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# taz.de -- Junge Autoliebhaber auf der IAA: Menschen, die auf Autos starren
> Was verbinden junge Erwachsene mit Autos? Ein Rundgang über die IAA in
> München.
Bild: Ein Reporter vor dem Stand des chinesischen Herstellers BYD in der Münch…
Am Odeonsplatz in München hört man es brummen. Es ist ein Peugeot 9x8 mit
Hybridmotor und Allradantrieb, ein Le Mans Hypercar, also ein besonders
leistungsfähiger Sportwagen mit herausragenden Fahrleistungen für
Rennstrecken, dafür weder komfortabel noch alltagstauglich. Vor einem Jahr
enthüllt und seitdem auf den Rennstrecken der Welt unterwegs. Beim Brüllen
rennen alle Kleinen mit großen, leuchtenden Augen auf das Rennauto zu.
Schauerlicher Motorsound begeistert die kleinsten Gäste der
[1][Mobilitätsmesse IAA].
Doch der Sound kommt nicht aus dem Triebwerk, sondern aus einem
Lautsprecher. Der ausgestellte Peugeot 9x8 besteht aus Lego und steht am
Lego-Technics-Stand. Es ist der einzige gefährliche Motorsound, der hier zu
hören ist. Klanglich dominiert eher das Klingeln von Radfahrer:innen, die
an der überschaubaren Menschenmasse vorbeiwollen.
Es ist Mittwoch, der zweite Tag der diesjährigen IAA. Nicht nur auf dem
Messegelände, auch in der Innenstadt sind Stände aufgebaut. Am
Max-Joseph-Platz stehen junge Familien im Erlebnisbereich von BMW, wo
Angestellte mit knalligen Hüten Spielzeugautos verschenken. Am VW-Stand
gibt es Holz, viel Holz. Vor tapezierten Weizenfeldern und einem VW-Bus mit
Surfbrettern kann man Polaroidfotos machen. Im Hintergrund läuft Ladybug,
ein Superhelden-Franchise für Kinder. Im Kinofilm fährt die Heldin bereits
den vollelektrischen Käfer, auf den Markt kommt das Auto jedoch frühestens
2026.
In der Zwischenzeit bleiben andere, interessiert blickende Väter mit ihren
Söhnen am Stand vor den Autos des chinesischen Autokonzerns BYD stehen.
Hier sind dicke SUVs mit Hybrid- oder komplett elektrischem Antrieb
ausgestellt. Vor dem Stand verteilen junge blonde Frauen, die untereinander
Russisch sprechen, hochwertige Wasserflaschen.
## Was interessiert die jungen Leute?
Überall findet sich viel Holz, neben nachhaltigen Mobilitätsträumen und
stillen, versteckten Verbrennermotoren. So erreiche man die jungen Leute
nicht, kommentierte Ulf Porschardt, Welt-Chefredakteur und Autoliebhaber,
vergangene Woche die IAA. „Die Faszination wilder Verbrennerautos ist
ungebrochen, gerade unter jungen Leuten. Doch die zuständige Industrie im
Auto-Mutterland wagt es nicht mehr, diese Leidenschaft zu feiern.“
Stimmt das? Wird den jungen Leuten eine Zukunft von knarrenden Motoren
genommen? Gibt es einen Zusammenschluss zwischen Jugendlichen, die sich für
Autos interessieren, und Baby-Boomern?
Jungs mit gegelten Haaren laufen mit ihren gestylten Freundinnen vorbei an
den Ständen von Renault, Opel und E-Bikes, direkt in die Apothekenhöfe an
der Residenz, dem einstigen Sitz der Monarchen von Bayern. Dort im Hof
werden neue Modelle von Mercedes vorgestellt, auch Luxusmodelle wie Maybach
und AMG. Junge Angestellte in weißen Oversize-T-Shirts und Sportschuhen
versuchen hier, mit dem Slogan „Embrace Tradition“ die
Verbrenner-faszinierten Teenager anzusprechen. Viel werden die Hypercars
betätschelt.
## Moderne Designs sagen nicht zu
Neben einem Mercedes AMG One mit Flügeltüren stehen Sophie und Josua, beide
26 Jahre alt. Josua schaut das Fahrzeug, das laut eigenen Angaben trotz
Hybridmotor einen Verbrauch von 9,9 Litern pro 100 Kilometer hat, liebevoll
an. Er arbeitet in der Autobranche, als Mechatroniker und Karosseriebauer
bei CAT in Emmering, während Sophie Public Health studiert.
Ursprünglich stammen beide aus Oberbayern, zogen aber mit 22 Jahren nach
München. Schon mit 17 Jahren hatten sie ihren Führerschein und viele Jahre
lang ein Auto – einen Toyota, den sie letzten Winter verkauften. „Es hat
sich einfach nicht mehr gelohnt in der Stadt“, erklärt Josua, „Es war zu
teuer und unnötig.“ Für Sophie war der Klimaaspekt wichtig: „Ich war
erleichtert, als der verkauft war.“
Josua gibt zu, dass er über den ökologischen Aspekt nie nachgedacht hat. Er
kann trotzdem nicht genau sagen, warum sich seine Beziehung zu Autos so
drastisch verändert hat, obwohl er selbst mit Autos arbeitet. Das moderne
Design vieler Autos, vor allem die auffälligen Modelle mit den protzigen
Mündern wie bei BMW, sagt ihm nicht mehr zu. Viele Fahrzeuge wirken auf
ihn, als seien sie aus einer alten Science-Fiction-Vision entsprungen –
hässlich und wenig retro.
## Klimaschutz oder einfach nur Pragmatismus?
Josua und Sophie sind jetzt Fans des Deutschlandtickets. Sie fahren mit dem
Regio zu ihren Eltern – und lassen sich dann am Bahnhof abholen. [2][Die
Proteste gegen die IAA] verstehen sie, auch wenn sie bisher wenig davon
mitbekommen haben. Sie finden es etwas widersprüchlich, hier zu sein, aber
sehen es mehr als ein Münchner Straßenfest.
Hört man sich unter den Besucher:innen um, äußern sich viele junge
Gäste der IAA ähnlich. Sie feiern Autos, und viele, die hier in Gruppen
zusammen unterwegs sind, arbeiten auch selbst in der Automobil- oder
Motorradbranche, bei BMW, Audi und Zulieferern. Und viele denken trotzdem
darüber nach, ihr Auto zu verkaufen, oder haben es bereits getan. Manche
meinen, dass der Klimaschutz allerhöchstens unterbewusst die Entscheidung
beeinflusst habe, häufiger ist es Pragmatismus.
Viele Aussagen decken sich weniger mit Ulf Poschardt, sondern eher mit
Luisa Neubauer. Die äußert sich zur IAA im Interview [3][mit dem
rbb-Inforadio] besorgt über die Bemühungen, die Abhängigkeit der Menschen
vom Auto aufrechtzuerhalten.
„Es gibt viele Regionen in Deutschland, in denen die Nutzung des eigenen
Autos immer wieder subventioniert wird“, betont sie. „Wenn alle Bürgerinnen
und Bürger in diesem Land eine wirklich gute und bezahlbare Alternative zum
eigenen Auto hätten, sähe die Welt sicherlich anders aus.“ Neubauer stellt
aber auch klar, dass ihre Kritik an der IAA nicht die Freiheit der
individuellen Mobilität infrage stelle. Sie selbst erinnere sich daran, wie
wichtig es für sie gewesen sei, gleich nach ihrem 18. Geburtstag ihren
Führerschein zu machen.
## Es geht um Ästhetik und Nostalgie
Doch es gibt auf der IAA auch die Petrolheads, für die das Auto nicht bloß
ein Transportmittel ist. Junge Erwachsene, die jede Automarke und jedes
Modell mit Leistungen aufzählen können wie andere Fußballspieler.
Felix und Philipp, Münchner, 21 und 22 Jahre alt, teilen diese
Leidenschaft. Gerade schauen sie sich den elektrischen Bulli von VW an,
etwas gelangweilt sehen sie dabei aus. Ältere Autos begeistern sie eher.
„Ich finde es schon schade. Brennermotoren haben einen guten Sound, aber,
klar, umwelttechnisch ist es schon ein Unterschied“, sagt Philipp.
Philipp, Surferfrisur, fährt das alte Auto von Papa. Er ist mit einem Ford
Focus mit Diesel unterwegs und besucht die Berufsschule. Felix hat eine
Ausbildung als Einzelhandelskaufmann und fährt stolz seinen Audi S3 mit
Benzinmotor und schraubt auch selbst dran. Für sie ist es nicht nur eine
Leidenschaft, sondern eine Kunstform. Beide gehen oft am Wochenende zu
Petrolhead-Veranstaltungen und schwärmen dort mit anderen von V8-Motoren
und ihrem beeindruckenden Sound.
Bei den Petrolhead-Veranstaltungen stehen klassische Fahrzeuge im
Mittelpunkt, meistens Oldtimer (30 Jahre und älter) oder auch Youngtimer
(ab 20 Jahre). Es sind vor allem Unter-30-Jährige, die sich einen
Youngtimer zulegen oder von den Eltern bekommen und daran herumschrauben.
Ästhetik und Nostalgie spielen eine große Rolle.
## Die größten Events sind in Stuttgart
Die größten Events dieser Art finden in Stuttgart und Hamburg statt, es
gibt aber auch das Craftwerk Berlin oder „Wheels and Weißwürscht“. Die
Namen der Veranstaltungen klingen mehr nach Cafés in der Innenstadt, nicht
nach rostiger Tuner-Szene im Hinterland. Und so ist auch das Publikum:
akademische oder sonst gut bezahlte junge Erwachsene, die sich wöchentlich
Autoausstellungen anschauen und davon Bilder auf Instagram posten.
Ähnlich wie Philipp, der sich selbst eher der „linken Ecke“ zuordnen würd…
sind viele junge Petrolheads offen gegenüber einer Mobilitätswende. Wenn
sie sich mit anderen Autofans am Wochenende treffen, seien es eher die
älteren Autofans, die da verbohrter seien, sagt Philipp.
Philipp und Felix sind zwar gern auf der IAA, aber die neuen Autos haben
für die Petrolheads ihren Reiz verloren, da es weniger mechanische
Innovation gibt. Und, was die FDP freuen dürfte: Sie glauben, dass sich
Wasserstoff als Antrieb durchsetzen werde, genau begründen können sie das
nicht.
Und was, wenn es irgendwann nur noch ein paar alte Autos in der Stadt gibt,
die man wie Denkmäler bestaunen könne? Dann wäre das für Philipp und Felix
auch okay.
9 Sep 2023
## LINKS
[1] /IAA-Automesse-in-Muenchen/!5955112
[2] /Proteste-gegen-Automesse/!5955741
[3] https://www.ardaudiothek.de/episode/politik/iaa-neubauer-kritisiert-verloge…
## AUTOREN
Jean Dumler
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