| # taz.de -- Düstere Perspektiven auf der Bühne: Der Haifisch mit den braunen … | |
| > Inszenierung von Volker Lösch: Das Staatsschauspiel Dresden zeigt Brechts | |
| > „Dreigroschenoper“ als groteske Vision einer Machtergreifung. | |
| Bild: Die „PfD“ hat in Löschs Version der „Dreigroschenoper“ die 30 … | |
| Volker Lösch hat seine ganz eigene Methode, Stücke auf die Wirklichkeit | |
| treffen zu lassen und daraus Funken zu schlagen. Etwa, wenn er mit | |
| Bürgerbühnen-Verstärkung auf Authentizität zielt. In Dresden hat er sich | |
| jetzt die „Dreigroschenoper“ von Bert Brecht und Kurt Weill vorgenommen. | |
| Dank einer neuen Art von Toleranz der Rechteinhaber auch mit einem von | |
| Lothar Kittstein teilerneuerten Text. Auch mit dieser Überschreibung mischt | |
| sich Lösch so direkt in den politischen Diskurs, wie es heutzutage selten | |
| ist. | |
| Dabei haben die genialen Songs von Brecht und Weill jenseits ihrer | |
| kapitalismuskritischen Intention überlebt, sind von dem Kulturbetrieb | |
| längst durch Vereinnahmung „entschärft“ worden. Im Sommer hatte Thomas | |
| Ostermeier [1][in Aix-en-Provence die „Dreigroschenoper“] als ästhetische | |
| Reminiszenz an die Entstehungszeit so banalisiert, dass es schmerzte. | |
| Lösch macht jetzt das Gegenteil. Er versetzt den Klassiker in die Gegenwart | |
| eines Bundeslandes, in dem die AfD in den Umfragen die Dreißigprozentmarke | |
| hinter sich gelassen hat. Mitten in den Zwinger, in die Zeit vor der | |
| Landtagswahl im kommenden Jahr. Cary Gayler hat aus der barocken | |
| Zwingerarchitektur eine bühnenfüllende Kletterburg gemacht, deren Opulenz | |
| auch die Kostüme von Carola Reuther in nichts nachstehen. | |
| Hier ist das Bettelunternehmer-Ehepaar Peachum (Sarah Schmidt und Philipp | |
| Grimm) die blau bedresste Doppelspitze der Partei „Perspektive für | |
| Deutschland“ (PfD). Beide prügeln gleich zu Beginn auf einen jungen | |
| Bomberjacken- und Stiefelträger ein, weil der mit seinem Übereifer ihren | |
| strategischen Machtambitionen schaden könnte. Zeitgleich sammelt Macheath | |
| (Jannik Hinsch) alles um sich, was sich wutbürgerlich gebärdet, gegen alles | |
| ist und an die große Verschwörung glaubt. | |
| Zur Hochzeit mit Polly (Henriette Hölzel) macht er sich selbst zum | |
| legitimen Kurfürsten von Sachsen, weil alles, was es seit Napoleon an | |
| Staatlichkeit auf deutschem Boden gab, eh illegal ist. Das kommt szenisch | |
| zum Teil überzeichnet stilisiert wie bei einer Inszenierung von Herbert | |
| Fritsch daher, wird durch die O-Ton-Texte aber geradezu beängstigend | |
| grundiert. Dafür ist die Rhetorik aus der blauen, braunen und | |
| Reichsbürgerecke nahezu flächendeckend verarbeitet, bricht aus den | |
| Protagonisten heraus und lädt auch die Songs mit einer gehörigen Portion | |
| von wutgeladener Energie auf. | |
| ## Was ist ein Putsch gegen eine Landtagswahl? | |
| Die ganze Truppe macht das insgesamt fabelhaft, lässt sich auf das rotzig | |
| überdrehte Spiel mit vollem Körper- und Stimmeinsatz ein. Dazu die | |
| Livemusik auf der Bühne in einer Nische des Zwingers unter Leitung von | |
| Michael Wilhelmi – das hat Tempo und funktioniert. | |
| Die berühmte Frage: „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung | |
| einer Bank?“, wird hier von der Frage „Was ist ein Putsch gegen eine | |
| Landtagswahl?“ sekundiert. Also ins Politische gewendet und direkt ans | |
| wählende Publikum adressiert. Damit ja niemand die Warnung überhört, gibt | |
| es zum Finale eine Videoeinspielung der Wahlsendung kurz nach der | |
| Landtagswahl. | |
| Als die ersten Hochrechnungen 58 Prozent für die PfD voraussagen, flippen | |
| die vermeintlich bürgerlich braven und die diffus wut- und | |
| reichsbürgerlichen Gegner des „Systems“ gemeinsam aus. Um dann über die v… | |
| der CDU erklärte Gesprächsbereitschaft zu spotten und bei der Reporterin | |
| und ihrem Kameramann mit dem „großen Aufräumen“ gleich anzufangen. | |
| Polizeichef Brown (Thomas Eisen) haben sie eh auf ihrer Seite, dessen | |
| schwuler Sohn Lucyus (Counter Georg Bochow) wird als verflossener Lover von | |
| Macheath dessen Stellvertreter (bleibt aber als Figur ein etwas fragwürdig | |
| eingesetztes Klischee). | |
| Löschs Methode, die Originalzitate der „Anderen“ wirken zu lassen, setzt | |
| darauf, dass sein Publikum sie durchgängig genauso abstoßend findet wie der | |
| Regisseur. Bei der Premiere ging diese Rechnung auf. Aber was ist, wenn die | |
| Realität sich der düsteren Vision, die Lösch den Sachsen über sich selbst | |
| vorhält, weiter annähert? Und wenn der eine oder andere zu der einen oder | |
| anderen Parole – „na und“ sagt? Oder denkt? | |
| So ganz traut Lösch freilich der Aufklärungsbrutalität seiner Inszenierung | |
| selbst nicht. Nachdem der Vorhang gefallen ist, liefert ein junger | |
| Zwickauer Aktivist in einem durchgegenderten Monolog explizit die | |
| Gegenargumente, die man sich davor selber denken sollte, aus seiner Sicht. | |
| Ein Epilog irgendwo zwischen „politisch-vorsichtshalber“ und | |
| „künstlerisch-überflüssig.“ | |
| 8 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Joachim Lange | |
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