählt Jiménez, dass
sie neben dem monatlichen Beitrag von 900 Dollar, den sie für sich und ihre
Kinder aufbringen muss, auch für die meisten Behandlungen extra zahle. Sie
müsse sich oft entscheiden, ob sie sich „Licht, Wasser, Essen oder Benzin“
leiste – oder eben den Arzt für ein krankes Kind.
Sie arbeitete erst ein paar Tage in ihrem Job, als ihr das Management ein
Video zeigte, in dem vor Gewerkschaften gewarnt wurde. Klassisches „Union
Busting“, für das oft auch Rechtsanwaltskanzleien und Beratungsteams
angeheuert werden, um Mitarbeiter:innen einzuschüchtern. Weil jeder
Standort einzeln abstimmen muss, ob eine Gewerkschaft dort zugelassen wird,
bleibt dafür viel Raum. Allein Amazon gab im Jahr 2022 mehr als 14
Millionen Dollar für Anti-Gewerkschafts-Berater:innen aus.
Dreimal haben Jiménez und ihre Kolleginnen inzwischen gestreikt. Mit
Erfolg: Ihr Lohn ist von 11 auf 16 Dollar die Stunde gestiegen. Es gibt
auch mehr bezahlte Krankentage. Für Jiménez änderte sich darüber hinaus
ihre grundsätzliche Sicht auf politisches Handeln. „Ich war zu hundert
Prozent einer dieser typischen Menschen, die sagen: Warum soll ich wählen,
das ändert doch nichts“, sagt sie. „Aber je mehr ich in der Gewerkschaft
mitmache, desto klarer ist mir, wie wichtig Politik ist.“
Es ist diese Erkenntnis eigener Handlungsmacht, vor der nicht nur
Unternehmen Angst haben. Je mehr Menschen ihre Rechte am Arbeitsplatz
einforderten und ihre Resignation gegenüber der Politik aufgäben, desto
gefährlicher sei das für die gesamte „herrschende Machtstruktur im Süden�…
sagt der Soziologe James Thomas.
Politischer Wandel im Süden werde viel Zeit brauchen. „Ich glaube, es wird
erst noch schlimmer werden, bevor es wieder besser wird“, meint Thomas. Ein
zentrales Problem sei das „Gerrymandering“, bei dem Parteien die
Wahlbezirke für die Kongresswahlen so zuschneiden, wie es ihnen am meisten
nützt.
In Mississippi ist so die überwältigende Mehrheit der Schwarzen Bevölkerung
in einem einzigen Kongressbezirk vertreten, der an die Demokrat:innen
geht, während die anderen drei Bezirke eine weiße und konservative Mehrheit
haben. Ein anderes Mittel, mit dem die Republikaner:innen ihre Macht
verteidigen, sei Wahlbehinderung, sagt Thomas: komplizierte Vorschriften
bei der Registrierung oder das Schließen von Wahllokalen.
Hoffnung schöpft der Soziologe mit Blick auf die Vergangenheit: „Der Süden
war schon immer der Ort unserer radikalsten sozialen Bewegungen und der
radikalsten Formen des Widerstands, die bis in die Zeit der Versklavung
zurückreichen“, sagt er.
## ***
Wenn es in den USA derzeit einen Ort gibt, an dem verschiedene progressive
Bewegungen zusammenkommen, dann ist es Atlanta. In der Hauptstadt von
Georgia kämpfen seit Frühjahr 2021 Tausende Menschen gegen die Errichtung
eines Polizeitrainingsgeländes, das in einem Wald südlich der Stadt geplant
ist. Mit rund 350.000 Quadratmetern Fläche wäre es das größte im ganzen
Land. Mindestens 90 Millionen Dollar soll es kosten, ein großer Teil davon
durch Steuergelder finanziert. Eigentlich sollte [6][„Cop City“], wie die
Gegner:innen das Projekt nennen, schon fertig sein. Der Widerstand hat
es verzögert.
Wie breit die Bewegung gegen Cop City ist, wird an einem Samstag in einer
Vorschule im östlichen Teil von Atlanta sichtbar. Die Direktorin der
Highlander School, Rukia Rogers, hat die Aktivist:innen zu sich geholt,
weil sie von der Sache überzeugt ist. Wo normalerweise Kinder spielen,
treffen sich nun rund 30 Leute. Studenten, Eltern, Rentnerinnen. Sie
unterhalten sich, essen Wassermelone und Kekse und versammeln sich dann im
Kreis, wo eine junge Frau erklärt, wie man erfolgreich Unterschriften
sammelt.
In kleinen Teams werden sie später durch die Nachbarschaft ziehen. „Ich
glaube weiterhin, dass Cop City nie gebaut werden wird“, sagt die
49-jährige Rukia Rogers. Sie trägt ein blaues, weites Kleid und sorgt an
diesem Tag mit Scherzen dafür, dass die Stimmung optimistisch bleibt.
Dass die Proteste so intensiv sind, habe verschiedene Gründe, sagt sie. Ein
wesentlicher Punkt sei „die fortschreitende Militarisierung der Polizei“,
unter der vor allem Schwarze und arme Menschen leiden. 90 Prozent der in
Atlanta Festgenommenen sind Schwarz, obwohl sie etwas weniger als die
Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Auch in den Gefängnissen der Stadt sitzen
überproportional viele Schwarze – oftmals nur deshalb, weil sie sich die
Kaution nicht leisten können. Zum anderen gehe es um die Umweltzerstörung,
die mit Cop City verbunden sei, sagt Rogers. Teile eines Walds, wo früher
die indigene Gemeinschaft der Muskogee lebte, wurden bereits gerodet. Der
Wald gilt als eine der „vier Lungen der Stadt“, er kühlt und schützt vor
Fluten.
Kritiker:innen sehen das Projekt als typisch für den sogenannten
Atlanta Way, womit eine Kooperation der Schwarzen und weißen Oberschicht
zulasten der Arbeiter:innenklasse gemeint ist. Initiiert wurde das
Vorhaben durch die Polizeistiftung APF, die von Spenden großer Konzerne
lebt.
Bemerkenswert ist nicht nur die Hartnäckigkeit der Bewegung gegen Cop City,
sondern auch die Bandbreite ihrer Aktionen. Zeitweise hatten die
Aktivist:innen ein Protestcamp im Wald eingerichtet. Immer wieder
sabotierten sie die Bauarbeiten. Die Polizei reagierte zunehmend gewaltsam.
Gegen 61 Aktivist:innen laufen mittlerweile Verfahren wegen des
Vorwurfs der Bildung einer „kriminellen Vereinigung“. [7][Im Januar dieses
Jahres erschossen die Beamt:innen bei einer Razzia eine:n der
Besetzer:innen im Wald.] 57 Schüsse trafen „Tortuguita“, mit
bürgerlichem Namen Manuel Terán, eine 26-jährige nichtbinäre Person.
„Cop City“ wirkt wie eine Verdichtung verschiedener struktureller Probleme.
An der Protestbewegung sind deshalb neben radikal-linken Gruppen auch
zahlreiche Gewerkschaften, Klimainitiativen und andere
zivilgesellschaftliche Kräfte beteiligt.
Mehr als 100.000 Unterschriften wurden in den vergangenen Monaten
gesammelt, um ein Referendum zu erwirken. Das Projekt ist für die gesamte
amerikanische Linke von zentraler Bedeutung. Für die nächste Aktionswoche,
die Mitte November stattfinden soll, haben sich viele Aktivist:innen
aus anderen Städten angekündigt.
Und so gilt weiterhin: Was hier im Süden passiert – oder eben nicht –, kann
das ganze Land verändern.
12 Nov 2023
## LINKS
[1] /Nach-Rauswurf-zweier-US-Abgeordneter/!5927064
[2] https://www.spiegel.de/ausland/usa-abgeordnete-justin-jones-und-justin-pear…
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/W._E._B._Du_Bois
[4] https://www.memphisforall.com/
[5] https://ussw.org/
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Cop_City
[7] /Waldproteste-eskalieren/!5910106
## AUTOREN
Lukas Hermsmeier
Frauke Steffens
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