# taz.de -- Sommerserie „Wie riecht Berlin“ (9): Ein Duft von Welt | |
> Zu Gast bei einer Friedrichshainer Kaffeerösterei gerät unser Autor in | |
> olfaktorische Schwärmerei: Über Kaffeeduft zu DDR-Zeiten und ein | |
> Kiez-Café. | |
Bild: Wenn die Kaffeemaschine dampft … Rösterei und Café in einem: die „B… | |
BERLIN taz | „Riech mal“, sagt eine ältere Dame zu ihrer Begleitung, einem | |
viel jüngeren Mann, vielleicht ihr Enkel. Die beiden gehen am Café „Blaue | |
Bohne“ vorbei. „Hier wird Kaffee geröstet“, lächelt die Frau – und sc… | |
sind die beiden wieder weg. | |
Der Duft von frisch geröstetem Kaffee bleibt für einen flüchtigen Moment. | |
Man nimmt ihn an diesem Tag aber schon von Weitem wahr, wenn man im | |
Friedrichshainer Südkiez von der Boxhagener Straße kommend über den | |
Wismarer Platz läuft und in die Seumestraße einbiegt. Das verführerische | |
Aroma kommt aus der Hausnummer 14, übrigens ein selbstverwaltetes Haus, wo | |
die [1][Rösterei „Blaue Bohne“] seit 2009 ihr Domizil hat. Doch es braucht | |
auch etwas Glück: Geröstet wird nur drei- bis sechsmal die Woche. Kaffee | |
trinken kann man hier aber eigentlich immer (außer Dienstagvormittag), die | |
Blaue Bohne ist Rösterei und Café zugleich. | |
Heute gönnt sich der Autor dieses Textes einen Cappuccino – ausgesucht hat | |
er sich die Sorte „Berlin“, eine Mischung von Arabicabohnen aus Honduras | |
und Äthiopien mit – ganz wie versprochen – milder Säure und | |
Geschmacksnoten, die an Schokolade und Nüsse erinnern. Auf dem Gehsteig auf | |
einfachen wie schönen Holzbänken sitzend lässt sich das entspannte Treiben | |
in dieser eher ruhigen Seitenstraße beobachten. | |
Gerüche lösen Erinnerungen und Assoziationen aus. Frisch gerösteter Kaffee, | |
auch frisch gemahlener, lässt mich immer wieder an meine Kindheit in der | |
DDR denken. Man könnte das auch olfaktorische Schwärmerei nennen. Es muss | |
daran liegen, dass im real existierenden Sozialismus „echter Bohnenkaffee“, | |
wie man ihn damals noch nannte, reinste Mangelware war. Kaffeebohnen waren | |
damals für die DDR nur gegen Valuta zu bekommen, doch davon hatte der Staat | |
nicht genug. | |
## „Guter Kaffee“ aus dem Westen | |
Dafür waren Mischungen im Handel: halb Bohnenkaffee, halb Muckefuck, ein | |
Pulver aus gerösteten und gemahlenen Pflanzenteilen, etwa Zichorie oder | |
Getreide. Dieser „Kaffee-Mix“, in Zeiten der [2][Kaffeekrise] Mitte der | |
1970er kreiert, schmeckte nicht wirklich, war aber halbwegs billig. | |
„Echter“ Bohnenkaffee dagegen war für DDR-Verhältnisse, ein Land des hoch | |
subventionierten billigen Lebens, so richtig teuer. Es gab ihn deshalb auch | |
nur in kleinen 125-Gramm-Packungen zu 7,50 Mark der DDR, wenn ich meiner | |
Erinnerung trauen darf. | |
Wie gewichtig kamen da die ein Pfund schweren Kaffeepackungen in den | |
[3][Westpaketen von Onkel Walter] aus Dortmund daher. Dieser galt Oma und | |
Mutter als der „gute Kaffee“, den es nur sonntags zu trinken gab. | |
So ein Westpaket – „Geschenksendung, keine Handelsware“ musste der | |
Westverwandte aufs Paket schreiben – kam alle sechs bis acht Wochen bei uns | |
an und brachte den Geruch der weiten Welt zu uns nach Hause. An die | |
olfaktorische Explosion beim Öffnen des Pakets kann ich mich bis heute | |
erinnern. Die Seifenstücke verströmten ihren süßlichen Geruch. Abgelegte, | |
aber bestens erhaltene Kleidungsstücke rochen – für DDR-Nasen übertrieben | |
penetrant – nach Westwaschpulver. Und dann war da natürlich der (gemahlene) | |
Westkaffee im Paket – der aber erst nach dem Öffnen so herrlich frisch | |
duftete. Das alles hat sich tief in mein Geruchsgedächtnis eingebrannt. | |
Die Sache entwickelte sich natürlich weiter. Heute kaufe ich keinen | |
gemahlenen Kaffee mehr, ich mahle meine Kaffeebohnen stets frisch, weil mir | |
das besser mundet. Und weil das Geruchserlebnis beim Öffnen der Dose – und | |
mehr noch nach dem Mahlen – dazugehört. Egal, wo ich hinfahre, ich bringe | |
immer eine Packung Kaffee einer ortsansässigen Kaffeerösterei mit. | |
Sozusagen als olfaktorisches Souvenir. Beste Röstereien gibt es zum | |
Beispiel in Telgte im Münsterland, in Heidelberg, in Halle/Saale und Erfurt | |
– oder eben in Friedrichshain. | |
## Guter Kaffee aus Friedrichshain | |
Die Rösterei Blaue Bohne ist eine feste Größe im Kiez. „Wir haben viele | |
Stammgäste“, sagt Inhaber Pablo Fuchs, der Head of Coffee, der viele Gäste | |
beim Namen kennt und freundlich begrüßt. „Es ist eine familiäre Community.… | |
Fuchs fing 2012, damals noch Student, als Barista bei der Blauen Bohne an. | |
2019 übernahm er das Geschäft komplett und gründete die GmbH. „Mittlerweile | |
sind wir 10 Leute, die aus aller Welt kommen, von Südafrika bis | |
Neuseeland.“ Darum ist oft Englisch zu hören, auch von der Gästeschar, aber | |
der Kaffee lässt sich hier immer noch auf Deutsch bestellen. | |
„Wir arbeiten eher wie ein Kollektiv“, sagt Fuchs, „es gibt keine | |
Hierarchien, auf monatlichen Meetings diskutieren wir alles aus, bis wir zu | |
einem Ergebnis kommen.“ Zum offenen Arbeitsklima gehört die „vollzeitnahe | |
Teilzeit“ – die wöchentliche Arbeitszeit beläuft sich auf 34 statt der | |
üblichen 40 Stunden (bei vollem Lohnausgleich). | |
Alle Mitarbeitenden dürfen übrigens so viel Kaffee trinken, wie sie wollen, | |
sagt Fuchs. „Das ist ja auch eine Form der Qualitätskontrolle, wenn man die | |
eigene Röstung probiert.“ Es gibt verschiedene Röstungen, 9 bis 12 an der | |
Zahl, das schwankt. „Jeden Tag sind zwei unserer Röstungen plus unsere | |
entkoffeinierten Bohnen in der Mühle.“ | |
Der Rohkaffee lagert in einem separaten Raum nebenan, in dem es auch eine | |
Lehrküche für angehende Baristas gibt – und eine extra kleine, aber feine | |
Röstmaschine aus Norwegen, in der sich je 100 Gramm rösten lassen. Mit | |
einer so kleinen Menge lässt sich gut herumprobieren, was schmeckt oder | |
eben nicht. „Jede Bohne hat ihre eigenen Beschaffenheit“, erklärt Pablo | |
Fuchs. „Kaffee ist ein Naturprodukt, jeder ist anders. Es kommt darauf an, | |
wo er herkommt, wie der Boden beschaffen ist – wie beim Wein“, sagt Fuchs | |
und öffnet nebenbei einen Sack mit Rohkaffee aus Nicaragua. | |
## Bis zu 800 Aromastoffe | |
Und schon darf der Autor schnuppern. Die bleichen, ungewaschenen und | |
ungerösteten Kaffeebohnen aus dem Sack riechen nach Hefe, die gewaschenen | |
Bohnen aus einem anderen Sack dagegen wie Heu, ja fast wie japanischer | |
Sencha-Tee. „Wir rösten behutsam und schonend“, sagt Fuchs, „weil wir die | |
einzigartige Charakteristik dieses perfekten Naturprodukts herausstellen | |
wollen.“ In Kaffeebohnen stecken angeblich bis zu 800 Aromastoffe. | |
Das lasse sich erschmecken, wenn man sich durch die halbe Welt trinkt. Die | |
Blaue Bohne bezieht Kaffee unter anderem aus Sumatra, Indien, Brasilien, | |
Kolumbien und Honduras. „Wir stehen mit Farmern direkt in Kontakt oder | |
haben sie auf Messen getroffen. Wir versuchen, langfristige Verbindungen | |
aufzubauen, die nachhaltig sind.“ | |
Die Röstmaschine, die große, steht dort, wo auch der Café-Betrieb läuft, | |
man kann sie also bei der Bestellung am Tresen sehen. Sie lässt sich mit | |
bis zu 10 Kilogramm Rohkaffee befüllen – am Ende kommen 8,5 Kilogramm | |
heraus, denn die Bohnen verlieren an Wasser und damit Gewicht. Eine Röstung | |
dauert 13 bis 19 Minuten, erklärt Fuchs, je nach gewünschtem Ergebnis. | |
Die frisch gerösteten Bohnen landen direkt in einer der vielen | |
Weißblechtonnen, die aufgereiht wie eine Wand aus überdimensionierten | |
Kaffeedosen wirken. Sie müssen zwei Wochen lang „ausgasen“, wie es im | |
Fachjargon heißt, bevor der Kaffee abgepackt werden kann. Das Ausgasen geht | |
auch in der Packung weiter, daher wird der Kaffee auch nicht vakuumiert, | |
sondern in Verpackungen mit einem Aromaventil verkauft. Verpackt wird in | |
der „Blauen Bohne“ komplett händisch, auch dabei lässt sich mit etwas Gl�… | |
zuschauen. Das Endprodukt geht dann direkt über den Tresen, wird im | |
Onlineshop gekauft oder an verschiedene Gastrokunden geliefert – nachhaltig | |
per Fahrradkurier. | |
Und was ist jetzt das Geheimnis guten Kaffees aus Sicht des Fachmanns? | |
Pablo Fuchs genügt ein Wort: „Frische!“ Und erklärt dann doch auf | |
Nachfrage, dass es unnötig sei, den Kaffee im Kühlschrank aufzubewahren. | |
„Trocken und dunkel lagern“ heiße die Devise bei Kaffee – und: „Schnell | |
verbrauchen, am besten in 2 bis 12 Wochen nach der Röstung.“ Deshalb trägt | |
jede Verpackung neben Herkunft der Bohnen und dem Röstdatum auch einen | |
Vermerk, wie viele Wochen nach Röstung der jeweilige Kaffee am besten | |
schmeckt. Und duftet. | |
19 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://blauebohne.com/ | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Kaffeekrise_in_der_DDR | |
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## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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