# taz.de -- Künstliche Befruchtung: Diskriminierung bei Kinderwunsch | |
> Ungleiche Behandlung: Von zwölf Bundesländern, die künstliche | |
> Befruchtungen fördern, unterstützen nur sechs Länder auch homosexuelle | |
> Paare. | |
Bild: Kinderwunschmesse Berlin: Fast jedes zehnte Paar im Land zwischen 25 und … | |
LEIPZIG taz | Sechs Jahre nach [1][Einführung der Ehe für alle] haben | |
hetero- und homosexuelle Paare in Deutschland noch immer nicht dieselben | |
Rechte. Bekommt ein lesbisches Ehepaar zum Beispiel ein Kind, dann ist die | |
Ehefrau der Mutter nicht automatisch die Co-Mutter, sondern [2][muss das | |
Kind erst adoptieren]. Bei einer heterosexuellen Ehe hingegen ist der Mann | |
automatisch der Vater – ganz unabhängig davon, ob er auch der genetische | |
Vater ist. | |
Auch bei der [3][künstlichen Befruchtung] werden hetero- und homosexuelle | |
Paare ungleich behandelt. Ein solcher Eingriff kostet pro Versuch mehrere | |
tausend Euro. Die gesetzliche Krankenkasse erstattet heterosexuellen | |
Eheleuten die Hälfte der Kosten, gleichgeschlechtliche Ehepaare bekommen | |
keinen Cent. | |
Zwar können Paare noch staatliche Zuschüsse für eine künstliche Befruchtung | |
beantragen – Bund und Länder übernehmen gemeinsam bis zu 50 Prozent der | |
Kosten, die nach der Abrechnung mit der Kasse übrig bleiben. Doch auch hier | |
sind homosexuelle Paare benachteiligt. | |
Von zwölf Bundesländern, die künstliche Befruchtungen überhaupt fördern, | |
unterstützen nur sechs Länder auch gleichgeschlechtliche Paare: | |
Rheinland-Pfalz, Berlin, Bremen, Thüringen, Hessen und das Saarland. Vom | |
Bund erhalten homosexuelle Paare keine Förderung, diese steht nur | |
heterosexuellen zu. | |
## Ein Versuch kostet zwischen 3.000 und 7.000 Euro | |
[4][Während lesbische Mütter ihre eigenen Kinder laut | |
Bundesjustizministerium bald endlich nicht mehr adoptieren müssen], wird es | |
wohl noch eine Weile dauern, bis gleichgeschlechtliche Paare bei | |
Kinderwunschbehandlungen nicht mehr benachteiligt werden. | |
Mit welcher Begründung fördert die Bundesregierung künstliche Befruchtungen | |
bei heterosexuellen Paaren, bei homosexuellen aber nicht? Warum | |
unterstützen manche Bundesländer auch gleichgeschlechtliche Paare bei | |
dieser Behandlung, manche nur veschiedengeschlechtliche? Und was bedeutet | |
das für die Betroffenen? | |
In Deutschland ist fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren | |
ungewollt kinderlos und daher auf medizinische Hilfe angewiesen. Das ist | |
nicht nur psychisch belastend, sondern auch finanziell. Menschen mit | |
niedrigem oder mittlerem Einkommen können die hohen Behandlungskosten oft | |
nicht stemmen. | |
„Eine künstliche Befruchtung kostet pro Versuch zwischen 3.000 und 7.000 | |
Euro“, sagt Jens-Peter Reiher, Gynäkologe am Kinderwunschzentrum | |
Leipzig-Chemnitz. „Die Spanne ist deswegen so groß, weil wir vorher nie | |
wissen, wie hoch der Medikamenteneinsatz wird, wie häufig wir einen | |
Ultraschall machen müssen oder wie viele Laboruntersuchungen wir brauchen. | |
Jede einzelne dieser Maßnahmen erhöht die Rechnung.“ | |
## Künstliche Befruchtungen bei Homosexuellen lange verboten | |
Seit knapp 30 Jahren behandelt der Gynäkologe Paare mit unerfülltem | |
Kinderwunsch in Sachsen. Sachsen ist eines der Bundesländer, das | |
ausschließlich heterosexuelle Paare bei der künstlichen Befruchtung | |
unterstützt. Homosexuelle bekommen dort keinen Zuschuss. | |
Bis 2019 war es Ärzt:innen in Sachsen sogar verboten, | |
Kinderwunschbehandlungen bei Frauen in gleichgeschlechtlichen | |
Partnerschaften durchzuführen. „Wir haben immer neidisch nach Berlin | |
geschaut, denn dort war die künstliche Befruchtung bei | |
gleichgeschlechtlichen Paaren stets erlaubt“, sagt Reiher. | |
Das Kinderwunschzentrum, in dem der Gynäkologe arbeitet, führt pro Jahr | |
rund 1.000 künstliche Befruchtungen durch, davon 50 bis 100 bei | |
gleichgeschlechtlichen Paaren. Viele der Patient:innen litten unter den | |
hohen Behandlungskosten. „Manchmal müssen wir mit der Behandlung warten, | |
weil das Geld nicht ausreicht“, sagt Reiher. „Unsere Patient:innen sind | |
in der Regel junge Leute und nicht alle verdienen gut, wir sind hier | |
schließlich in Leipzig.“ Bis zur Gesundheitsreform 2004 hat die gesetzliche | |
Krankenkasse die Kosten für vier Versuche einer künstlichen Befruchtung | |
komplett übernommen. Seitdem erstattet die Kasse nur noch 50 Prozent der | |
Kosten für maximal drei Versuche. Anspruch haben aber nur verheiratete | |
heterosexuelle Paare. Außerdem muss die Frau zwischen 25 und 40 Jahre alt | |
sein, der Mann zwischen 25 und 50. Eine weitere Bedingung ist, dass die | |
eigenen Ei- und Samenzellen verwendet werden. [5][So steht es in Paragraf | |
27a im fünften Sozialgesetzbuch.] | |
## Eine Frage des politischen Willens | |
Durch die Reform hat sich die Zahl der künstlichen Befruchtungen damals | |
mehr als halbiert: von 80.434 im Jahr 2003 auf 37.633 im Jahr 2004. Das | |
hatte zur Folge, dass weniger Kinder geboren wurden – auch in Sachsen. Um | |
den Geburtenrückgang zu stoppen, hat Sachsen 2009 als erstes Bundesland | |
damit begonnen, die künstliche Befruchtung finanziell zu fördern. „Das war | |
eine gute Entscheidung“, sagt Reiher, der Gynäkologe von der | |
Kinderwunschklinik Leipzig-Chemnitz. | |
Dass Sachsen bis heute nur heterosexuelle Paare unterstützt, kann der Arzt | |
jedoch nicht nachvollziehen. „Warum sollte man gleichgeschlechtlichen | |
Paaren mehr aus der Familienkasse nehmen als verschiedengeschlechtlichen? | |
Dafür gibt es keine Berechtigung, das ist althergebrachtes Denken.“ | |
Fragt man beim sächsischen Sozialministerium nach den Beweggründen, wird | |
auf die Richtlinie des Bundesfamilienministeriums [6][„zur Förderung von | |
Maßnahmen der assistierten Reproduktion“] verwiesen. Diese besagt, dass nur | |
heterosexuelle Paare Anspruch auf eine Förderung vom Bund haben und keine | |
Samenspende verwendet werden darf. Laut Sachsens Sozialministerin Petra | |
Köpping (SPD) müsse zuerst die Bundesrichtlinie entsprechend angepasst | |
werden, vorher sei Änderung der sächsischen Förderrichtlinie „nicht mögli… | |
bzw. nicht sinnvoll“. | |
Das allerdings stimmt nicht. Wie das Bundesfamilienministerium der taz | |
bestätigte, können die Länder in ihren Landesförderrichtlinien „eigene | |
Regelungen“ festlegen, die von der „Bundesförderrichtlinie abweichen“. In | |
diesen Fällen würde der Zuschuss dann ausschließlich aus Landesmitteln | |
finanziert und nicht auch aus Bundesmitteln. | |
## Grüne und SPD fordern Ende der Diskriminierung | |
Das heißt, Sachsen könnte sehr wohl künstliche Befruchtungen bei | |
homosexuellen Paaren fördern. Die schwarz-rot-grüne Landesregierung müsste | |
es nur wollen. Beziehungsweise die CDU. „Im 21. Jahrhundert ist es nicht | |
mehr zu erklären, warum gleichgeschlechtliche Paare von der Förderung | |
ausgeschlossen werden. Diese Diskriminierung muss endlich der Vergangenheit | |
angehören“, teilte Lucie Hammecke von den Grünen mit. | |
Von der SPD hieß es, dass Sachsen „natürlich“ auch gleichgeschlechtliche | |
Paare mit unerfülltem Kinderwunsch finanziell unterstützt solle. Die CDU | |
allerdings teile diese Auffassung nicht, „vermutlich aus ideologischen | |
Gründen“, sagte die gleichstellungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion | |
Hanka Kliese. Auf Anfrage der taz antwortete die CDU nicht. | |
Dass es rechtlich möglich ist, künstliche Befruchtungen bei | |
gleichgeschlechtlichen Paaren zu fördern, zeigen Beispiele aus anderen | |
Ländern. Das erste Bundesland, das diesen Schritt gegangen ist, ist | |
Rheinland-Pfalz. Seit 2021 können gleichgeschlechtliche weibliche Paare | |
dort Zuschüsse für eine künstliche Befruchtung erhalten. Danach folgten | |
Berlin, Bremen, Thüringen, Hessen und das Saarland. | |
Wie viel Geld die Betroffenen bekommen, variiert von Land zu Land. | |
Rheinland-Pfalz zum Beispiel übernimmt bei gleichgeschlechtlichen Paaren | |
bei den ersten drei Versuchen bis zu 12,5 Prozent der Kosten, beim vierten | |
Versuch bis zu 25 Prozent. | |
## Bremen erstattet homosexuellen Paaren bis zu 50 Prozent der Kosten | |
Bremen hingegen bezuschusst bei den ersten vier Versuchen jeweils bis zu 50 | |
Prozent. Damit erhalten homosexuelle Paare in Bremen eine höhere | |
Fördersumme vom Land als heterosexuelle, die nur bis zu 25 Prozent pro | |
Versuch erstattet bekommen. Wie das Bremer Frauenministerium auf Anfrage | |
mitteilte, gleicht das Land so „die Benachteiligung gleichgeschlechtlicher | |
Paare aus, die keine Förderung durch den Bund erhalten. Somit ist für alle | |
Paare die Fördersumme gleich.“ | |
Die Bremer Frauenministerin Claudia Bernhard (Linke) wünscht sich, dass | |
andere Länder und der Bund nachziehen. „Ein Kinderwunsch hat nichts mit dem | |
Geschlecht zu tun und auch gleichgeschlechtlichen Paaren sollte dieser | |
Wunsch nicht verwehrt bleiben“, sagte Linken-Politikerin der taz. „Paare | |
mit unerfülltem Kinderwunsch haben häufig einen langen und schmerzvollen | |
Weg hinter sich und die Förderung der Kinderwunschbehandlung kann zumindest | |
den finanziellen Belastungen begegnen.“ | |
Ein Großteil der Bundesländer, die ausschließlich heterosexuelle Paare bei | |
der künstlichen Befruchtung unterstützen, begründen dies ähnlich wie | |
Sachsen. Das zeigt einer Umfrage der taz unter allen Ländern. „Die | |
Förderbedingungen des Bundes dienen als Orientierung für die | |
Förderrichtlinien der Länder. Derzeit ist eine Förderung für | |
gleichgeschlechtliche Paare in Mecklenburg-Vorpommern danach nicht | |
möglich“, hieß es etwa aus dem dortigen Sozialministerium. | |
Vier Länder bezuschussen künstliche Befruchtungen grundsätzlich nicht, | |
weder bei hetero- noch bei homosexuellen Paaren. Dazu zählen Brandenburg, | |
Baden-Württemberg, Hamburg und Schleswig-Holstein. Diese Länder wünschen | |
sich eine bundeseinheitliche Regelung. | |
## Änderung auf Bundesebene wird noch dauern | |
Auf die Frage, warum der Bund keine Kinderwunschbehandlungen bei | |
gleichgeschlechtlichen fördert, antwortete das zuständige | |
Bundesfamilienministerium, dass sich die Bundesrichtlinie „eng“ an den | |
„bundesgesetzlichen Regelungen“ des Paragrafen 27a im fünften | |
Sozialgesetzbuch orientiere. „Auf Grund der Voraussetzung der | |
ausschließlichen Verwendung von Ei- und Samenzellen des zu behandelnden | |
Paares ist eine bundesseitige Förderung derzeit nur für heterosexuelle | |
Paare möglich.“ | |
Allerdings möchte die Ampel-Regierung die gesetzlichen Regelungen zur | |
künstlichen Befruchtung im Fünften Buch Sozialgesetzbuch ändern. Im | |
Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass die künstliche Befruchtung | |
„diskriminierungsfrei“ auch bei einer Samenspende förderfähig sein soll �… | |
„unabhängig von Familienstand und sexueller Identität“. Außerdem plant d… | |
Regierung, irgendwann zu einer vollständigen Kostenübernahme zurückkehren. | |
Wann die Regelungen im fünften Buch Sozialgesetzbuch reformiert werden, ist | |
allerdings ungewiss. „Die gesetzliche Umsetzung zu den im Koalitionsvertrag | |
festgelegten Punkten bleibt abzuwarten. Einen konkreten Zeitplan kann ich | |
Ihnen nicht nennen“, teilte das zuständige Bundesgesundheitsministerium auf | |
Anfrage mit. Was so viel heißt wie: Es wird noch dauern. | |
Bis es soweit ist, können gleichgeschlechtliche Paare mit unerfülltem | |
Kinderwunsch nur hoffen, dass doch noch ein paar Bundesländer ihre | |
Förderrichtlinie ändern. Dann bekämen sie immerhin einen kleinen Zuschuss. | |
Die Linksfraktion in Sachsen rechnet allerdings nicht damit, dass die | |
sächsische Regierung „in dieser Sache noch Veränderungen hinbekommt“. | |
16 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Die-was-bewegt-haben-I/!5470558 | |
[2] /Ampel-reformiert-Familienrecht/!5949567 | |
[3] /Kuenstliche-Befruchtung/!5947365 | |
[4] /Ampel-reformiert-Familienrecht/!5949567 | |
[5] https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__27a.html | |
[6] https://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_29032012_41487… | |
## AUTOREN | |
Rieke Wiemann | |
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