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# taz.de -- Wissenschaftsfreiheit gestärkt: Kriminologie braucht Vertraulichke…
> Die Staatsanwaltschaft hat kriminologische Forschungsinterviews
> beschlagnahmt. Das war unzulässig, sagt das Bundesverfassungsgericht.
Bild: Forschungsfreiheit der Kiriminologie: Interviews mit inhaftierten Islamis…
Freiburg taz | Kriminologische Forscher:innen haben in der Regel ein
Zeugnisverweigerungsrecht über ihre Gespräche mit Straftäter:innen. Das
entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht und verwies auf die
Wissenschaftsfreiheit. Konkret ging es um ein Forschungsprojekt an der
Universität Erlangen-Nürnberg. Der Psychologieprofessor Mark Stemmler
untersuchte die „Islamistische Radikalisierung im Justizvollzug“.
Dabei führte er auch Interviews mit inhaftierten Islamisten und sicherte
ihnen Vertraulichkeit zu. In einem Informationsschreiben hieß es: „Wir
haben Schweigepflicht und dürfen der Gefängnisleitung oder anderen
Bediensteten nichts von dem erzählen, was sie uns sagen. Nur wenn Sie uns
von einer geplanten Straftat erzählen, müssen wir das melden.“
Dann interessierte sich jedoch die Generalstaatsanwaltschaft München für
einen von Stemmlers Interviewpartner, dem die Mitgliedschaft in der
[1][Terrormiliz IS] vorgeworfen wurde. Die Staatsanwaltschaft verlangte die
Rohdaten des Interviews heraus und erwirkte einen Durchsuchungsbeschluss.
Der Psychologe wehrte sich gegen die drohende Beschlagnahme, doch das
Oberlandesgericht (OLG) München lehnte seine Beschwerde ab. Wissenschaftler
hätten kein Zeugnisverweigerungsrecht. [2][Anders als Journalisten] seien
sie nicht auf den Schutz ihrer Quellen angewiesen. Vielmehr müsse
Wissenschaft transparent sein und die Quellen sogar veröffentlichen. Für
den Professor gelte daher auch kein Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbot.
## Verfassungsbeschwerde unzulässig
Anschließend wandte sich der Psychologieprofessor an das
Bundesverfassungsgericht und seine Verfassungsbeschwerde hätte fast Erfolg
gehabt. Sie war aber unzulässig, weil sein Anwalt die Beschwerde zu spät
einreichte. Eine mit drei Richter:innen besetzte Kammer des
Verfassungsgerichts nutzte den Fall ganz unkonventionell dennoch, um
klarzustellen, dass das OLG München falsch entschieden hatte. Es habe das
Gewicht der Wissenschaftsfreiheit nicht angemessen berücksichtigt.
„Die Forschungsfreiheit umfasst auch die Erhebung und Vertraulichkeit von
Daten im Rahmen wissenschaftlicher Forschungsprojekte“, heißt es in der
Karlsruher Entscheidung. Sensible Daten seien oft nur unter Zusage der
Vertraulichkeit zu erlangen. Bei kriminologischer Forschung über Straftaten
sei dies sogar „offenkundig“, erklärten die Verfassungsrichter:innen.
Zwar müsse auch [3][die Wissenschaftsfreiheit] im Konflikfall mit anderen
Verfassungsgütern abgewogen werden, so Karlsruhe. Auch die „effektive
Strafrechtspflege“ sei vom Grundgesetz geschützt. Allerdings könne sich
nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch der Kriminologe hierauf
berufen. „Eine effektive Verhinderung von Straftaten setzt deshalb genau
jene Forschung voraus, die durch den Zugriff auf ihre Daten zum Zwecke der
konkreten Strafverfolgung erheblich erschwert oder verunmöglicht wird“,
betonen die Verfassungsrichter:innen.
Im konkreten Fall hatte die Staatsanwaltschaft die wissenschaftlichen Daten
schon längst ausgewertet. Deshalb war das verspätete Einreichen der
Verfassungsbeschwerde hier letztlich wohl kein großes Malheur. Für die
Zukunft ist nun jedoch klargestellt, dass die Staatsanwaltschaft
Vertraulichkeitszusagen von Kriminologen beachten muss.
20 Oct 2023
## LINKS
[1] /Deutsche-IS-Anhaenger-in-Syrien-und-Irak/!5901033
[2] /Ueberwachung-in-Leipzig/!5454837
[3] /Wissenschaftsfreiheit-an-der-Uni-Hamburg/!5830526
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Bundesverfassungsgericht
Wissenschaft
Islamismus
Wissenschaftsfreiheit
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IG
Schwerpunkt Pressefreiheit
Kolumne Grauzone
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