# taz.de -- 7 Schritte für Redaktionen: Bessere Klimaberichterstattung | |
> Im Journalismus ist es wie in der Klimakrise: Es verändern sich Dinge, | |
> aber nicht schnell und umfassend genug. Das kann sich ändern. Eine | |
> Anleitung. | |
Bild: 15. Juli 23, Delhi: Journalist mitten in der Klimakrise | |
Mit alarmierenden neuen Studien, Messungen und – angesichts dessen – meist | |
völlig inadäquaten klimapolitischen Diskursen hätten sich spätestens | |
[1][seit den Bildern des rauchverhangenen Himmels über Washington und New | |
York] Anfang Juni locker Nachrichtenticker wie in der Coronakrise füllen | |
lassen. | |
Stattdessen wurden viele der Brände, Überflutungen, Hitzewellen und Stürme | |
weltweit in Redaktionen offenbar als „neues Normal“ hingenommen. Dieses | |
neue Normal wird es jedoch nicht geben, bevor der Anstieg der Erderhitzung | |
nicht gestoppt ist. Das, was wir gerade bei rund 1,2 Grad über | |
vorindustriellem Niveau erleben, ist erst der Anfang. | |
Und damit wären wir beim ersten Schritt, mit dem Redaktionen ihre | |
Klimaberichterstattung schnell und nachhaltig verbessern können: | |
## Schritt 1: Kontext liefern | |
Nicht jedes Extremwetterereignis lässt sich auf den Klimawandel | |
zurückführen. Um das wissenschaftlich sauber einzuordnen, müssen | |
Journalist*innen aber nicht in jedem Fall auf eine Studie des | |
Extremwetter-Instituts World Weather Attribution warten. Oft hilft auch ein | |
Blick i[2][n deren Leitfaden für Medien]. Bei Hitzewellen etwa lässt sich | |
der Zusammenhang sehr eindeutig herstellen, schreiben die Expert*innen: | |
„Jede Hitzewelle auf der Welt ist aufgrund des menschengemachten | |
Klimawandels bereits stärker und wahrscheinlicher geworden.“ | |
Das ist nicht der einzige Kontext, der in der Berichterstattung oft fehlt. | |
Über den Neubau von Autobahnen, über Flugreisen, Gasheizungen oder | |
Grill-Tipps zum Wochenende wird oft noch immer berichtet, [3][als hätte all | |
dies keinerlei Auswirkungen für die Klimakrise] – und die Klimakrise keine | |
Auswirkungen auf diese Vorhaben. Daher: | |
## Schritt 2: Klima immer und überall mitdenken | |
Verbindungen zur Klimakrise müssen überall dort transparent gemacht werden, | |
wo sie bereits vorhanden sind. Etwa bei jedem Bauprojekt: | |
Wie steht es um die Klimabilanz des Gebäudes? Entspricht es den Standards, | |
die wir in Zukunft brauchen? Oder ist es einfach und kostengünstig | |
umrüstbar? Mit Blick auf Flächen- und Ressourcenverbrauch, Artensterben, | |
Oberflächenversiegelung und die derzeit noch unvermeidlichen Emissionen aus | |
der Produktion von Beton und Stahl stellt sich außerdem die Frage: Ist ein | |
Neubau überhaupt notwendig? | |
Und: Wie gut wird sich das Gebäude im Klima von 2035, 2050 oder gar später | |
nutzen lassen? Welche Gefahren gibt es am geplanten Standort? Was gibt es | |
für Vorkehrungen gegen starken Hagel, Stürme, Hitze oder Überflutungen? | |
## Schritt 3: Strukturelle Probleme anerkennen | |
Nur wenige Kolleg*innen können die Auswirkung von 1,2, 1,5 und 2 Grad | |
Erderhitzung erklären; oder wie CO2-Budget, Kipppunkte und die aktuelle | |
Klimapolitik zusammenhängen und was dies für unsere Lebensgrundlagen | |
bedeutet. | |
In der Breite der Redaktionen fehlt es an Faktenwissen zur Klimakrise. Das | |
ist – ähnlich wie in der Klimakrise insgesamt – kein individuelles Problem | |
einzelner Journalist*innen. [4][Es ist ein strukturelles Problem], für das | |
es strukturelle Ursachen gibt. In Ausbildung und Studium wurden die | |
Zusammenhänge nicht vermittelt. Sich neben der eigenen Arbeit noch in ein | |
weiteres, extrem komplexes Fachgebiet einzuarbeiten, ist für viele | |
Journalist*innen nur sehr schwer möglich. Fast alle arbeiten unter | |
Zeitdruck, der Workload in der Branche ist riesig. Redaktionen müssen und | |
können dafür Lösungen finden. | |
## Schritt 4: Redaktionen mehr Fachwissen ermöglichen | |
Damit Autor*innen, Reporter*innen und Redakteur*innen wirklich | |
fundiert über Klimathemen berichten können, brauchen sie die entsprechenden | |
Ressourcen. Diverse Redaktionen haben in der Vergangenheit versucht, diese | |
[5][Lücke über Klima-Ressorts zu schließen]. Das ist ein sinnvoller | |
Zwischenschritt, um Expertise im Haus auf- und auszubauen; es reicht aber | |
nicht aus, um schnell genug Veränderung anzuschieben. Was es jetzt braucht, | |
ist eine Sensibilisierung von Führungskräften und Fortbildungen für alle in | |
den Redaktionen. | |
## Schritt 5: Verzögerungsnarrative einordnen | |
Man kann sich regelmäßig in großen Dokumentationen und Berichten darüber | |
informieren, [6][wie früh fossile Konzerne gewusst haben], welche | |
Auswirkungen ihr Geschäft hat und wie viel Geld sie investiert haben, um | |
Desinformation zu streuen und Verunsicherung zu erzeugen. Doch ebenso | |
regelmäßig kann man ebenjene Narrative in der Berichterstattung | |
uneingeordnet wiederfinden, abgebildet als eine legitime politische Meinung | |
unter vielen. | |
„Nicht ich. Nicht jetzt. Nicht so. Zu spät.“ Die [7][sogenannten | |
„Discourses of Delay“] sollte jede*r Journalist*in kennen und die | |
Narrative entsprechend kritisch einordnen können. Sie einfach | |
wiederzugeben, ist nicht neutral. Es ist das Gegenteil. | |
## Schritt 6: „False Balance“ vermeiden | |
Der Begriff „False Balance“ war für viele Journalist*innen vor der | |
Coronapandemie genauso nebulös wie „Inzidenz“ oder „R-Wert“. In Bezug … | |
die Klimaberichterstattung scheint die Bedeutung auch heute für viele noch | |
unklar. Dabei kann „False Balance“ zu jeder möglichen Detailfrage erzeugt | |
werden: Dazu etwa, welche Rolle E-Fuels auf dem Weg zur Klimaneutralität | |
spielen, mag es politisch unterschiedliche Meinungen geben – | |
wissenschaftlich ist die Frage [8][relativ eindeutig zu beantworten.] | |
Journalistisch jedoch unterbleibt diese Einordnung oft, aus Unwissen, oder | |
aus der Angst heraus, „parteiisch“ zu wirken. | |
## Schritt 7: Lösungen kritisch mitberichten | |
Wer den Fokus allein auf Probleme richtet, bildet nur einen Teil der | |
Realität ab. Wenn man sich das Ausmaß der Klimakrise bewusst macht, kann | |
sie überwältigend und unlösbar erscheinen. Doch die Wissenschaft ist sich | |
einig: Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Es gibt | |
Lösungen. Welchen Anteil welche Maßnahmen leisten könnte, sollten | |
Journalist*innen ungefähr einordnen können. Oder zumindest wissen, wo | |
sie es nachschlagen können. | |
Zusammengefasst wird das praktischerweise im dritten Teil des aktuellen | |
Berichts des Weltklimarates (IPCC). Mit Verweis darauf ließe sich nicht nur | |
jede Debatte über E-Fuels ziemlich schnell abkürzen. | |
Sara Schurmann ist freie Journalistin, Autorin und Journalismus-Trainerin. | |
Im Sommer 2021 gründetet sie das Netzwerk Klimajournalismus Deutschland | |
mit. 2022 erschien ihr erstes Buch „Klartext Klima“. | |
14 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Kampf-gegen-Klimakatastrophe/!5944181 | |
[2] https://www.worldweatherattribution.org/wp-content/uploads/DE_WWA-Uber-xtre… | |
[3] https://uebermedien.de/76407/die-klimakrise-eskaliert-und-der-journalismus-… | |
[4] https://www.deine-korrespondentin.de/mehr-klimaberichterstattung/ | |
[5] /Neues-Klima-im-Journalismus/!5949477 | |
[6] /Schwerpunkt-Klimasabotage/!t5919498 | |
[7] https://www.cambridge.org/core/journals/global-sustainability/article/disco… | |
[8] /Steuerverguenstigungen-fuer-E-Fuels/!5957680 | |
## AUTOREN | |
Sara Schurmann | |
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