# taz.de -- Nahost-Konflikt in Deutschland: Das Gaslighting der Progressiven | |
> Wer nur Solidarität mit Menschen in Gaza zeigt, ist alles andere als | |
> fortschrittlich, sondern verfolgt das antiwestliche Programm der Hamas. | |
Bild: Abgerissene Solidaritätsplaktate als vermeintlicher Akt der Befreiung | |
Eigentlich wollte ich an dieser Stelle heute mit Ihnen eine Schweigeminute | |
für die Opfer der islamofaschistischen Hamas abhalten. Einen Monat war es | |
diese Woche her, dass ihre Schlächter in Israel eingefallen sind und rund | |
1.400 Kinder, Frauen und Männer grausam hingerichtet haben. Bis heute | |
konnten nicht alle [1][identifiziert] werden. Und natürlich ist die Zahl | |
der Hamas-Opfer seitdem noch drastisch gestiegen: weil sie sich hinter den | |
Menschen im Gazastreifen verschanzen, sie an der Flucht in den Süden des | |
Landstrichs hindern, sich weigern, die 240 Geiseln freizulassen. Es wäre | |
also Zeit, zu trauern – und zu schweigen. Wenigstens 140 Zeilen lang. | |
Dann fiel in diese Woche aber auch der 9. November und mir wieder ein, dass | |
tote Juden mit großem Pathos zu betrauern ja noch nie was verhindert hat. | |
Dass ich besser laut schreie für die, die leben. | |
Aber steht mir das als bayerische Agnostikerin zu? Ist es anmaßend, für | |
Menschen zu sprechen, deren Leid ich beobachte, und zwar mitfühlen, aber | |
nie wirklich teilen kann? Die Frage summt seit dem 7. Oktober in meinem | |
Kopf. | |
Gleichzeitig war es diese Woche 50 Jahre her, dass mein Vater aus der DDR | |
geflohen ist. Wo früher das taz-Gebäude war, am Checkpoint Charlie, kam er | |
im Westen an. Warum ich das erzähle? Weil er nicht nur der sozialistischen | |
Diktatur, sondern auch deren Art und Weise, den Antisemitismus der | |
Deutschen einfach für überwunden zu erklären, stinkwütend gegenüberstand. | |
Weil er mir außerdem den uralten, als Zombie weiterlebenden Judenhass der | |
Christen beim Abendessen fein säuberlich voranalysierte. Kurz: Ich kann für | |
niemanden sprechen als für mich, aber ich kann zum Hass auf Juden nicht | |
schweigen. Und dessen Ausmaß seit dem 7. Oktober macht mich fassungslos. Es | |
ist der Hass auf Juden, die sich weigern, tote Juden zu sein. Die sich | |
weigern, Opfer zu sein – was aber die einzige Währung ist, die in | |
sogenannten progressiven Kreisen zählt. | |
## Schwurbelei wie zu Corona-Zeiten | |
Selbst nach dem Pogrom vom 7. Oktober sind es Juden, die am Rande von | |
Pro-Hamas-Demos (sorry, um Palästinenser geht es keinem, der erst ein | |
Massaker an Juden braucht, um sich an die Lage der Menschen in Gaza zu | |
erinnern) [2][totgeschlagen werden], an [3][ihren Wohnungstüren mit Messern | |
attackiert]. | |
Und es sind gleichzeitig vermeintlich [4][kluge Köpfe, die an Universitäten | |
das Pogrom als Akt der Befreiung verherrlichen]. Die Poster der von der | |
Hamas Entführten abreißen. Diese sind ja deshalb so gruselig, weil sie sich | |
als solidarisch mit den Menschen in Gaza, als progressiv und intersektional | |
und feministisch gebärden und damit Gaslighting betreiben. Schwurbelei, wie | |
sie während Corona zu Recht als gefährlich gebrandmarkt wurde. Denn wer nur | |
solidarisch mit Menschen in Gaza ist, aber entführte, gefolterte und | |
verbrannte israelische Kinder nicht betrauern kann, ist alles andere als | |
progressiv, humanistisch, aufgeklärt. Der verfolgt, ob wissend oder nicht, | |
das antiwestliche Programm der Hamas. | |
Dasselbe Gaslighting betreibt, wer Israel zur Mäßigung und zur Einhaltung | |
des Völkerrechts ermahnt, aber nicht dasselbe von der Hamas fordert. Wer | |
eine Waffenruhe von Israel fordert, ohne einen vernünftigen Vorschlag zu | |
machen, wie die Hamas mit anderen als militärischen Mitteln besiegt werden | |
soll, dem dienen die Vokabeln Völkerrecht und Menschenrecht nur als | |
Feigenblatt. Denn mit der Hamas kann niemand verhandeln, sie hat kein | |
politisches Ziel. Sie ist ein Todeskult. Wem die unschuldigen Kinder, | |
Frauen und Männer in Gaza am Herzen liegen – und wem sollten sie nicht? –, | |
der muss helfen, sie von der Hamas zu befreien. | |
Es gibt ein wahnsinnig geistreiches Buch mit dem Titel „People Love Dead | |
Jews“, worin Dara Horn an einer Stelle gedanklich durchspielt, welche | |
Autorin aus Anne Frank geworden wäre, hätte sie überlebt. Sie kommt zum | |
bitteren Schluss: Für ihre Leser ist es sehr bequem, dass sie ermordet | |
wurde. So können sich alle an ihrem Glauben an das Gute in jedem Menschen | |
ergötzen: weil sie nicht mehr von denen berichten konnte, die es nicht | |
waren. | |
11 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=yMX6hJAQ34M | |
[2] https://www.spiegel.de/ausland/kalifornien-juedischer-mann-stirbt-nach-angr… | |
[3] https://www.welt.de/politik/ausland/article248367210/Frankreich-Juedin-in-L… | |
[4] https://www.nzz.ch/feuilleton/studentische-hamas-fans-die-den-progrom-feier… | |
## AUTOREN | |
Ariane Lemme | |
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