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# taz.de -- Autobiografie von Barbra Streisand: Ungefilterter Rückblick
> Eine Karriere gegen Misogynie und Antisemitismus: Sängerin und
> Schauspielerin Barbra Streisand hat mit 81 Jahren ihre Memoiren
> veröffentlicht.
Bild: Barbara Streisand auf einem undatierten Foto aus den sechziger Jahren
Ab einem gewissen Alter verlagert sich das Gewicht der Ereignisse aus der
Zukunft in die Vergangenheit: Was schon passiert ist, bekommt sukzessiv
eine größere Bedeutung, als was noch passieren könnte. Das scheint für
viele der richtige Zeitpunkt für eine Autobiografie zu sein. Angeblich
hatte die mittlerweile 81-jährige [1][Barbra Streisand] bereits vor zehn
Jahren angefangen, die ihre zu verfassen, ihr langes, ereignisreiches und
hochmusikalisches Leben niederzuschreiben – doch da war sie noch zu sehr
mit Schauspielen, Singen und Produzieren beschäftigt.
Während Corona hat sie die Zeit gefunden. Eine ganze Menge Zeit: „My name
is Barbra“, nach einigen nicht autorisierten Biografien die erste
Autobiografie der aus Brooklyn stammenden Künstlerin, ist mit über 900
Seiten so schwer, dass man das Buch bloß niemandem um die Ohren hauen
sollte.
Obwohl man das beim Lesen zuweilen gern machen würde. Nicht weil Barbras
beeindruckend minutiöse Erinnerungen, die in der bitteren Armut eines
One-Bed-Apartment beginnen, per se langweilig wären, keinesfalls.
## Seekrankes Frettchen wird sie genannt
Furios bringt die aus einer jüdischen Familie stammende Schauspielerin und
Sängerin bereits im Prolog ihrer Memoiren all die erlebte Misogynie, all
den furchtbaren Antisemitismus, all den kränkenden Lookismus auf den
Punkt, wenn sie auflistet, mit welchen Begriffen sie zu Beginn ihrer
Karriere bezeichnet wurde: Als liebenswerter Ameisenbär, als seekrankes
Frettchen, als kurzsichtige Gazelle. „Manchmal hatte ich das Gefühl, meine
Nase bekam mehr Presse als ich“, schreibt sie lakonisch.
Wie sehr sie die Beleidigungen wurmten, die sie als ehrgeiziges, unfassbar
talentiertes, aber nach den strengen, heteronormativen Regeln zu wenig
attraktives „Jewish girl“ ertragen musste, und wie stark das den Wunsch
nach einem anderen, glamourösen Bühnenleben evozierte, bildet den
Startpunkt für ihren ungefilterten, meist, aber nicht immer
chronologischen, umfassenden Rückblick.
Darin finden sich aufregende Bilder, die Sehnsucht nach einem mit
Retroclubs und Beehives garnierten New York der frühen 60er wecken – wenn
Barbra etwa ihre ersten Engagements als 18-Jährige in Schwulenclubs
erinnert und dabei in vestimentären Second-Hand-Funden schwelgt,
silberfarbene Samtkleider beschreibt, die sie in Thrift Stores ergattert
und stolz auf plüschigen Bühnen präsentiert, und zu denen sie olivgrüne
Papagello-Heels trägt.
Auch ihre Ausführungen zur Musik, zu den Songs, mit denen sie ihre Karriere
begann, allen voran „A Sleepin’ Bee“, Text von Truman Capote, Musik von
Harold Arlen, sind liebe- und stimmungsvoll.
## Schwieriges Mutter-Tochter-Verhältnis
Ihr schwieriges Verhältnis zur Mutter, die nach dem frühen Tod des Vaters –
er starb, als Barbra 15 Monate alt war – mittellos einen Mann heiratete,
dem „Kinder egal waren“, wie Barbra schreibt, zieht sich ebenfalls als nie
erfülltes Liebesverlangen durch das gesamte Buch. Denn eine
Wiederannäherung zwischen der gefühllosen Mutter und ihrer viel redenden,
trotzigen, unverschämt selbstbewussten Tochter gab es nie.
Doch nach ein paar Kapiteln voller mäandernder, dampfplaudriger
Erinnerungen, voller fast schon ungehöriger Namedroppings zeigen sich erste
Ermüdungserscheinungen. Denn die mit vielen, verwechselbaren Vornamen
gespickten Geschichten, so personell und inhaltlich unterschiedlich sie
auch sind, entbehren jeglicher Art von Spannungsbogen und laufen nach dem
immer gleichen Schema ab: Barbra möchte etwas (ein neues Engagement, eine
Rolle am Broadway, eine Rolle im Film, einen Mann), das ihr niemand
zutraut.
Aber sie zeigt, wie großartig sie ist. Und obwohl sie natürlich nie damit
rechnet, fallen ihr die Beteiligten bass erstaunt um den Hals und vor die
Füße, und schreiben ihre Bewunderung als Brief oder Nachricht nieder. Durch
das Buch ziehen sich unzählige solcher sich ähnelnden Liebesbeweise.
## Redford fand sie „wunderschön“
Robert Redford, mit dem sie 1973 in „The way we were“ spielte, schreibt:
„Ich fand sie wunderschön. Ich finde sie immer noch wunderschön. Diese
Schönheit ist umfassend und sie ist talentiert.“ [2][Omar Sharif,] der 1968
in ihrem Kinodebüt „Funny Girl“ über die Vaudeville-Künstlerin Fanny Bri…
den „Nicky Arnstein“ gab, schreibt: „Ich glaube nicht, dass ich im
Filmbusiness noch mal jemanden so liebe wie Barbra Streisand.“
Bill Clinton, mit dem sie sich Anfang der 90er anfreundete, schreibt: „Ich
bin dankbar, dass sie diese großartigen Filme inszeniert, produziert und
gespielt hat“. Henry Fonda, der sie in der Bühnenversion von „Funny Girl“
gesehen hatte, schreibt: „Ich schicke meine Kinder, damit sie von dir
lernen. Du bist schön. Ich liebe dich.“ Frank Sinatra: „Mit dir zu singen
hat einen Traum wahr werden lassen.“
## Minderwertigkeitskomplexe und Größenwahn
Und obwohl das alles sicher stimmt – die Gefühle ihrer Partner:innen, das
traumhafte Talent, die Stimme, die Schönheit, und der Grund für all die
unverblümte und zweifelsfreie Selbstbeweihräucherung ebenfalls
küchenpsychologisch Sinn ergibt, nämlich der klassische Mix aus früh
eingeimpften Minderwertigkeitskomplexen und daraus resultierendem
Größenwahn, wird klar: Manchmal, sogar bei Diven, wären Ghostwriter, die
Wichtiges von Unwichtigem trennen, eine Dramaturgie im Kopf haben und
Autor:innen vor Redundanz und Eitelkeit bewahren, vielleicht von
Vorteil.
18 Nov 2023
## LINKS
[1] /Barbra-Streisand-wird-75/!5399406
[2] /Tod-von-Omar-Sharif/!5212726
## AUTOREN
Jenni Zylka
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