Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Arabischer Israeli über die Zukunft: „Es gibt genügend Platz f�…
> Thabet Abu Ras ist Palästinenser, Israeli und Friedensaktivist. Er blickt
> auch nach dem 7. Oktober zuversichtlich auf eine Zweistaatenlösung.
Bild: „Juden und Araber werden am nächsten Tag weiter zusammenleben.“
wochentaz: Herr Abu Ras, Sie sind palästinensischer Israeli und
Friedensaktivist. Ein Teil Ihrer Familie lebt in Gaza. Wie geht es Ihnen
gerade?
Thabet Abu Ras: Ich bin ein palästinensischer Bürger im Staat Israel. Ich
gehöre also zu denen, die zwischen den Stühlen sitzen, weil ich
gleichzeitig Palästinenser und Israeli bin. Diese Doppelidentität ist in
diesen Tagen besonders kompliziert. Ich bin hin- und hergerissen zwischen
meinem Dasein als israelischer Staatsbürger, der sich furchtbar fühlt,
weil ich einige Freunde durch die Gräueltaten der Hamas am 7. Oktober
verloren habe, und gleichzeitig habe ich Verwandte und Freunde in Gaza
durch die Luftangriffe der israelischen Luftwaffe verloren.
Sie sind als Co-Direktor der jüdisch-arabischen Organisation Abraham
Initiatives darum bemüht, den Graben zwischen jüdischen und
palästinensischen Israelis zu überbrücken. Wie beurteilen Sie die
Situation?
Dieser Krieg hat die Kluft, die es immer schon gab, weiter auseinander
gerissen. Er hat uns in unseren Integrationsbemühungen zehn, fünfzehn
Jahre zurückgeworfen und wir befinden uns in einer sehr gefährlichen
Situation.
Wir, die arabische Minderheit, haben in der israelischen Gesellschaft viel
zu verlieren, wir wissen, dass wir nicht gleichberechtigt sind. Die
Situation in Israel ist gerade sehr fragil. Itamar Ben Gvir und Bezalel
Smotrich …
… zwei extrem rechte Minister im Kabinett Netanjahu …
… und mit ihnen Siedler und Faschisten innerhalb der israelischen
Gesellschaft versuchen jetzt, die arabisch-jüdischen Beziehungen in den
gemischten Städten und in anderen Regionen auseinanderzureißen, so wie
während des letzten Krieges im Mai 2021. Wir haben gesehen, was in Netanja
mit den arabischen Studierenden passiert ist.
Dort versuchte Ende Oktober eine Gruppe von jüdischen Israelis, in ein
Studentenwohnheim einzudringen, in dem palästinensisch-israelische
Studierende lebten. Viele von ihnen riefen „Tod den Arabern“.
Wir von den Abraham Initiatives haben Koordinatoren für sozialen
Zusammenhalt, die in fünf verschiedenen Städten daran arbeiten, Juden und
Araber zusammenzubringen. Sie organisieren auch Freiwillige, die auf den
Straßen patrouillieren, um jegliche Provokation durch Araber oder Juden zu
verhindern. Die Situation ist gefährlich. Aber wir haben gleichzeitig viel
Kraft und Unterstützung. Und wir sind dabei, mit den öffentlichen
Meinungsbildnern in der arabischen und der jüdischen Gemeinschaft zu
sprechen, dass sie öffentliche Erklärungen abgeben.
Staatspräsident Itzhak Herzog, der Oppositionspolitiker Benny Gantz, die
arabischen Politiker Ayman Odeh, Mansour Abbas und Ahmed Tibi – sie alle
erinnern daran, dass wir am nächsten Tag weiter zusammenleben werden. Juden
und Araber sind hier, um zu bleiben. Ich glaube also nicht, dass es Ben
Gvir gelingen wird, die gemischten, arabisch-jüdischen Städte aufzustacheln
wie im Jahr 2021.
Woher nehmen Sie Ihre Zuversicht?
Ich sehe es ja täglich. Ich bin mit den Führungspersonen in verschiedenen
Ortschaften im Gespräch. Ich muss sagen, dass auch die Bürgermeister aus
dem rechten Spektrum, viele von der Likud-Partei, in den gemischten Städten
gerade alles dafür tun, um Zusammenstöße zu vermeiden. Die Bemühungen des
israelischen Sicherheitssystems liegen jetzt im Süden. Außer der extremen
Rechten ist derzeit niemand an einer Eskalation innerhalb von Israel
interessiert. Eben diese extreme Rechte verliert jedoch auf allen Ebenen an
Boden. Die Regierung wird, glaube ich, sehr bald gestürzt werden.
Sie glauben, dass Netanjahu, der sich mit aller Macht an sein Amt klammert,
nicht mehr lange regieren wird?
Ja. Der öffentliche Druck ist riesig. [1][Netanjahu wird nicht weitermachen
können]. Die arabischen Politiker sind Teil des Drucks. Es gibt im Moment
viel Koordination zwischen arabischen und zionistischen Parteien wie der
von Benny Gantz und Yair Lapid, um die politische Realität in Israel zu
verändern.
Welche Vision haben Sie für Gaza?
Ich glaube, dass Israel eine friedliche Lösung finden muss, um die Geiseln
zu befreien, Gefangene auszutauschen, die Hamas zu entwaffnen und eine
internationale Friedenskonferenz einzuberufen, die zur Gründung eines
unabhängigen und souveränen palästinensischen Staates an der Seite Israels
führt. Es gibt Lösungen, die beide Parteien mit dem Engagement der
internationalen Gemeinschaft und der arabischen Welt finden können. Wir
können nicht damit fortfahren, Gaza auszulöschen. Zumal Israel vielleicht
eine Art Sieg über die Hamas erringen kann, aber die Hamas wird sich nicht
auslöschen lassen. Man muss nur an das soziale Netzwerk der Hamas denken
und an ihre Zweige in all den Flüchtlingslagern und Städten in Gaza. Auch
im Westjordanland stehen die meisten Bürgermeister der Ideologie der Hamas
nahe.
Aber würde die Hamas einer solchen Lösung zustimmen?
Ich glaube, dass die Gesellschaft des Gazastreifens der Zerstörung müde
ist. Sie sind der Kriege überdrüssig. Sie würden gerne Hoffnung sehen.
Möglicherweise hat die Hamas das jetzt verstanden. Und dass sie Kompromisse
eingehen sollte.
Was soll mit den israelischen Geiseln geschehen, die sich in den Händen der
Hamas im Gazastreifen befinden?
Die Hamas sollte alle zivilen Geiseln bedingungslos freilassen. Sofort.
Damit blieben noch einige Dutzend israelische Soldaten als Geiseln, und die
sollten im Austausch für palästinensische politische Gefangene freigelassen
werden.
Auch im Westjordanland verschärfen sich die Fronten derzeit.
Seit Anfang des Jahres sind über 300 Palästinenser im Westjordanland
getötet worden. Siedlungen werden auf Kosten der Palästinenser ausgebaut.
Derzeit erleben wir die erzwungene Umsiedlung von einigen
Palästinenser*innen aus ihren Dörfern. Wir sehen, wie die Siedler
Palästinenser bei der Olivenernte angreifen und einen von ihnen getötet
haben. Es gibt also tatsächlich viel jüdischen Terror im Westjordanland.
Und das hat überhaupt nichts mit der Hamas zu tun.
Wie kann eine politische Lösung nach den jetzigen Ereignissen aussehen? Hat
es noch Sinn, sich auf die Zweistaatenlösung zu berufen, oder kann sie in
die Mottenkiste?
Wir können uns nicht erlauben, die Zweistaatenlösung zu entsorgen. Doch die
klassische Zweistaatenlösung funktioniert nicht mehr. Wir müssen zwei
unabhängige, getrennte Staaten gründen, als Ausdruck der Selbstbestimmung
beider Gruppen. Doch dabei müssen mehrere Probleme gelöst werden: Die
Siedlungsproblematik, die Flüchtlingsfrage, Jerusalem. Um die zu lösen,
müssen wir kreativer denken. Deswegen glaube ich an die Initiative „Zwei
Staaten – ein Heimatland“, die ich mit begründet habe. Wir gehen davon aus,
dass es zwei Staaten geben muss, aber dass das geografische Gebiet zwischen
dem Jordan und dem Mittelmeer das Heimatland der Palästinenser und der
Juden ist. Im gesamten Gebiet sollten sich alle Bewohner uneingeschränkt
bewegen dürfen. Es gibt genügend Platz für alle.
Viele Friedensaktivist*innen haben nach dem 7. Oktober ihre Hoffnung
verloren. Sie nicht?
Ich bin – auf schreckliche Weise – nach dem 7. Oktober hoffnungsvoller als
vorher. Die Ereignisse sind ein Weckruf für die Palästinenser, die Israelis
und die internationale Gemeinschaft, um einen dauerhaften Frieden zu
erreichen – für mein Volk, die Palästinenser, und für mein Land, Israel. Es
gibt so unsagbar viel Schmerz, viel Leid für Israelis wie Palästinenser,
aber es gibt keinen anderen Weg, als Frieden zwischen den beiden Parteien
zu schließen. Frieden wird unter Feinden geschlossen, nicht unter Freunden.
Es handelt sich um einen politischen Konflikt, der auf politischem und
friedlichem Wege gelöst werden sollte. Wir müssen sicherstellen, dass Gaza
nie mehr eine Bedrohung für Israel sein wird und gleichzeitig müssen wir
fünf Millionen Palästinensern im Gazastreifen und im Westjordanland
Hoffnung geben. Deshalb hoffe ich, dass die USA und mit ihnen die
internationale Gemeinschaft eine internationale Friedenskonferenz leiten
werden, die einen palästinensischen Staat an der Seite Israels
hervorbringt.
5 Nov 2023
## LINKS
[1] /Moshe-Zimmermann-ueber-den-Nahost-Krieg/!5966884
## AUTOREN
Judith Poppe
## TAGS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Israel
Gaza
Palästina
Benjamin Netanjahu
Hamas
antimuslimischer Rassismus
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
BDS-Movement
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Hamburg
Benjamin Netanjahu
Israel
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Antimuslimischer Rassismus: Wie gehts euch seit dem 7. Oktober?
Die Debatte nach dem Hamas-Anschlag trifft Menschen mit palästinensischem
Hintergrund mit Wucht. Drei Berliner*innen erzählen aus ihrem Alltag.
Debatte um den Nahost-Konflikt: „Ich werde nicht mehr gesehen“
Politiker fordern von arabischstämmigen und muslimischen Menschen, sich von
Terror zu distanzieren. Das schließt sie aus, sagt Raid Naim.
Krieg in Nahost: Ausländer raus, Hilfen rein
Weitere Deutsche haben das Kriegsgebiet verlassen. Derweil gehen die
Bemühungen weiter, die humanitäre Krise in Gaza zu lindern.
Zensur wegen BDS-Nähe: Verbote sind hier fehl am Platz
Die Berliner Kulturverwaltung überlegt, einem Veranstalter die Förderung zu
entziehen, weil er der „Jüdischen Stimme“ Raum gibt – eine schlechte Ide…
Jugend im Westjordanland: Träumen, trotz Krieg
Der Krieg in Gaza lässt auch die Konflikte im Westjordanland mit neuer
Heftigkeit aufbrechen. Wie blickt die junge Generation dort in die Zukunft?
Debatte über den Nahost-Konflikt: Die Stimmen der Betroffenen fehlen
Bei der Debatte hierzulande geht es oft mehr um die deutschen Gefühle als
um die israelischen oder palästinensischen. Wir sollten die Diskussion
öffnen.
Fünf Szenarien für den Gazastreifen: Gibt es eine Lösung?
Gazas Zukunft ist seit dem Beginn von Israels Offensive ungewiss. In
Verhandlungen und in einem Arbeitspapier zeichnen sich aber Szenarien ab.
Krieg im Nahen Osten: Die Risse vertiefen sich
Extremisten schüren den Hass zwischen Israelis und Palästinensern. Am Tag
nach dem Krieg ist die Zivilbevölkerung gefragt, den Frieden neu
anzutreiben.
Proteste in Israel: Orthodox und gegen Bibi
Vor allem in Tel Aviv ist der Protest gegen die rechtsreligiöse Koalition
Israels stark. Doch auch bei Siedlern formiert sich Widerstand.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.