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# taz.de -- Klimagipfel in Afrika: Supermacht im Klimaschutz
> Afrikas Staaten beanspruchen mit ihrem Klimagipfel eine Führungsrolle in
> der Energiewende – und machen ein schwieriges Angebot.
Bild: Ausstiegsforderungen: Klimaaktivist:innen fordern von den versammelten Po…
Kampala taz | „Afrika erwache!“, singt die kenianische Musikband; „Afrika
ist die Lösung“, heißt es in der zweiten Strophe. Dann tritt [1][Kenias
Präsident William Ruto] auf das Podium, um seine Abschlussrede zu halten.
Hinter ihm haben sich Dutzende afrikanische Staats- und Regierungschefs auf
dem zentralen Platz des Kongressgeländes aufgestellt, um die
Abschlusserklärung des dreitägigen Afrika-Klimagipfels zu verlesen, der
diese Woche in Kenias Hauptstadt Nairobi stattgefunden hat.
„Wir haben in Nairobi Geschichte geschrieben“, fasste Ruto die
Verhandlungen der vergangenen Tage zusammen. „Diese Woche haben wir
afrikanische Staatschefs eine gemeinsame, starke, afrikanische Position
erarbeitet, wie die internationale Gemeinschaft sich engagieren soll im
Angesicht der nicht zu leugnenden Dringlichkeit, dass der Klimawandel den
Wohlstand der Menschheit gefährdet.“
Einstimmig wurde die Nairobi-Erklärung am Mittwoch am Spätnachmittag
angenommen. Insgesamt wurden 23 Milliarden Dollar zugesagt, die in den
nächsten Jahren auf dem Kontinent in grüne Energie investiert werden
sollen. Dabei wird nun ein ganz neues Narrativ angestimmt: Der afrikanische
Kontinent, der bereits unter extremen Folgen des Klimawandels wie Dürre,
Fluten und Starkregen leidet, will sich nicht weiter als Opfer, sondern als
Lösung des weltweiten Klimawandels verstehen.
„Afrika ist der Kontinent mit 60 Prozent der weltweiten erneuerbaren
Energieanlagen, darunter Solar- und Windenergie, Geothermie und
Wasserkraft“, betonte Ruto. „Wir verfügen über zwei Drittel des
unkultivierten Ackerlands der Welt, das eine intelligente Landwirtschaft in
den Produktionsspeicher der Welt verwandeln kann“, sagte er und forderte,
eine „globale Koalition aus Notfallhelfern zu mobilisieren, um
sicherzustellen, dass die Industrialisierung, die für den künftigen
wirtschaftlichen Wandel erforderlich ist, die Vitalität und das ökologische
Gleichgewicht unseres Planeten wiederherstellt“.
## Afrika kann ein grüner Industriestandort sein
In der Praxis bedeute dies, so wurde auf dem Gipfel immer wieder betont,
dass die Afrikaner sich wünschten, dass westliche Konzerne und Investoren
auf dem Kontinent nicht auf die Ausbeutung fossiler Brennstoffe wie Öl und
Gas setzten, wie es nach wie vor der Fall ist. In Ostafrika bauen der
französische Ölmulti Total und der chinesische Staatskonzern CNOOC derzeit
[2][die längste beheizte Ölpipeline der Welt]. Ziel solle es vielmehr sein,
dass internationale Konzerne in Zukunft nach Kobalt, Mangan und Platin
bohrten – alles seltene Rohstoffe, die für die Herstellung von
Wasserstoffbrennzellen oder Akkus für [3][Elektroautos] weltweit dringend
benötigt werden.
„Afrika kann ein grüner Industriestandort sein, der anderen Regionen
hilft, ihre Netto-null-Strategien bis 2050 zu erreichen“, sagte Ruto auf
dem Gipfel. „Die Erschließung der erneuerbaren Energieressourcen, die wir
auf unserem Kontinent haben, ist nicht nur gut für Afrika, sondern auch gut
für den Rest der Welt.“
Nach Angaben der Vereinten Nationen trägt der Kontinent nur knapp 3
Prozent zu den weltweiten Emissionen bei, leidet aber am meisten unter dem
Klimawandel. Extreme Wetterereignisse sind in den letzten Jahren häufiger
geworden. „Erneuerbare Energien könnten das afrikanische Wunder sein, aber
wir müssen es schaffen. Wir müssen alle zusammenarbeiten, damit Afrika eine
Supermacht für erneuerbare Energien wird“, betonte UN-Generalsekretär
António Guterres am Dienstag auf dem Gipfel.
## Schulden gegen Energie tauschen
Die Hürde bleibt allerdings die Finanzierung. In einem am Mittwoch
veröffentlichten Bericht forderten die Internationale Energieagentur (IEA)
und die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) in einer gemeinsamen Erklärung
im Rahmen des Gipfels die Geber- und Entwicklungsfinanzierungsinstitutionen
auf, die Finanzierung gewaltig aufzustocken, um Investitionen des privaten
Sektors in Afrikas Energiesektor zu fördern. Dazu heißt es in dem
gemeinsamen Kommuniqué: „Kapital von rund 28 Milliarden US-Dollar pro Jahr
ist erforderlich, um bis 2030 Investitionen des Privatsektors in Höhe von
90 Milliarden US-Dollar zu mobilisieren – eine mehr als zehnfache
Steigerung gegenüber heute.“
Immerhin, die AfDB kündigte an, sie werde 23 Milliarden US-Dollar in den
Africa Climate Change Fund „für grünes Wachstum, Klimaschutz- und
Anpassungsbemühungen“ einstellen. Und auch andere Geber machten Zusagen:
Die Vereinigten Arabischen Emirate, wo im Dezember [4][der nächste
internationale Klimagipfel COP28 stattfinden wird], sagten 4,5 Milliarden
Dollar zu. „Wir hören euch“, betonte auch Ursula von der Leyen, Präsident…
der Europäischen Kommission, in ihrer Rede und stellt 150 Milliarden Euro
in Aussicht, die die EU in Zukunft in Afrikas grüne Energiewende
investieren wolle.
Die Bundesregierung hat in Nairobi rund 480 Millionen Dollar in Aussicht
gestellt, um bei der Entwicklung einer grünen Energieinfrastruktur zu
helfen. Darunter sind auch rund 65 Millionen Dollar, die als
„Schuldenumwandlung für Naturschutz“ eingesetzt werden sollen. Diese
sogenannten Debt-for-nature Swaps sind jüngst in der Frage, wie die heillos
überschuldeten Staaten Afrikas überhaupt in der Lage sein sollen, in neue,
umweltschonende Energien zu investieren, als Finanzierungsinstrument
populär geworden. Dabei erlässt die Bundesregierung nun in diesem Beispiel
dem Land Kenia Schulden im Umfang von 65 Millionen Dollar. Das frei
gewordene Geld soll Kenia stattdessen in Naturschutzprojekte investieren.
## Ein System das alle gleich behandelt
Doch diese Schuldenumwandlung hat auch einen Haken, so Malina Stutz vom
Bündnis Erlassjahr, das sich für Schuldenerlasse für den Globalen Süden
starkmacht. Laut deren jüngstem Bericht, so Stutz „befinden sich drei
Viertel der Länder in Subsahara-Afrika in einer kritischen oder sehr
kritischen Situation“, was die Verschuldung betrifft. Rund 60 Millionen
Dollar seien in Anbetracht der kenianischen Gesamtverschuldung von über 37
Milliarden Dollar quasi ein Tropfen auf den heißen Stein. Ob ein solcher
Erlass den Staaten tatsächlich hilft, bleibt zu bezweifeln, denn, so Stutz:
„Häufig bedeuten solche Swaps aber auch, dass Rückzahlungen, die vielleicht
erst in fünf oder zehn Jahren fällig geworden wären, in den nächsten zwei
Jahren gezahlt werden müssen.“
Immerhin, ein Vorteil sei, dass die Länder die Zahlung in ihrer eigenen
heimischen Währung leisten, nicht in Euro oder US-Dollar. „Das ist
natürlich ein ganz, ganz großer Pluspunkt, wodurch eigentlich der wirkliche
Erleichterungseffekt entsteht“, erklärt Stutz. Aus Sicht deutscher
Nichtregierungsorganisationen wie Erlassjahr oder Brot für die Welt braucht
es aber tatsächliche, strukturelle Veränderungen und Mechanismen, mit denen
man wirklich Schulden erlässt, „allerdings auf einem ganz anderen Niveau“,
so Stutz.
Deswegen pochen die Afrikaner in Nairobi erneut auf eine grundlegende
Reform des gesamten internationalen Finanzsystems: von der Weltbank bis zum
Internationalen Währungsfonds. Kenias Präsident Ruto hat bereits auf dem
letzten Klimagipfel in Paris im Juni auf den Tisch gehauen und die
ungleiche Behandlung Afrikas bemängelt, dessen Staaten deutlich höhere
Zinsen auf Kredite zahlen als der Globale Norden.
„Wir wollen ein System, das alle gleich behandelt“, forderte Ruto nun noch
einmal in Nairobi: „Modernisierte Institutionen müssten stärker auf
afrikanische Belange der wirtschaftlichen Entwicklung eingehen,
insbesondere die Überschuldung“, betonte er und forderte Umschuldungen und
Schuldenerleichterungen in Form von Moratorien im Fall extremer
Klimaereignisse sowie einen Zehnjahresaufschub von Zinszahlungen, wenn
Länder in Anbetracht von Dürre und Fluten die Gelder dringend brauchten, um
den Katastrophen zu begegnen.
## „Ablasshandel“
Zum Abschluss appellierten die afrikanischen Staatschefs an die
Weltgemeinschaft, sich den Vorschlag einer globalen CO2-Besteuerung zu
eigen zu machen, die sowohl den Handel mit fossilen Brennstoffen wie auch
die Luft- und [5][Schifffahrt] umfassen sollte.
Für [6][Hamira Kobusingye aus Uganda], Klimaaktivistin und Mitglied von
Fridays for Future, klingt das alles viel zu gut, um wahr zu sein. Als die
taz mit ihr am Mittwochabend am Telefon spricht, hört man im Hintergrund
die Rede der Abschlussdeklaration auf dem Gipfel in Kenia. „Was hier
geschieht, ist sehr viel Greenwashing“, so ihre Schlussfolgerung nach drei
Tagen Gipfel. „Ich habe das Gefühl, dass wir zu keiner wirklichen Lösung
kommen“, stellt sie klar und nennt als Beispiel den CO2-Handel, der auf dem
Gipfel stetig als Lösungsidee genannt wurde.
Kobusingye ist wie viele afrikanische Aktivisten gegen diesen
„Ablasshandel“, wie sie ihn bezeichnen Denn wenn der Globale Norden und die
großen Industriekonzerne nun in Afrika ihre CO2-Emmissionen mit
Investitionen wiedergutmachen könnten, dann bedeutet dies für Kobusingye,
„dass der Westen nicht darauf bedacht ist, die Emissionen zu reduzieren und
den Weg oder das Ziel zu erreichen, den Temperaturanstieg unter 1,5 Grad zu
halten“.
## Ein Block gemeinsamer Interessen
Es wirke eher so, als „blicken alle in eine glorreiche Zukunft, ohne
darüber nachzudenken, was wir mit der derzeitigen Situation und den
Katastrophen machen sollen, denen wir bereits ins Auge sehen“, klagt sie
und nennt die Toten durch Fluten und Dürre, die Gemeinden, die vom
Klimawandel betroffen sind. Immerhin, der Gipfel habe nun dazu beigetragen,
dass die afrikanischen Länder eine gemeinsame Position erarbeitet hätten,
womit sie im Dezember zur internationalen Klimakonferenz COP28 nach Dubai
reisen wollten.
Dort wollen die Afrikaner als ein Block die Interessen ihres Kontinents
gemeinsam vertreten. Um diese Positionen zu stärken, soll der
Afrika-Klimagipfel in Zukunft alle zwei Jahre stattfinden. Kobuyingye mahnt
allerdings auch an, „nicht zu viel zu reden, sondern besser zu handeln“.
7 Sep 2023
## LINKS
[1] /Kenias-Praesident-William-Ruto/!5947596
[2] /Klage-abgewiesen/!5919204
[3] /Kanzler-auf-der-Automesse-IAA/!5955199
[4] /Vorbereitung-der-Klimakonferenz-in-Dubai/!5937303
[5] /Innovationen-in-der-Schifffahrt/!5956051
[6] /Ugandische-Aktivistin-ueber-Klimawandel/!5863091
## AUTOREN
Simone Schlindwein
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