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# taz.de -- Orden für Johnsons Friseurin: Kein englischer Sommernachtstraum
> Boris Johnson kann richtig gut Ärger machen. Dazu gehören Partys mit
> äußerst schlechtem Timing oder gewünschte Ritterschläge für Friseurin und
> Oligarch.
Bild: Die Friseurin von Boris Johnson, Kelly Dodge, bekam einen Orden für beso…
In München findet das Oktoberfest ab 16. September statt, im englischen
Cambridge wird die „May Week“ im Juni gefeiert. Dieses Jahr wählten die
Studenten des Cambridger Pembroke College das Partymotto „In der Tiefe“. Es
gab U-Boot Pizzas, Meeresdekorationen mit Taucherhelm, und natürlich wurde
Céline Dions „Titanic“-Song „My Heart Will Go On“ gespielt.
Das Problem dabei: Zum Zeitpunkt des Festes lief eine Suchaktion nach der
„Titan“, dem Mini-U-Boot, das Tauchfahrten zum Wrack der „Titanic“ anbo…
In der „Titan“ saß auch ein ehemaliger Pembroke-Student, der Milliardär
Hamish Harding. Seine Cousine sagte der britischen Presse, sie wäre
entsetzt darüber, dass ausgerechnet Hardings ehemaliges College diese Party
ausgerichtet habe und sie hoffe, man hätte nicht auch noch „We all live in
a yellow submarine“ gespielt.
Den richtigen Ton zu finden, ist nicht immer einfach. Der junge
Oxford-Student Boris Johnson feierte 1985 seinen College-Ball unter dem
Motto „Party till you die!“. 35 Jahre später erneuerte er dieses
Versprechen. Die Partys, die er in der Downing Street während der Pandemie
feierte, brachten ihm einen Aufenthalt auf einer Covid-Intensivstation ein
und führten 2022 zu seinem Rücktritt als Premierminister. Im Juni 2023
[1][trat er dann auch noch als Abgeordneter zurück] und wurde Kolumnist der
Daily Mail.
In seinem ersten Artikel sinnierte er über seine fatale Leidenschaft für
Käse. Wie aufmerksame Leser sofort erkannten, handelte es sich um eine
recycelte Geschichte. Seine Käse-Cholesterin-Sorgen hatte er bereits 2001,
2004 und 2008 in Artikeln für den Daily Telegraph beschrieben. Aber trotz
dieser Käsemanie sollte man sein Potenzial, weiterhin Ärger zu verursachen,
nicht unterschätzen.
## Oligarch Lebedev zum Lord machen
Jeder Premierminister darf nach seinem Abgang eine „resignation list“
einreichen. Es ist eine Art Dankesliste, mit der man ehemaligen
Mitarbeitern und Parteispendern eine besondere Ehrung verschafft: einen
Order of the British Empire (OBE); eine Ritterwürde oder einen Sitz im
Oberhaus.
Das Haloc-Komitee des House of Lords, muss jedoch die Liste der
Vorgeschlagenen überprüfen und gutheißen. Boris Johnson hatte schon in der
Vergangenheit Probleme mit Haloc. Seinem Bruder Jo konnte er zwar einen
Sitz im Oberhaus verschaffen, aber als er 2020 [2][den russischen
Geschäftsmann Evgeny Lebedev zum Lord machen wollte], stellten sich die
britischen Nachrichtendienste quer. Sie misstrauten Lebedev, dessen Vater
ein ehemaliger KGB-Agent mit Milliardenvermögen ist. Johnson setzte sich am
Ende durch.
Die Gunst von Lebedev junior war ihm wichtig, denn der besitzt zwei
Zeitungen in Großbritannien: den Evening Standard und Anteile am
Independent. Während seiner Zeit als Bürgermeister von London wurde Boris
vor allem vom Evening Standard mit freundlichen Artikeln unterstützt.
Boris und Lebedevs transaktionale Beziehung folgte einer langen Tradition:
Schon der Labour-Premier Toni Blair hieß reiche Oligarchen in London
willkommen, und die gesamte britische Kultur- und Politikelite feierte bis
zum Überfall auf die Ukraine gerne mit Lebedev und Co.
Johnsons „resignation list“ forderte keine Ehrungen mehr für russische
Freunde. Aber sie überraschte auf andere Weise: Zuerst einmal wurde seine
Friseurin Kelly Dodge mit dem OBE, einen Orden für besondere Verdienste um
seine Haare, ausgezeichnet. Tatsächlich hat sie damit eine beneidenswerte
Marke geschaffen. Selbst Boris-Kritiker Michael Gove bewertet die Ehrung
als fair. Kelly habe schließlich „mehr Schnitte gemacht als jeder
Minister“.
Umstrittener ist jedoch die Erhebung einer 29-jährigen Boris-Mitarbeiterin
in das Oberhaus. Charlotte Owen wird demnächst als jüngstes Mitglied des
House of Lords über britische Gesetze debattieren dürfen. Laut Guardian war
sie vermutlich nur eine Mutterschaftsvertretung in Downing Street, die
jedoch in ihrer kurzen Karriere Boris politisch beraten durfte.
## Johnsons Kampfgefährtin Nadine Dorries
Weniger Glück als Charlotte hatte die ehemalige Kultusministerin Nadine
Dorries. Boris und Dorries waren jahrelang ein Bonnie-und-Clyde-Dreamteam.
Und er hatte seiner alten Kampfgefährtin ebenfalls den Einzug ins Oberhaus
versprochen. Das Haloc-Komitee lehnte Dorries jedoch ab (insgesamt wurden 8
von 15 Vorgeschlagenen abgelehnt, darunter auch Boris’ Vater, der ebenfalls
ein Lord werden sollte).
„Mad Nad“, wie die Satirezeitschrift Private Eye Nadine Dorries liebevoll
nennt, witterte dahinter eine Intrige von Premierminister Rishi Sunak und
drohte, als Abgeordnete zurückzutreten. Das hätte eine sofortige Nachwahl
in ihrem Wahlkreis ausgelöst. Sie scheint diese Drohung jetzt doch nicht
wahrzumachen. Aber Sunak stehen trotzdem drei Nachwahlen bevor, die seine
Partei mit großer Wahrscheinlichkeit verlieren wird.
Neben Boris hat im Juni auch Nigel Adams sein Mandat hingeschmissen, genau
wie der Abgeordnete David Warburton. Warburton trat jedoch nicht aus
Solidarität mit Boris zurück, sondern musste wegen einer Drogengeschichte
gehen. Im Parlament hatte er „die schreckliche Gewalt von Drogengangs“
angeprangert, privat hatte er Kontakt mit ihnen. Sunday-Times-Journalisten
veröffentlichten im Juni seine SMS-Nachrichten: „Arbeitet dein Dealer auch
in der Westminster-Bridge-Gegend?“
Es ist natürlich nicht allein das Verhalten von Johnson, Adams und
Warburton, das einen Wahlsieg von Labour 2024 immer wahrscheinlicher
erscheinen lässt. Die hohen Lebenshaltungskosten und die Streikwellen
beunruhigen die Briten sehr viel mehr.
Der englische Sommernachtstraum, er ist für dieses Jahr abgesagt worden.
5 Jul 2023
## LINKS
[1] /Nach-Boris-Johnsons-Parlamentsruecktritt/!5937376
[2] /Boris-Johnson-laesst-Medienmogul-adeln/!5706266
## AUTOREN
Karina Urbach
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