# taz.de -- Verfassungsbeschwerde eines Kameruners: Was ist eine Durchsuchung? | |
> Wenn die Polizei Migrant:innen abschiebt, kommt sie meist ohne | |
> Durchsuchungsbeschluss. Das ist verfassungswidrig? | |
Bild: Das Bundesverfassungsgericht wird vermutlich nicht schnell entscheiden | |
KARLSRUHE taz | Die Verfassungsbeschwerde des Kameruners Alassa Mfouapon | |
hat grundsätzliche Bedeutung für die Durchführung von Abschiebungen. Was | |
ist eine Wohnung? Was ist eine Durchsuchung? Und dient eine Abschiebung der | |
Abwehr einer dringenden Gefahr? Das muss jetzt das Bundesverfassungsgericht | |
klären. | |
Mfouapon kam im Dezember 2017 nach Deutschland, sein Asylantrag wurde | |
jedoch als unzulässig abgelehnt. Da er über Italien in die EU einreiste, | |
sei Italien für das Asylverfahren zuständig. Am 20. Juni 2018 sollte er | |
nach Italien abgeschoben werden. Um 4 Uhr nachts kamen zwei Polizisten in | |
die Erstaufnahmestelle Ellwangen, wo Mfouapon untergebracht war. Sie trafen | |
ihn an, prüften seine Papiere, nahmen ihn mit und vollzogen die Abschiebung | |
nach Italien. | |
Gegen diese Abschiebung klagt der Kameruner seitdem durch die Instanzen. Er | |
galt schon [1][in Ellwangen] als ein Rädelsführer bei Protesten gegen | |
Abschiebungen. Seine Klagen werden von Pro Asyl und der Gesellschaft für | |
Freiheitsrechte unterstützt, die eine Grundsatzentscheidung des | |
Bundesverfassungsgerichts erreichen wollen. Im Kern geht es um die Frage, | |
welchen grundrechtlichen Schutz das Zimmer in einem Asylheim hat und ob | |
Polizisten bei der Abschiebung eine richterliche Durchsuchungsanordnung | |
brauchen. | |
Mfouapons Klagen hatten bisher zwar keinen Erfolg, doch in jeder neuen | |
Instanz konnte er Teilerfolge erzielen. Das Verwaltungsgericht Stuttgart | |
entschied in erster Instanz, dass ein Asylheim – wie ein Gefängnis – gar | |
keine Wohnung sei. Das hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim in | |
zweiter Instanz korrigiert. Auch eine Flüchtlingsunterkunft sei eine von | |
Artikel 13 Grundgesetz geschützte Wohnung. | |
## Viele kleine Erfolge | |
Der VGH wollte dem Asylheim aber nur abgeschwächten Schutz geben, wie etwa | |
Geschäftsräumen. Diese Einschränkung revidierte das | |
Bundesverwaltungsgericht in dritter Instanz. Ein Asylheim entspreche eher | |
einer echten Wohnung als Ladenräumen und Werkstätten. | |
Dennoch hatte Mfouapon im Ergebnis auch beim Bundesverwaltungsgericht | |
keinen Erfolg. In einem Grundsatzurteil vom 15. Juni 2023 stellten die | |
Leipziger Richter:innen fest, dass es keine Wohnungsdurchsuchung | |
darstellt, wenn Polizisten ein Zimmer betreten und nur die Identität der | |
angetroffenen Person kontrollieren. Ein Durchsuchungsbeschluss sei in | |
solchen Fällen nicht erforderlich. Stattdessen liege ein sonstiger Eingriff | |
in die Wohnung vor, der zulässig ist, wenn er auf gesetzlicher Grundlage | |
erfolgt. Es gebe aber verschiedene Gesetze, die das Betreten von Wohnungen | |
zum Vollzug von Abschiebungen erlauben, unter anderem der erst 2019 vom | |
Bundestag beschlossene Paragraf 58 Absatz 5 Aufenthaltsgesetz. | |
Das Bundesverfassungsgericht soll laut Klage nun erstens klären, dass ein | |
Flüchtlingswohnheim tatsächlich vollen grundrechtlichen Schutz als Wohnung | |
genießt. Hier wird Karlsruhe wohl kaum hinter das Bundesverwaltungsgericht | |
zurückfallen. | |
Schwieriger ist die Frage, ob bei der Abschiebung eine Durchsuchung | |
vorliegt. Die Anwält:innen von Mfouapon argumentieren, dass es nicht auf | |
das Öffnen von Schränken und Schubladen ankomme, sondern schon ein Umsehen | |
im Zimmer genüge. Dass die Situation in einem kleinen Wohnheimzimmer mit | |
einem Blick zu erfassen ist, dürfe nicht dazu führen, den grundrechtlichen | |
Schutz abzusenken. Immer wenn nach einer Person, nach Gegenständen oder | |
nach Spuren gesucht wird, liege eine Durchsuchung im Sinne des | |
Grundgesetzes vor. | |
## Kann nachts um 4 Uhr abgeschoben werden? | |
Wenn das Bundesverfassungsgericht dem folgt, wäre bei jeder Abschiebung aus | |
einem Wohnheim ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss erforderlich. Dabei | |
könnte zum Beispiel geprüft werden, ob die Abschiebung wirklich um 4 Uhr in | |
der Nacht erfolgen muss. | |
Doch auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Abschiebung aus einem | |
Wohnheim nicht als Durchsuchung von Wohnraum qualifiziert, hält Mfouapon | |
den Eingriff in den Wohnraum für unverhältnismäßig. Denn laut Grundgesetz | |
ist dann zwar kein richterliche Beschluss erforderlich, aber es muss eine | |
„dringende Gefahr“ abgewehrt werden, etwa für den Jugendschutz oder zur | |
Seuchenbekämpfung (Artikel 13 Absatz 7). | |
Das Bundesverwaltungsgericht sah eine dringende Gefahr für das Europäische | |
Asylsystem, wenn im Falle von Mfouapon die Abschiebung nach Italien | |
gescheitert wäre. Das hält Mfouapon aber für völlig überzogen. Nach den | |
Dublin-Regeln musste die Rückschiebung nach Italien binnen sechs Monaten | |
erfolgen. Selbst wenn der Abschiebeversuch im Juni gescheitert wäre, wären | |
noch weitere vier Monate Zeit gewesen. | |
Das Bundesverfassungsgericht wird vermutlich nicht schnell entscheiden. | |
Sein Urteil wird also wohl keine Auswirkungen auf die [2][aktuelle Debatte | |
um erleichterte Abschiebungen von ausreisepflichtigen Migrant:innen] | |
haben. | |
19 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Berichterstattung-zu-Ellwangen/!5503810 | |
[2] /Gesetzentwurf-von-Innenministerin-Faeser/!5962720 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Flucht | |
Asylpolitik | |
Abschiebung | |
Gerichtsurteil | |
IG | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Verkehrswende | |
Schwerpunkt Flucht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Juristin über CO2-Einsparung: „Klimaschutz hat keinen Vorrang“ | |
Warum werden CO2-intensive Bauprojekte wie neue Straßen immer noch | |
genehmigt? Die Regierungsberaterin Sabine Schlacke erklärt die rechtliche | |
Lage. | |
Prozess gegen Fantasieschilder: „Freiwillig Tempo 30“ | |
Am Bodensee fordern Anwohner mit Fantasieschildern dazu auf, im Ort | |
langsamer zu fahren. Ein Verwaltungsgericht klärt, ob sie das dürfen. | |
Gesetzentwurf von Innenministerin Faeser: Fünf Prozent mehr Abschiebungen | |
Von ihrem Gesetzentwurf erhofft sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser | |
mehr Abschiebungen. Ob das klappt, scheint fraglich. |