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# taz.de -- Antisemitismus in London: Die Jagdsaison ist eröffnet
> Antisemitischer Vandalismus in London trifft selbst kleine jüdische
> Einrichtungen, auf Demos wird islamistisch gehetzt. Die Polizei geht kaum
> dagegen vor.
Bild: London sieht rot: Nach einem Pro-Palästina-Protest am 2. November
Eine antisemitische Wucht hat London getroffen. Seit den 1930er Jahren hat
diese Stadt nichts dergleichen erleben müssen. Damals trug Oswald Mosleys
British Union of Fascists (BUF) den Hass auf die Straße. Jetzt sind die
Antisemiten wieder in der Stadt, und sie haben sich gut verkleidet. Sie
tragen nicht mehr BUF-Schwarzhemden und beschränken ihre Aktivitäten nicht
auf das East End. Ihr Ziel ist die fotogene Innenstadt.
Perfekt organisierte Medienprofis karren sie aus ganz England herbei. Sie
mischen sich unter friedliche Demonstranten, um die Stimmung anzuheizen.
Attraktive Frauen kommen mit Chormeistern, die ihnen Hass-Lieder vorsingen.
Man trägt Paraglider-Tops, hält Plakate mit „Ich unterstütze die Hamas“,
„Sieg der Intifada“ und „Zionismus ist Rassismus“ hoch.
Mit roter Farbe werden „feindliche“ Gebäude angesprayt. Selbst kleine
jüdische Einrichtungen sind nicht mehr sicher: In der Nähe des Britischen
Museums befindet sich die Wiener Holocaust Library, die von dem deutschen
Emigranten Alfred Wiener gegründet wurde.
Der Journalist Daniel Finkelstein unterstützt die Bibliothek seines
Großvaters Alfred Wiener seit Jahrzehnten. Als sie am letzten Donnerstag
beschmiert wurde, schrieb er auf X: „Ich bin entsetzt über den
Graffiti-Angriff auf die Bibliothek meines Großvaters. Alfred Wiener
promovierte über den Islam. Das arabische Volk bedeutete ihm viel. Der
Vandalismus gegen sein Holocaust-Archiv legt einen Angriff auf Juden nahe
und nicht eine Kritik an Israel. Es ist bestürzend.“
Sadiq Khan im Wahlkampf 2016
Jüdische Londoner sind seit dem 8. Oktober alleingelassen. Auf Londons
Bürgermeister Sadiq Khan können sie nicht hoffen. Bei seinem ersten
Wahlkampf 2016 hatte er sie noch umworben: „Mir ist es wichtig, null
Toleranz gegenüber antisemitischen Taten zu zeigen. Ich werde dafür genug
Polizeiressourcen aufwenden.“
[1][Stattdessen wurde Khans Londoner Metropolitan-Polizei (MET) in den
letzten Jahren berüchtigt für Rassismus und Misogynie.] Der traurige
Höhepunkt an Inkompetenz zeigte sich in den letzten Wochen.
[2][Met-Polizisten unternahmen nichts gegen antisemitische Hassreden.] Als
bei einer Demo der islamistischen Hizb ut-Tahrir ein Redner fragte: „Was
ist die Lösung, um die Menschen aus dem Konzentrationslager Palästina zu
befreien?“, kam die singende Antwort: „Jihad! Jihad!“
Die Met sah zu und verkündete anschließend auf X, Jihad wäre ein arabisches
Wort mit mehreren Bedeutungen. Der Tweet schloss mit der
niederschmetternden Logik, aufgrund dieser Bedeutungsvielfalt läge kein
Hassverbrechen vor.
Plakate von Hamas-Geiseln
So viel Milde im Umgang mit Demonstranten ist für die Met eher
ungewöhnlich. [3][Als es bei den Krönungsfeierlichkeiten im Mai zu
friedlichen Protesten gegen König Charles kam, wurden Demonstranten sofort
einkassiert]. Jetzt beschäftigte sich ein Polizist lieber damit, Plakate
von Hamas-Geiseln zu entfernen. Die Fotos entführter Kinder und Babys
könnten ja „Hass“ auslösen. Damit liegt der Mann im Trend. Plakate von
Hamas-Geiseln werden in London regelmäßig abgerissen und müssen alle 48
Stunden wieder neu aufgehängt werden.
Bürgermeister Khan hat kein Robert-Habeck-Potenzial, er findet keine
versöhnlichen Worte für alle Londoner. Khan bereitet seine Wiederwahl für
2024 vor und denkt dabei an seine Hardcore-Wählerschaft. Er gehört deshalb
auch zu den Kritikern des Labour-Parteiführers Keir Starmer. Starmer hatte
versucht, sich von Jeremy Corbyn und dessen antisemitischen Gefolgsleuten
zu befreien. Starmers Verständnis für Israel und seine Bedenken gegen eine
Waffenruhe werden ihm jetzt von Khan und einer wachsenden Zahl von
Labour-Abgeordneten vorgeworfen. Sie drohen die Partei zu spalten.
Der nächste „Million March for Palestine“ ist für Samstag, den 11.
November, in London angesetzt. Der Tag hat eine besondere Bedeutung für die
Briten. Am 11. November gedenkt man traditionell des Endes des Ersten
Weltkriegs mit einer Schweigeminute. Laut einem der
Million-March-Organisatoren ist dies jedoch nicht mehr zeitgemäß. Im Ersten
Weltkrieg hätte die britische Balfour-Deklaration schließlich Juden eine
Heimat in Aussicht gestellt. Damit hätte alles angefangen. Man will
deswegen lieber wieder eine Runde „from the river to the sea“ singen.
7 Nov 2023
## LINKS
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[3] /Festnahmen-bei-Kroenung-in-London/!5930393
## AUTOREN
Karina Urbach
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