# taz.de -- Radioaktiv verseuchtes Wasser in Japan: „Es ist eine Frage der Do… | |
> Radioaktiv verseuchtes Trinkwasser und belastete Pflanzen: der | |
> Strahlenforscher und Physiker Peter Jacob über die Gesundheitsgefahren | |
> für die Japaner. | |
Bild: „Wenn Jod 131 im Trinkwasser ist, kann das zu Schilddrüsenkrebs führe… | |
taz: Herr Jacob, die japanische Nachrichtenagentur Kyodo meldet unter | |
Berufung auf örtliche Behörden, radioaktives Cäsium und Jod seien im | |
Leitungswasser der Präfektur Fukushima nachgewiesen worden. Potenziert sich | |
damit der gesundheitliche GAU? | |
Peter Jacob: Bei den gegenwärtigen Problemen mit der Trinkwasserversorgung | |
wäre eine zusätzliche Verseuchung von Trinkwasser eine Katastrophe für die | |
Bevölkerung. Man müsste dann, zumindest vorübergehend, auf Flaschenwasser | |
ausweichen. Seriös beurteilen kann ich die Auswirkungen nur, wenn ich die | |
genauen Messwerte kenne. | |
Generell kann man sagen: Wenn Jod 131 im Trinkwasser ist, wird es in der | |
Schilddrüse eingelagert und kann in hohen Dosen zu Schilddrüsenkrebs | |
führen. Cäsium 137 lagert sich im gesamten Körper ab, vorwiegend in den | |
Muskeln, verbleibt dort etwa 100 Tage und kann in hohen Dosen zu Krebs und | |
Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. | |
Jod 131 hat eine Halbwertzeit von acht Tagen. Wenn es gelänge, die | |
Bevölkerung acht Tage mit importiertem Wasser zu versorgen, wäre die Gefahr | |
zu erkranken danach geringer? | |
Nein. In das Leitungssystem fließt ja ständig neues Wasser hinzu. Die | |
Halbwertzeit von acht Tagen bedeutet lediglich, dass sich die | |
Jod-131-Aktivität durch den radioaktiven Zerfall nach acht Tagen halbiert | |
hat. Zusätzlich wird ein Teil des Jods wieder ausgeschieden. | |
Dennoch reicht die kurze Zeit, Krebs zu verursachen? | |
Das ist eine Frage der Dosis. | |
Lässt sich das Trinkwassersystem säubern? | |
Damit gibt es kaum Erfahrungen. Jod ist gut wasserlöslich, davon würde | |
mittelfristig nicht viel im System verbleiben. Bei Cäsium sieht es anders | |
aus, das würde bleiben. Wir müssen jetzt schauen, woher das kontaminierte | |
Wasser kommt: aus einem oberflächlichen Reservoir? Oder aus dem | |
Grundwasser? | |
Wo ist der Unterschied für die Menschen, die auf Trinkwasser angewiesen | |
sind? | |
Wenn ein oberflächliches Reservoir betroffen ist, dann kann man notfalls | |
auf andere Quellen ausweichen. Wenn aber das Grundwasser verseucht ist, | |
sind die Dimensionen andere. | |
Mit welchem Zeitraum rechnen Sie? 50 Jahre, während derer die Region nicht | |
auf ihr Grundwasser zugreifen könnte? | |
Cäsium 137 hat eine Halbwertzeit von 30 Jahren. Bei einer Verseuchung des | |
Trinkwassers nach einer Kernschmelze können auch längerlebige Radionuklide | |
eine Rolle spielen. | |
Wenn eine Bohrinsel im Meer havariert, gibt es Bakterien, die das Rohöl | |
auffressen. Gibt es die auch für Radionuklide? | |
Nein. Die Radioaktivität bleibt immer erhalten. Sie kann zwar in einen | |
Filter gehen oder in eine Pflanze, aber sie verändert sich nicht. Man kann | |
die Radioaktivität nicht abbauen wie Öl. | |
Das Wasser, das jetzt zum Kühlen und Löschen in den Reaktoren eingesetzt | |
wird, wird anschließend ins Meer geleitet. Das Meer wird mitverseucht? | |
Davon ist auszugehen, leider. | |
Aber es heißt, die Radioaktivität verdünne sich, und dann sei das nicht | |
mehr so schlimm. | |
Das habe ich bis jetzt auch gesagt, aber ich bin nicht mehr so sicher. Wir | |
wissen nicht, wie groß die Radioaktivitätsmengen sind. Letztlich verdünnt | |
es sich natürlich, weil das Meerwasser ein riesiges Reservoir ist. Aber | |
dass lokal Fische kontaminiert werden, kann ich nicht ausschließen. | |
Gibt es Pflanzen, die besonders viel Radioaktivität aufnehmen? | |
Waldpilze oder Beeren etwa nehmen viel Cäsium auf. Momentan steht auf den | |
Feldern in Nordjapan keine Vegetation, weil dort Winter ist, so dass nur | |
der Boden Radioaktivität aufnehmen kann. In der nächsten Vegetationsperiode | |
aber würde Cäsium durch die Wurzeln aufgenommen. | |
Warum nehmen manche Pflanzen mehr auf als andere? | |
Weil einige Pflanzen bestimmte Nährstoffe mehr brauchen als andere. Wenn | |
sie viel Kalium brauchen, nehmen sie viel Cäsium auf, weil Kalium und | |
Cäsium sehr verwandt sind. | |
Was kann man dagegen tun? | |
Man kann mit viel Kalium düngen, dann ist das Verhältnis vom Kalium zum | |
Cäsium verschoben, und dann wird mehr Kalium aufgenommen. | |
Wie viele Menschen sind nach Tschernobyl an Krebs erkrankt aufgrund der | |
Nahrungskette? | |
Nach Tschernobyl sind die Menschen hauptsächlich durch externe Strahlung | |
exponiert, weniger durch die Nahrungskette. Der allergrößte Teil der | |
Bevölkerung war relativ geringen Dosen ausgesetzt. Außer beim | |
Schilddrüsenkrebs waren die gesundheitlichen Effekte zu gering, um sie | |
epidemiologisch nachweisen zu können. Die Unkenntnis des Risikos bei | |
geringen Dosen erklärt die enorme Schwankungsbreite von Aussagen, wie viele | |
Krebstote es durch Tschernobyl gegeben hätte. | |
18 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
Heike Haarhoff | |
## TAGS | |
Tschernobyl | |
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