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# taz.de -- Nach der Katastrophe in Japan: Den Überlebenden fehlt es an allem
> Eine halbe Millionen Japaner sind in Notunterkünften untergebracht. Die
> Evakuierten leiden unter Kälte, zerstörter Infrastruktur und der Sorge um
> vermisste Angehörige.
Bild: Schweigeminute: Ein Ehepaar gedenkt in einer der Notunterkünfte den Opfe…
BERLIN taz | Die offizielle Zahl der Toten und Vermissten im
Katastrophengebiet ist am Donnerstag auf 14.091 gestiegen. Bislang seien
5.178 Todesopfer bestätigt worden, meldete gestern das UN-Büro für
humanitäre Angelegenheiten (Ocha). 8.913 Menschen würden noch vermisst.
Außerdem seien bei der Katastrophe knapp 2.285 Menschen verletzt worden.
Japanische Medien gehen jedoch davon aus, dass die Zahl der Opfer
unabhängig vom Verlauf der Reaktorkatastrophe noch deutlich steigen wird.
So ging laut der Agentur Kyodo der Bürgermeister der Küstenstadt Ishinomaki
in der am stärksten betroffenen Präfektur Miyagi am Mittwoch allein für
seinen Ort von mehr als 10.000 Vermissten aus. Ähnliches hatte schon am
Samstag der Sender NHK von der Hafenstadt Minamisanriku aus der gleichen
Präfektur berichtet. Auch die Zahl der Verletzten ist demnach wesentlich
höher.
Bisher leben rund eine halbe Million Menschen in Notunterkünften
einschließlich der 210.000, die bisher aus dem 20-Kilometer-Umkreis des
beschädigten Atomkraftwerks Fukushima Daiichi evakuiert wurden. Doch gibt
es noch Gebiete, in die bisher überhaupt keine Retter und Hilfe gelangten.
Laut Ocha betrifft dies 23.000 Menschen.
Schnee, Kälte, Regen und Versorgungsmängel erschweren das Leben der
Evakuierten. Die ungewöhnliche Winterkälte soll noch bis zum Wochenende
anhalten. Im Katastrophengebiet mangelt es an Wasser, Strom,
Heizmöglichkeiten und Lebensmitteln. Manchenorts gibt es allenfalls
Reisbällchen und Miso-Suppe zu essen. Eine Mitarbeiter von Ärzte ohne
Grenzen berichtete von ersten Fällen von Dehydrierung.
Die Versorgung der Menschen wird durch die zerstörte Infrastruktur und
Benzinmangel erschwert. Auch Spenden japanischer Lebensmittelproduzenten
konnten bisher kaum ins Katastrophengebiet gebracht werden, wie die
Tageszeitung Yomiuri berichtete. Laut der Zeitung Asahi standen vor Öffnung
eines Supermarktes in Sendai schon 1.000 Menschen in der Kälte an.
## 2,5 Millionen Haushalte ohne Wasser
Das UN-Welternährungsprogramm (WFP), zu dessen größten Spendern Japan
bisher gehörte, teilte am Donnerstag mit, Logistikexperten in die Region zu
entsenden. Am Donnerstag konnte bereits der Hafen von Onahama (Präfektur
Fukushima) teilweise wiedereröffnet werden.
In den von der Katastrophe insgesamt betroffenen elf Präfekturen sind laut
Regierung 2,5 Millionen Haushalte ohne Wasser. Es sollen aber nur noch
451.786 Haushalte ohne elektrischen Strom sein, 183.000 weniger als am
Vortag. Die Regierung ordnete den Bau von 600 Notunterkünften in den
nächsten zwei Wochen an. 4.200 sollten in vier und 30.000 in acht Wochen
gebaut werden. Auch Hotels werden angemietet.
Bisher sind öffentliche Notunterkünfte meist Schulturnhallen und
Gemeindezentren, in denen jeweils mehrere hundert Menschen auf engstem Raum
ohne funktionierende Toiletten und Duschen zusammenleben müssen. Da
Heizungen nicht funktionieren, vereisen zum Teil die Scheiben. In
Rikuzentakata (Präfentur Iwate) wärmten sich in einer Schule die Menschen
bei Schneefall an einem Lagerfeuer. Das hatten sie auf dem Schulhof
entzündet und versorgten es mit Abfallholz aus der zerstörten Umgebung.
Gefährdet sind vor allem alte und kranke Menschen, die der Kälte kaum
widerstehen können. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Medikamente,
Rezepte oder ärztliche Diagnosen bei der Katastrophe verloren gingen. Wenn
etwa Demente nicht wissen, welche Medizin sie benötigen, können Helfer dies
jetzt meist nicht mehr recherchieren. Abgesehen davon mangelt es auch an
Medikamenten.
## "Wir fühlen uns sehr hilflos"
Manche belastet schon die Evakuierung zu sehr. So starben bei der Verlegung
eines Krankenhauses in der Präfektur Fukushima 14 ältere Patienten: Zwei
auf dem Transport, zwölf danach in der Notunterkunft, die aus der Turnhalle
einer Schule in Iwaki bestand. "Wir fühlen uns sehr hilflos. Die
Bedingungen sind schrecklich. Wir haben einfach nicht die Möglichkeit, gute
Pflege zu leisten," sagte ein Beamter laut dapd.
Angesichts dieser Schwierigkeiten sowie der dauernden Nachbeben - seit
Freitag rund 300 - ist für die Überlebenden die Sorge vor der unsichtbaren
Strahlengefahr zweitrangig. Viele Menschen belastet vor allem die
Ungewissheit über das Schicksal von Angehörigen. Die Notunterkünfte sind
übersät mit Zetteln, auf denen nach Angehörigen gefahndet wird.
Asahi berichtete etwa vom verzweifelten 9-jährigen Thoshito Aisawa, der zum
vierten Mal unter den 2.000 Überlebenden in einer Oberschule in Ishinomaki
(Miyagi) auftauchte, um seine Eltern zu suchen. Sie hatten ihn am Freitag
gerade von der Schule abgeholt, als ihr Auto vom Tsunami weggespült wurde.
Der Junge wurde später bewusstlos gefunden, von seinen Eltern fehlt jede
Spur.
18 Mar 2011
## AUTOREN
Sven Hansen
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