# taz.de -- Mehr antisemitische Vorfälle: Das Sicherheitsgefühl schwindet | |
> Rassismus und Antisemitismus grassieren in Deutschland. Nicht nur | |
> Opferberatungsstellen appellieren für den Ausbau von Beratungsangeboten. | |
Bild: Polizeistreife vor drer Ohel-Jakob-Synagoge in München am 13.1ß.2023 | |
BERLIN taz | Opferberatungsstellen und der Bundesverband der Recherche- und | |
Informationsstellen Antisemitismus e.V. (RIAS) haben sich am Donnerstag mit | |
einem Appell für Ausbau und Absicherung von Beratungsangeboten und | |
Meldestellen an die Öffentlichkeit gewandt. Es brauche solidarische | |
Bündnisse zum Schutz von Betroffenen von Antisemitismus und Rassismus. | |
Anlass für den Appell war die zunehmende Zahl antisemitischer Vorfälle seit | |
dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sowie die aktuellen Migrations- und | |
Asyldebatten – und die wachsende Unterstützung für die AfD. | |
Allein für die vergangenen Wochen meldet RIAS insgesamt 202 verifizierte | |
antisemitische Vorfälle in 11 Bundesländern. Dies entspreche einem Zuwachs | |
von 240 Prozent im Vergleich zum Oktober des Vorjahres, betonte der | |
Geschäftsführer des Verbands, Benjamin Steinitz, in seinem Appell. Außerdem | |
seien bereits seit Ende letzter Woche 18 Wohnhäuser unter anderem mit | |
[1][Davidstern beschmiert] und als jüdisch markiert worden. | |
„Das massive Auftauchen derartiger Markierungen ist eine neue Qualität“, | |
sagte Steinitz. Markierungen dieser Art seien als Identifizierung | |
potenzieller Angriffsziele zu verstehen und verschlimmerten das | |
Sicherheitsgefühl der Betroffenen. Allerdings sei Antisemitismus kein | |
importiertes Problem, betont der Verbandschef. „Es ist ein integraler | |
Bestandteil rechtsextremer Ideologien und dient auch hier zu Begründung von | |
extremer Gewalt, wie wir im Kontext des NSU oder auch des [2][Anschlags auf | |
die Synagoge in Halle] festgestellt haben.“ | |
## Keine langfristige Planungssicherheit | |
In den letzten Jahren seien antisemitische und rassistische Positionen | |
zunehmend normalisiert worden – durch das Erstarken der AfD und auch durch | |
die Corona-Proteste. | |
So seien der Meldestelle allein in Bayern, wo die AfD mit 14,6 Prozent | |
drittstärkste Partei wurde und die Freien Wähler mit 15,8 Prozent ihr | |
[3][höchstes Ergebnis] erzielten, in diesem Jahr 105 antisemitische | |
Vorfälle gemeldet worden, die sich „auf die Vernichtung der europäischen | |
Juden im Nationalsozialismus“ beziehen. Mit Blick auf die Landtagswahlen in | |
Thüringen 2024 hat Steinitz „wirklich große Sorgen“, denn nach den | |
aktuellen Prognosen könnte die AfD im nächsten Jahr stärkste Partei in | |
Thüringen werden. | |
„In Thüringen zeigt sich, wie die hohen Zustimmungswerte für die | |
rechtsextreme AfD zu einer massiven Bedrohung im Alltag für viele | |
Betroffene von Rassismus und Antisemitismus führt“, betonte Franz Zobel, | |
Projektleiter der Thüringer Gewaltopferberatungsstelle Ezra. „Insbesondere | |
Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften sind mit rassistischen Angriffen | |
direkt in den Unterkünften konfrontiert – dazu gehört das Eindringen von | |
vermummten Angreifern in die Unterkünfte und körperliche Angriffe auf | |
Frauen und Kinder.“ | |
Einige der Vorfälle seien der Polizei gemeldet worden, „passiert ist bisher | |
nichts, stattdessen sah sich die Familie mit rassistischen Aussagen durch | |
die Beamten konfrontiert“, so Zobel. | |
## Betroffene fühlen sich im Stich gelassen | |
Die Beratungsstellen fürchten, dass sie viele Betroffene in naher Zukunft | |
nicht mehr unterstützen können, weil viele Projekte von Kürzungen bedroht | |
sind. „Unsere Kolleginnen und Kollegen aus Schleswig-Holstein wissen heute | |
im Oktober noch nicht, mit welchem Umfang sie ihre Stellen im nächsten Jahr | |
eigentlich planen können“, kritisiert Steinitz, „wenn die Landesregierung | |
hier nicht aufstocken und keine klare Politik der Planungssicherheit | |
herstellen konnte, sich der Eindruck in der Öffentlichkeit durchsetzen, | |
dass von einigen Landesregierungen die Bekämpfung des Antisemitismus als | |
Teilzeitaufgabe verstanden wird.“ | |
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der Beratung von Opfern rechter, | |
rassistischer und antisemitischer Gewalttaten in Brandenburg und Thüringen, | |
die seit bis zu sieben Jahren auf eine rechtskräftige Verurteilung | |
organisierter rechter Angreifer etwa im Gerichtsbezirk Cottbus | |
(Brandenburg) warten, erlebten viele Menschen „eine große Diskrepanz | |
zwischen den Versprechungen und der Realität des Rechtsstaates“, betonte | |
Joschka Fröschner vom Verein Opferperspektive. „Die Betroffenen fühlen sich | |
vom Rechtsstaat im Stich gelassen.“ | |
Die Opferberatungsstellen warnen, dass die aktuellen Debatten sowohl | |
Antisemitismus als auch Rassismus verschärfen und reproduzieren und | |
Ausgangspunkt für eine weitere Eskalation von Gewalttaten und Bedrohungen | |
werden könnten. Die Betroffenen dürften vom Rechtsstaat, Politik und | |
Gesellschaft nicht im Stich gelassen werden. Die ohnehin schon überlasteten | |
Beratungsstellen für Betroffene von rechter, rassistischer und | |
antisemitischer Gewalt sowie Meldestellen „müssen daher dringend | |
langfristig ausgebaut und finanziell durch den Bund und die | |
Landesregierungen unterstützt werden“, forderten sie. | |
19 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Antisemitische-Straftaten-in-Deutschland/!5967456 | |
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## AUTOREN | |
Yagmur Ekim Cay | |
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