| # taz.de -- Gericht verhandelt über Zugang: Ein Medikament zum Sterben | |
| > Das Bundesverwaltungsgericht verhandelt über den Zugang zu | |
| > Natrium-Pentobarbital. Zwei Sterbewillige wollen das tödliche Medikament | |
| > auf Vorrat kaufen. | |
| Bild: Um die Versorgung mit Natrium-Pentobarbital wird vor Gericht verhandelt | |
| Leipzig taz | Haben Sterbenswillige Anspruch auf Zugang zum | |
| Suizid-Medikament Natrium-Pentobarbital? Das muss das | |
| Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entscheiden. Am Donnerstag verhandelte | |
| es über den Fall von zwei Männern, denen der Erwerb des Medikaments | |
| verweigert wurde. | |
| Harald Mayer ist 52 und leidet seit 26 Jahren an [1][Multipler Sklerose]. | |
| Er kann nur noch den Kopf bewegen. Er will nicht sofort sterben, aber | |
| Zugriff auf ein effizientes Suizidmedikament haben. Mit seinem Rollstuhl | |
| und seiner Betreuerin nahm er sogar an der Verhandlung teil, ergriff aber | |
| nicht das Wort. | |
| Zweiter Kläger ist der 79-jährige Hans-Jürgen Brennecke. Er litt an | |
| Lymphknotenkrebs. Nach einer Chemo-Therapie gilt er momentan als geheilt. | |
| Doch falls der Krebs zurückkehrt, will er die Strapazen nicht noch einmal | |
| durchstehen. | |
| Beide beantragten schon 2017 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und | |
| Medizinprodukte (BfArM) in Köln die Erlaubnis zum Erwerb von | |
| Natrium-Pentobarbital. Diese ist erforderlich, weil das Medikament als | |
| Betäubungsmittel gilt. Das Amt lehnte ab, es habe noch nie einem derartigen | |
| Antrag stattgegeben. Ausnahmen seien nur für die Therapie von Krankheiten | |
| möglich, nicht für eine Selbsttötung. Da sei das Betäubungsmittelgesetz | |
| eindeutig. | |
| ## Anspruch bisher in „extremen Notlagen“ | |
| Seit 2017 ist viel passiert. Anfang 2020 hat das Bundesverfassungsgericht | |
| entschieden, dass jeder ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ hat. | |
| Suizidhilfe-Organisationen durften nicht verboten werden. Einen legalen | |
| Zugang zu Natrium-Pentobarbital hat Karlsruhe zwar nahegelegt, aber nicht | |
| angeordnet. [2][Zwei Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Suizidhilfe] sahen | |
| dies zwar vor, erhielten im Juli diesen Jahres aber jeweils [3][keine | |
| Mehrheit im Bundestag]. | |
| Nun muss doch das Bundesverwaltungsgericht urteilen. Die entscheidende | |
| Frage sei dabei: „Sind die Grundrechte der beiden Kläger verletzt?“, so die | |
| Vorsitzende Richterin Renate Philipp. Ist die Verweigerung einer | |
| Sondergenehmigung unverhältnismäßig? Auf der einen Seite steht das Ziel, | |
| voreilige und nicht frei-verantwortliche Selbsttötungen zu verhindern. „Ist | |
| es dazu aber erforderlich, den Einsatz des Medikaments zur Selbsttötung | |
| völlig auszuschließen?“, fragte Richterin Philipp bei der Verhandlung in | |
| Leipzig, „würde nicht eine Prüfung im Einzelfall genügen?“ | |
| Auf der anderen Seite steht der Eingriff in das Recht auf selbstbestimmtes | |
| Sterben. Peter Cremer-Schaeffer, Chef der beim BfArM angesiedelten | |
| Bundesopiumstelle, sieht keinen übermäßigen Eingriff, denn es gebe ja | |
| zumutbare Alternativen. Die Kläger könnten sich etwa an | |
| Suizidhilfe-Organisation wie Dignitas oder Sterbehilfe Deutschland wenden. | |
| Das aber wollen die Kläger ausdrücklich nicht, sagte ihr Anwalt Robert | |
| Roßbruch, sie wollen beim Suizid nicht auf Organisationen und Ärzte | |
| angewiesen sein. | |
| Es ist eher unwahrscheinlich, dass das Bundesverwaltungsgericht eine | |
| Versorgung mit Natrium-Pentobarbital auf Vorrat ermöglicht. Immerhin | |
| handelt es sich um ein tödliches Medikament. Und wie es in den | |
| Privatwohnungen sicher verwahrt werden soll, konnte auch Anwalt Roßbruch | |
| nicht beantworten. | |
| Vor sechs Jahren hatte das Gericht einen Anspruch auf Natrium-Pentobarbital | |
| in „extremen Notlagen“ zugesprochen. Das damalige Urteil verpuffte | |
| allerdings wirkungslos. Die Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Jens | |
| Spahn (beide CDU) wiesen das BfArM an, selbst in extremen Notlagen keine | |
| Sondergenehmigungen zu erteilen. Auch Amtsinhaber Karl Lauterbach (SPD) hat | |
| die Weisung nicht zurückgenommen. | |
| Das neue Urteil soll am 7. November verkündet werden. | |
| 26 Oct 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Leben-mit-Multipler-Sklerose/!5263379 | |
| [2] /Aerztliche-Suizidhilfe/!5942785 | |
| [3] /Gescheiterte-Suizidhilfe-Gesetze/!5942090 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
| ## TAGS | |
| Suizidhilfe | |
| Sterbehilfe | |
| Bundesverwaltungsgericht | |
| GNS | |
| Suizidhilfe | |
| Klima | |
| Sterbehilfe | |
| Bundesverfassungsgericht | |
| Sterbehilfe Deutschland | |
| Sterbehilfe | |
| Sterbehilfe Deutschland | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Suizidassistenz und Strafrecht: Drei Jahre Haft wegen Suizidhilfe | |
| Das Landgericht Essen hat einen Arzt zu drei Jahren Haft verurteilt, weil | |
| er einem psychisch Kranken beim Sterben half. Es ist ein Präzedenzfall. | |
| Karlsruher Urteil zu Klimafonds: 60-Milliarden-Trick einkassiert | |
| Die Corona-Kredite im Klimafonds waren schlecht begründet, sagt das | |
| Bundesverfassungsgericht. Es sagt auch: Kredite sind trotz Schuldenbremse | |
| möglich. | |
| Grundsatzurteil zu Suizidmedikament: Kein Mittel zum Sterben | |
| Das Bundesverwaltungsgericht verweigert Sterbewilligen den Zugang zu | |
| Natriumpentobarbital. Es verweist alternativ auf | |
| Sterbehilfe-Organisationen. | |
| Bundesverfassungsgericht kippt Gesetz: Unnötig kleinkariert | |
| Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass von Mord Freigesprochene | |
| nicht erneut angeklagt werden dürfen. Doch die Argumente überzeugen nicht. | |
| Gescheiterte Suizidhilfe-Gesetze: Die Ängste dominieren | |
| Die Politik scheut sich, die ärztliche Suizidhilfe zu institutionalisieren. | |
| Das begleitete Sterben bleibt also in der Grauzone – und ein Privileg. | |
| Ärztliche Suizidhilfe: Im Grenzbereich des Lebens | |
| Am Donnerstag stimmt der Bundestag über Suizidhilfe ab. Schafft es keiner | |
| der Entwürfe, brauchen Sterbewillige weiterhin Vereinsmitgliedschaften. | |
| Debatte um Suizidbeihilfe im Bundestag: Es braucht kein neues Gesetz | |
| Das bestehende Strafrecht schützt Patient*innen und Ärzt*innen bereits gut | |
| vor den Gefahren durch eine unverantwortliche Suizidhilfe. |