| # taz.de -- Antikapitalistische Komödie „Dumb Money“: Millionen auf dem Pa… | |
| > Die Komödie „Dumb Money“ erzählt vom Börsenwirbel um die GameStop-Akti… | |
| > Und vom Gebaren rund ums große Geldverdienen. | |
| Bild: Er verursacht unerwarteten Ärger für Hedgefonds: Paul Dano als Keith Gi… | |
| Das Genre ist amerikanischer als der Western, hat aber rätselhafterweise | |
| nie einen zündenden Namen bekommen: Filme über das große Geldverdienen. Der | |
| bekannteste ist wohl nach wie vor Oliver Stones „Wall Street“ von 1987, in | |
| dem Michael Douglas sein emblematisches „Greed Is Good“ in die Kamera | |
| hisst. | |
| [1][„The Wolf of Wall Street“ mit Leonardo DiCaprio] löste 2013 nur wenig | |
| Begeisterung aus, gilt heute aber als eines der Meisterwerke von Martin | |
| Scorsese. [2][Adam McKays „The Big Short“] dagegen war einer der großen | |
| Filme der „Awards Season“ 2015/2016 und hat sich allein durch Margot | |
| Robbie, die im Schaumbad das Buzzword der 2008-Finanzkrise „credit default | |
| swap“ erklärt“, fest im kulturellen Gedächtnis eingebrannt. | |
| Aus McKays Film heraus – der ebenso wie Craig Gillespies „Dumb Money“ die | |
| Verfilmung einer Sachbuch-Recherche ist – lässt sich auch am besten | |
| erklären, um welches Geldverdienen es in diesem namenlosen Genre geht: | |
| nicht um Einbruch, nicht um Trickbetrug oder Unternehmensgründung (alles | |
| Tätigkeiten mit eigenen Subgenres), sondern ums Börsengeschäft. | |
| Offizielle Definitionen sprechen gerne von einem „Markt, auf dem für | |
| Wertpapiere beziehungsweise Waren nach Angebot und Nachfrage Preise | |
| gebildet werden“. Adam McKay benutzt dagegen in seinem Film mehrfach die | |
| Roulette- und Kasino-Metapher. | |
| Das Besondere von „The Big Short“ war, dass es um Börsianer und | |
| Fondsmanager ging, die gerade nicht aufs Gewinnen gesetzt hatten, sondern | |
| auf den Verlust und damit einen Riesenreibach machten. Sie waren die | |
| Helden, weil sie die Spekulationsblase im Immobilenkreditgeschäft | |
| durchschaut hatten. In „Dumb Money“, in dessen Zentrum die Geschichte rund | |
| um Aufstieg und Fall der GameStop-Aktie steht, sind diese Art Leerverkäufer | |
| nun wieder die klaren Antihelden. | |
| ## Vermögen von 16 Milliarden Dollar | |
| Im Intro werden sie vorgestellt: Hedgefondsmanager wie Gabe Plotkin (Seth | |
| Rogen), Steve Cohen (Vincent D’Onofrio) oder Ken Griffin (Nick Offerman), | |
| alle mit ihren geschätzten Vermögen zwischen 500 Millionen und 16 | |
| Milliarden Dollar. Eine Kette von Telefongesprächen verbindet diese | |
| Figuren, die im Januar 2021 bei ihren typischen Reichen-Tätigkeiten gezeigt | |
| werden wie das Sich-massieren-Lassen oder dem Streiten mit | |
| Immobilienagenten: „Ich will die Villa doch nur kaufen, um sie abzureißen, | |
| damit ich einen Tennisplatz bauen kann!“ | |
| In die Idylle dieser von Covid maximal unberührten „One-Percenter“ bricht | |
| die Nachricht vom steigenden Kurs einer als wertlos geltenden Aktie ein: | |
| die der Videospielladenkette GameStop. Das aber bringt besonders Plotkin | |
| ins Schwitzen, denn sein Melvin Capital Hedgefonds hat schwer in | |
| Leerverkäufe dieser Aktie investiert. | |
| Nach Plotkin und Konsorten stellt der Film seine wahren Helden vor: die | |
| Kleinanleger. Typen wie der GameStop-Ladenangestellte Marcus, dessen | |
| Nettovermögen sich auf 136 Dollar beläuft, oder die Krankenschwester Jenny | |
| (America Ferrera), deren Konto ein Minus von 45.644 Dollar ausweist. Oder | |
| die Studentinnen Riri (Myhal’a Herrold) und Harmony (Talia Ryder), deren | |
| Studiengebühren sie mit 145.000 oder gar 185.000 Dollar Schulden dastehen | |
| lassen. Sie alle werden gezeigt, wie sie sich von Youtube-Videos eines | |
| Typen inspirieren lassen, der sich „Roaring Kitty“ nennt und „an die | |
| GameStop-Aktie glaubt“. | |
| ## Spott und markante Dialoge | |
| Bei dem Mann, der im Katzen-T-Shirt und rotem Stirnband im Keller seines | |
| Hauses in einer Kleinstadt in Massachusetts mit Bier in der Hand auf | |
| Sendung geht, handelt es sich um Keith Gill (Paul Dano). Der junge | |
| Familienvater erläutert seinen Followern, warum er sein Erspartes von | |
| 53.000 Dollar in GameStop-Aktien investiert, und Jenny, Marcus und all die | |
| anderen schauen ihm auf ihren Handys zu und drücken „Buy“. Denn als | |
| weiteres nicht unerhebliches Element der Geschichte kommt die Handy-App | |
| „Robinhood“ (und deren leicht schmierig dargestellte Gründer) hinzu, die | |
| das Handeln an der Börse zum angeblich kostenlosen Kinderspiel macht. | |
| Trotz all der mühseligen Finanzdetails schlägt Gillespies Film mit | |
| markant-scharfzüngigen Dialogen und Spott gegenüber dem Börsengebaren | |
| inmitten des Coronawinters von 2020/2021 einen lockeren Ton an. Im engeren | |
| Familiendrama um Keith Gill, dessen Tunichtgut-Bruder vom genialen | |
| „Saturday Night Life“-Comedian Pete Davidson gespielt wird, gelingen ihm | |
| zwischendurch auch Momente der echten Rührung. Der Film hält sich | |
| erstaunlich genau an die Fakten, obwohl die Geschichte etwas komplizierter | |
| sein mag, als am Ende suggeriert wird, wenn zum trommelnden Beat von Seven | |
| Nation Army die Macht der Kleinanleger beschworen wird, die von den | |
| Hedgefonds dieser Welt nicht mehr länger ignoriert werden könne. | |
| Der Ablauf selbst ist widersprüchlicher. Oh ja, die Leerverkäufer bekamen | |
| es ganz schön mit der Angst zu tun, als sie sich von „Yolo Kidz“ auf Reddit | |
| in einen „Short Squeeze“ getrieben sahen. America Ferrera als Jenny erzählt | |
| stellvertretend für all die anderen, dass sie eben nicht nur wegen des | |
| Geldverdienens in GameStop investiert, sondern um es „denen“ zu zeigen. | |
| „Die“ – „Die? Hörst du, was du da sagst?“, fragt ihr Krankenhauskoll… | |
| einer Stelle spitz –, das sind die Banken und Wall-Street-Haie, die ihre | |
| Verluste vom Steuerzahler ausgeglichen bekommen und am Ruin von Unternehmen | |
| und der der Entlassung von Arbeitern auch noch Geld verdienen. | |
| ## Am längeren Hebel sitzen | |
| Dieses eine Mal sollen sie nicht am längeren Hebel sitzen, wenn es nach | |
| Jenny geht. Sie „hält“ ihr Depot – und steht zwischendurch mit einer hal… | |
| Million Überschuss da. Der Anreiz zum Verkaufen wird immer stärker. Keith | |
| Gill wird mit über 80 Millionen im Depot zum echten Mogul. Aber eben nur | |
| auf dem Papier. | |
| Dass der Film bei alldem lebendig bleibt, verdankt er seiner prominenten | |
| Besetzung mit Schauspielern, denen es gelingt, ihren als Klischees | |
| angelegten Figuren immer gerade genug Herz zu verleihen, um sie nicht ganz | |
| zur Karikatur werden zu lassen. Womit „Dumb Money“ aber wirklich besticht, | |
| ist weniger die Faktentreue, als dass er ähnlich wie „Wall Street“ vor | |
| allem ein bestimmtes Gebaren porträtiert, eine besondere Sprache und die | |
| Kultur dazu: das Redditforum „Wallstreetbets“ etwa, auf dem sich die | |
| GameStop-Freunde finden und auf dem geflucht wird wie zuletzt in den | |
| Seemannstavernen des 19. Jahrhunderts. | |
| Die „Roaring Kitty“-Videos von Keith Gill mit ihrer seltsamen Mischung aus | |
| Kätzchen und Kralle. Und die in Montage-Sequenzen wiedergegebenen | |
| Social-Media-Basteleien mit ihren Gifs und Kurzfilmformaten, in denen die | |
| Brustschlag-, Macho- und Brüllszenen aus Filmen wie „King Kong“, | |
| „Braveheart“ oder „Planet der Affen“ immer wieder neu zusammengeschnitt… | |
| werden, um all den intensiven Gefühlen Ausdruck zu verleihen, die mit Geld | |
| und dem Geldverdienen eben so verbunden sind. | |
| Ganz nebenbei funktioniert „Dumb Money“ auch noch als eine der bislang | |
| besten Schilderungen der Corona-Epoche als solche. Man achte nur darauf, | |
| wer hier in welchen Szenen Maske trägt, soll heißen: tragen muss. | |
| Spoiler-Alert: Es sind nicht die von Nick Offerman oder Seth Rogen | |
| verkörperten Hedgefondsmanager. Allein darin zeichnet der Film ein | |
| erschreckend präzises Soziogramm davon nach, wer von Lockdown und Covid am | |
| stärksten betroffen war und wie sich die gesellschaftliche Ungleichheit | |
| währenddessen auf direkte Weise in die Gesichter schrieb. | |
| 1 Nov 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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