# taz.de -- Streit zwischen Polen und Ukraine: Warschau stoppt Waffenlieferungen | |
> Polen steht seit Kriegsbeginn an der Seite der Ukraine. Doch auf | |
> Selenskis Kritik am Getreide-Einfuhrverbot reagiert Warschau verärgert. | |
Bild: Polens Premierminister Mateusz Morawiecki im Mai im Verladehafen von Gdyn… | |
WARSCHAU taz | „Wir schicken keine Waffen mehr in die Ukraine, weil wir uns | |
selbst mit den modernsten Waffen ausrüsten“, erklärte Polens | |
Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am Mittwochabend im Privatsender | |
Polsat News. Die mit den US-Amerikanern in der [1][südpolnischen Stadt | |
Rzeszow betriebene Drehscheibe] für Waffen und humanitäre Hilfe, die aus | |
vielen Staaten an die Ukraine geliefert werden, bleibe aber bestehen. | |
Auch der Transit von Produkten für die Ukraine solle nicht eingeschränkt | |
werden. Doch Polen wolle eine der größten und stärksten Landarmeen Europas | |
werden. Rüstungsaufträge würden verstärkt an inländische Waffenschmieden | |
vergeben. Insgesamt, so bekannte Morawiecki in Polsat News, seien die | |
polnisch-ukrainischen Beziehungen zur Zeit „schwierig“. | |
Stunden zuvor war der ukrainische Botschafter in Polen ins Warschauer | |
Außenministerium einbestellt worden. Die von der nationalpopulistischen | |
Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) geführte Regierung in Warschau wollte | |
dem Botschafter ihre Verärgerung über das Verhalten und die Rede des | |
ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski auf der UN-Vollversammlung in | |
New York ausdrücken. Selenski hatte dort nicht nur gefordert, Russland als | |
aggressivem und kriegsführendem UN-Mitgliedstaat das Veto-Recht im | |
Sicherheitsrat zu entziehen, sondern auch, Deutschland als ständiges | |
Mitglied in den Sicherheitsrat aufzunehmen. | |
Zudem hatte Selenski [2][auf drei EU-Staaten verwiesen], die durch ihr | |
Embargo für ukrainisches Getreide Russland in die Karten spielten. Zwar | |
erwähnte Selenski nicht, dass es sich bei den drei Staaten um Polen, die | |
Slowakei und Ungarn handelte, doch das wussten ohnehin alle, die die | |
Nachrichten zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verfolgen. Die | |
drei Staaten wollen ein bis zum 15. September befristetes EU-Importverbot | |
für ukrainischen Getreide einseitig verlängern. | |
Polen ist nicht nur Wortführer der EU-Frontstaaten in diesem Krieg, zu | |
denen auch Rumänien und Bulgarien gehören, sondern steckt auch mitten im | |
Wahlkampf. [3][Am 15. Oktober wählen die Polen ein neues Parlament]. Viele | |
Wähler der PiS leben auf dem Land. | |
## Die Getreide-Blockade bleibt ernst | |
Die EU hatte den Frontstaaten mit dem befristeten Embargo Zeit geben | |
wollen, den Transit und Import von billigem Getreide und anderen | |
Agrarprodukten aus der Ukraine zu regulieren und Maßnahmen zum Schutz der | |
eigenen Bauern und Märkte zu ergreifen. Rumänien und Bulgarien war dies | |
gelungen, Polen, der Slowakei und Ungarn nicht. Polen kündigte an, weitere | |
Agrarprodukte aus der Ukraine auf die Import-Embargoliste zu setzen, | |
woraufhin Kiew konterte, dass es im Gegenzug ebenfalls ein Importverbot für | |
Agrarprodukte aus Polen verhängen werde und zudem Polen vor der WTO | |
(Welthandelsorganisation) in Genf verklagen werde. | |
Da Russland als Kriegsmaßnahme eine Seeblockade für Getreide-Schiffe der | |
Ukraine verhängte, [4][ist die Ukraine auf die Donauhäfen] und den Landweg | |
angewiesen, um sein Getreide wie bisher vor allem nach Afrika und Asien zu | |
transportieren. Ohne diese Einnahmen droht der Ukraine über kurz oder lang | |
die Staatspleite. Polens PiS-geführte Regierung sah sich aber außerstande, | |
an seinen Ostseehäfen weitere Schüttgut-Terminals zu bauen. Dort liegen | |
zurzeit große Halden an Kohle aus aller Welt. Russland hatte seine | |
Steinkohle bis zum Kriegsbeginn in langen Güterzügen geliefert. Jetzt kommt | |
die Kohle per Schiff nach Polen. | |
Zwar boten die drei baltischen Republiken ihre fünf Ostseehäfen als | |
Umschlagplatz für das ukrainische Getreide an, doch der Transit durch Polen | |
in verplombten Güterwaggons scheint ebenfalls nicht richtig zu klappen. Die | |
polnische Regierung entwickelte auch kein Lizenz-System für | |
Getreideimporteure in Polen oder ähnliche Import-Kontrollsysteme, in Polsat | |
News warf Morawiecki „russischen und ukrainischen Oligarchen“ vor, den | |
polnischen Markt destabilisieren zu wollen. | |
## Polen, und nicht Deutschland, als größter Verbündeter | |
Empört war Polens PiS-Regierung auch über den Vorschlag Selenskis, | |
Deutschland mit einem ständigen Sitz in den UN-Sicherheitsrat aufzunehmen. | |
„Ich bin kurz nach Kriegsbeginn nach Berlin gefahren, um den deutschen | |
Politikern ins Gesicht zu sagen, dass das Angebot von 5.000 Helmen als | |
Soforthilfe für die Ukraine ja wohl ein Witz ist“, lamentierte Morawiecki | |
in Polsat News. Die Ukraine habe wohl vergessen, dass Polen ihr gerade zu | |
Beginn des Krieges am meisten geholfen habe. | |
Am Donnerstagmorgen zeigte sich auch Polens Verteidigungsminister Mariusz | |
Blaszczak offen enttäuscht von Selenski. Im Staatssender Radio Eins | |
protestierte er gegen einen ständigen Sitz für Deutschland im | |
UN-Sicherheitsrat. Erst müsse sich Deutschland seiner Nazi-Vergangenheit | |
stellen und die von Polen im letzten Jahr geforderten Kriegsreparationen | |
bezahlen. | |
Rechtlich gesehen hat Polen aber keinen Anspruch mehr auf Reparationen, da | |
es acht Jahre lang über die Sowjetunion Reparationsleistungen aus | |
Deutschland bekommen und 1953 auf weitere Reparationsleistungen aus | |
Deutschland verzichtet hat. Verhandelbar sind weitere humanitäre Hilfen für | |
noch lebende Kriegsopfer. Doch daran zeigte die PiS-Regierung bislang kein | |
Interesse. | |
21 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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