| # taz.de -- Jahrestage in Nordirland und im Irak: Karfreitag und kein Ostersonn… | |
| > Die BBC arbeitet die Verstrickung des Geheimdiensts MI6 in den | |
| > Nordirlandkonflikt und den Irakkrieg auf. Auch US-Regisseur Martin | |
| > Scorsese ist nicht weit. | |
| Bild: Nordirland, Februar 1972: ein Junge spielt mit einer Waffe | |
| Mit Terroristen verhandelt man nicht. Das war Premierministerin Margaret | |
| Thatchers Mantra. Es ist einleuchtend, denn welcher Staat will sich schon | |
| erpressen lassen? | |
| Tatsächlich zeigt die Geschichte jedoch, dass mit Terroristen immer wieder | |
| verhandelt wurde, diskret und über Kanäle, die man jederzeit verleugnen | |
| konnte. Auch Margaret Thatcher tat es. Ihr bester Mann in Nordirland hieß | |
| Michael Oatley. | |
| Wenn demnächst Joe Biden und Bill Clinton in Nordirland das 25-jährige | |
| Jubiläum des Karfreitagsabkommens feiern werden, dann müsste eigentlich | |
| auch Oatley auf der Bühne stehen. Doch die Arbeit des 87-Jährigen ist | |
| mittlerweile in Vergessenheit geraten. Offiziell kam Oatley 1973 zum ersten | |
| Mal nach Belfast, als Berater des Ministers für Nordirland. Oatleys | |
| wirklicher Auftraggeber war jedoch der britische Auslandsgeheimdienst MI6. | |
| Sein Ziel war es, Vermittler zu finden, mit denen man Kontakte zur | |
| provisorischen IRA aufbauen konnte. Und Oatley fand sie, obwohl es damals | |
| lebensgefährlich war, so einen undankbaren Job anzunehmen. | |
| Einer seiner „Backchannels“ wurde ein Pazifist namens Brendan Duddy | |
| (1936–2017). Duddy war nützlich, weil er einen Fish-and-Chips-Laden in | |
| Derry besaß, der von einem gewissen Martin MacGuinness (1950–2017) | |
| beliefert wurde. MacGuiness wiederum war seit 1972 ein führendes Mitglied | |
| der Provisiorischen IRA. Er und seine Freunde vertrauten Duddy. | |
| Aus diesem Grund trafen sich MI6 und [1][IRA-Leute] in Duddys engem | |
| Wohnzimmer in Derry – mit vielen Unterbrechungen – 20 Jahre lang. Duddy | |
| hatte mit Absicht das kleinste Zimmer im Haus für die Besprechungen | |
| gewählt, damit sich alle in die Augen schauen mussten. | |
| Zusammengedrängt verhandelten sie über Waffenstillstände und den Abbruch | |
| von Hungerstreiks. Duddys Tochter lauschte manchmal an der Tür, aber sie | |
| wusste, wie gefährlich es gewesen wäre, mit jemanden in der Schule darüber | |
| zu sprechen. | |
| ## Eine brutalisierte Zivilbevökerung | |
| Kidnappings, Folter und Erschießungen erschütterten während der „Troubles�… | |
| Nordirland und sorgten dafür, dass auch die Zivilbevölkerung brutalisiert | |
| wurde. Gegen alle Erwartungen legten Oatley, Duddy und McGuinness mit den | |
| Wohnzimmergesprächen trotzdem die Grundlage für den Waffenstillstand von | |
| 1994. Vier Jahre später konnte Premierminister Tony Blair das | |
| Karfreitagsabkommen zwischen Großbritannien und den Parteien Nordirlands | |
| und der Republik Irland abschließen. Er ist bis heute stolz darauf. | |
| Doch ein paar Jahre später ruinierte Toni Blair seine Reputation beim | |
| Ausbruch des Zweiten Irakkriegs unwiderruflich. Und dieses Mal versagte | |
| auch der Geheimdienst MI6. Während Oatley wichtige Friedensarbeit in | |
| Nordirland geleistet hatte, geschah jetzt das Gegenteil. Sir Richard | |
| Dearlove, Chef von MI6, versorgte Blair mit einem Kriegsgrund, um im Irak | |
| einzumarschieren – dem „September Dossier“ über Saddam Husseins angeblic… | |
| Besitz von Massenvernichtungswaffen. | |
| In der BBC-Radiosendung „Shock and War“ kommen zum 20. Jahrestag des | |
| Kriegsausbruchs jetzt viele der damals Beteiligten zu Wort, darunter auch | |
| Dearlove. Er ist sich immer noch keiner Schuld bewusst und wird von Toni | |
| Blair in Schutz genommen. | |
| Wir wissen dank dieser Interviews mittlerweile auch, dass die Blair-Leute | |
| von Bushs Kriegsidee zwar alles andere als begeistert waren, aber | |
| ernsthaft glaubten, durch Kooperation „mäßigenden Einfluss“ auf die | |
| Amerikaner ausüben zu können. | |
| Die Zeitzeugeninterviews der Sendung verdeutlichen auch, dass George Bush | |
| jr. schon lange vor dem 11. September 2001 einen Regimewechsel im Irak | |
| plante. Luis Rueda, damals Chef von CIA’s Iraq Operations Group, sagt dazu: | |
| „Wir hätten die Invasion auch gemacht, wenn Saddam Hussein nur ein | |
| Gummiband mit Büroklammer gehabt hätte.“ Die Terror-Katastrophe 9/11 wurde | |
| dabei sogar als störend empfunden. | |
| ## Die Mafiafilme des Martin Scorsese | |
| Von den Amerikanern ist das Irak-Debakel nie aufgearbeitet worden, während | |
| die Briten die Chilcot-Kommission einsetzten. Ihr Bericht wurde 2016 | |
| publiziert und verurteilte Blairs Handeln eindeutig. Bis heute gilt er | |
| deshalb als einer der unbeliebtesten Premiers Großbritanniens – trotz des | |
| Karfreitagsabkommens. | |
| Auf einen Karfreitag folgt eben nicht immer ein Ostersonntag, wie uns | |
| bereits der Regisseur Martin Scorsese gezeigt hat. Scorsese wuchs als | |
| Katholik auf und drehte viele brutale Mafiafilme. | |
| Als er Jahrzehnte später seinen alten Priester wiedertraf, musste er sich | |
| harsche Kritik anhören: „Deine Filme zeigen zu viel Karfreitag und nicht | |
| genug Ostersonntag!“ Scorsese lobte Besserung, [2][aber seine Filme blieben | |
| brutal.] Es war einfach realistischer. | |
| 5 Apr 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Karina Urbach | |
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