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# taz.de -- Radioaktiv verstrahlt in Bayern: Wildschwein-Rätsel ist gelöst
> Außer Pilzen sind in Bayern auch Wildschweine noch radioaktiv belastet.
> Forschende haben herausgefunden: Es liegt nicht nur an Tschernobyl.
Bild: Es dürfte durch Atomtests verseucht sein: Wildschwein in Bayern
Göttingen taz | Neben wild wachsenden Pilzen ist vor allem in
Süddeutschland auch das Fleisch von Waldtieren teilweise erheblich mit
radioaktivem Cäsium verstrahlt. Während jedoch die radioaktive Belastung
beim Fleisch von Hirschen und Rehen längst wieder gesunken ist,
überschreiten die Messwerte bei Wildschweinen oft weit den EU-Grenzwert von
600 Becquerel pro Kilogramm. Forschende der [1][Universität Hannover und
der Technischen Universität Wien] haben jetzt eine Quelle entdeckt, die –
neben dem Fallout des Tschernobyl-Unfalls vor 37 Jahren – zur hohen
Strahlenbelastung der Wildschweine beiträgt.
Eine Studiengruppe um den Radioökologen Georg Steinhauser untersuchte 48
Wildschweine, die von 2019 bis 2021 in Bayern erlegt wurden, auf im Fleisch
nachweisbares Cäsium-137. Das ist ein radioaktives Isotop von Cäsium, das
in der Natur so nicht vorkommt. Es entsteht bei Kernspaltung in
Atomkraftwerken oder bei der Explosion von Atomwaffen.
Die Studie stellte dabei teilweise Strahlenwerte von bis zu 15.000
Becquerel pro Kilogramm Wildschweinfleisch fest – das ist 25-mal höher als
der in der EU geltende Grenzwert. Im Durchschnitt wiesen die untersuchten
Fleischproben 1.700 Becquerel auf. Die Einheit Becquerel gibt die mittlere
Anzahl der Atomkerne an, die in einer Sekunde zerfallen.
Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung: Ein beachtlicher Anteil des
Cäsium-137 in den [2][Wildschweinen] stammt nicht vom Tschernobylunglück,
sondern ist bereits deutlich älter. Das radioaktive Material wurde nach
Aussage der Studienautoren bei den US-amerikanischen und sowjetischen
Atomwaffentests freigesetzt, die vor allem von 1950 bis 1963 überirdisch
stattfanden. Am Cäsium-137 alleine hätten die Forschenden das allerdings
nicht feststellen können: „Das Waffen-Cäsium-137 unterscheidet sich nicht
vom Reaktor-Cäsium-137“, heißt es in der Studie.
## Auf Atomwaffentests zurückzuführen
Doch die Mischung mit einem anderem Cäsium-Isotop macht’s: In beiden Fällen
wird auch Cäsium-135 frei, das nur wenig radioaktiv ist, aber eine sehr
lange Halbwertszeit hat. Nach mehr als zwei Millionen Jahren hat sich seine
Menge erst halbiert. Die Halbwertszeit bei Cäsium-137 beträgt dagegen 30
Jahre. Das Verhältnis von Cäsium-135 zu Cäsium-137 ist bei Atomwaffentests
etwa 2 zu 1, beim Reaktorunglück von Tschernobyl dagegen etwa 1 zu 2. Damit
ergibt sich ein spezifischer radioaktiver „Fingerabdruck“, an dem sich
ablesen lässt, wo das radioaktive Material entstanden ist.
Bei den für die Studie untersuchten Wildschweinen fanden die Forschenden
nicht nur Cäsium mit dem radioaktiven Fingerabdruck von Tschernobyl.
Teilweise ließ sich das Cäsium in ihrem Fleisch zu fast zwei Dritteln auf
die Atomwaffentests zurückführen. Das radioaktive Cäsium-135 ist nicht nur
langsam, was seinen Zerfall angeht: Es braucht auch sehr lange, um durch
die Erdschichten in größere Tiefen zu wandern.
Die Tiere hatten es mit einer ganz speziellen Nahrung aufgenommen:
Wildschweine hätten eine Vorliebe für Hirschtrüffel, weiß Steinhauser. In
diesen unterirdisch wachsenden Fruchtkörpern lagere sich das Cäsium erst
mit großer Zeitverzögerung ab. „Die Hirschtrüffel, die in 20 bis 40
Zentimetern Tiefe zu finden sind, nehmen somit heute erst das Cäsium auf,
das in Tschernobyl freigesetzt wurde. Das Cäsium alter Atomwaffentests
hingegen ist dort schon lange angekommen.“ Die radioaktive Belastung der
Hirschtrüffel durch Tschernobyl werde erst noch kommen und die Belastung
von Wildschweinfleisch deshalb in den kommenden Jahren wohl nicht deutlich
sinken.
## Bei Pilzen bis zu 1.000 Becquerel
Wild wachsende Pilze vor allem in Süddeutschland sind indes mit
radioaktivem Cäsium-137 belastet, das bei dem Tschernobylunfall freigesetzt
wurde. In größerem Umfang wird der Grenzwert von 600 Becquerel pro
Kilogramm allerdings nur noch in einigen Regionen Bayerns und Teilen
Oberschwabens überschritten, teilt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS)
in seinem [3][aktuellen Pilzbericht] mit.
Laut dem BfS müssen Pilzsammler:innen vor allem im Bayerischen Wald und
in den angrenzenden Gebieten, im Donaumoos südwestlich von Ingolstadt sowie
in den Alpen und am Alpenrand in der Region Mittenwald und im
Berchtesgadener Land damit rechnen, dass einige Pilzarten teilweise noch
sehr hohe Cäsiumwerte aufweisen.
So brachten es bei den jüngsten Messungen des BfS Semmelstoppelpilze und
Rotbraune Semmelstoppelpilze in Einzelfällen auf Spitzenwerte von über
4.000 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm Frischmasse. Andere Sorten kamen
auf Maximalwerte über 1.000 Becquerel.
7 Sep 2023
## LINKS
[1] https://www.uni-hannover.de/de/universitaet/aktuelles/online-aktuell/detail…
[2] /Schweden-und-die-Folgen-von-Tschernobyl/!5451898
[3] /Radioaktive-Pilze-durch-Tschernobyl/!5956236
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Tschernobyl
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