# taz.de -- Folgen der Katastrophe in Japan: Nach der Erde bebt die Wirtschaft | |
> Zerstörte Infrastruktur, fallende Aktienkurse, ruhende Fabriken: Nun muss | |
> Japans Regierung viel Geld aufwenden – dabei ist das Land bereits hoch | |
> verschuldet. | |
Bild: Im Angesicht des Nikkei: Mann in Tokio. | |
BERLIN taz| Von drei Katastrophen – Erdbeben, Tsunami und atomarer | |
Ernstfall– wurde Japan bereits heimgesucht. Folgt jetzt noch eine | |
wirtschaftliche Katastrophe? Zerstörte Infrastruktur, verwüstete Häfen, | |
brennende Ölraffinerien, stillgelegte Fabriken und Stromausfälle bleiben | |
zweifellos nicht ohne Folgen für die Unternehmen des Landes. | |
In einer ersten Schätzung bezifferte die Großbank Credit Suisse die Schäden | |
auf umgerechnet 130 Milliarden Euro. Nachdem die japanische Wirtschaft | |
schon im letzten Quartal 2010 leicht geschrumpft war, droht dem Land nun | |
eine Rezession. | |
Die japanische Notenbank versucht derzeit, zumindest erst einmal das | |
Finanzsystem zu stabilisieren, indem sie umgerechnet 132 Milliarden Euro | |
zusätzlich hineinpumpt. So sollen die Banken mit ausreichend Geld versorgt | |
werden. An der Börse von Tokio ergriffen die Investoren trotzdem die | |
Flucht. Der Nikkei-Aktienindex fiel um 6,2 Prozent – der größte Kurssturz | |
seit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008. Die | |
Aktie des Energieversorgers Tepco, Betreiber des | |
Katastrophen-Atomkraftwerks Fukushima I, wurde vom Handel ausgesetzt. Die | |
Aktie des weltgrößten Autokonzerns Toyota verlor fast 8 Prozent. | |
Die Fabriken aller japanischen Automobilhersteller – Toyota, Nissan, Honda | |
und Suzuki – liegen derzeit still. Manche sind beschädigt, andere können | |
keine Teile mehr geliefert bekommen. Selbst wo nichts zerstört ist, haben | |
die Konzerne die Bänder zunächst einmal abgeschaltet, um einen Überblick | |
über die Schäden zu bekommen und zu entscheiden, wo welche Produktion | |
wieder aufgenommen wird. | |
Die Autoindustrie gehört zu den wichtigsten Branchen in Japan. Vor allem | |
für Weltmarktführer Toyota dürften die Katastrophenfolgen einen harten | |
Rückschlag bedeuten. Allein drei Anlagen betrieb Toyota im Nordosten des | |
Landes, wo die Zerstörungen am schlimmsten waren. Goldman Sachs schätzt den | |
aus einem vollständigen Produktionsstopp folgenden Schaden auf mehr als 50 | |
Millionen Euro täglich. Für Honda sieht es etwas besser aus, da dessen | |
Produktionsanlagen südlich von Tokio ansässig sind. | |
Die am schlimmsten heimgesuchten nordöstlichen Provinzen Miyagi und Iwate | |
sind ohnehin relativ wenig industrialisiert. Stark betroffen ist hier vor | |
allem die Landwirtschaft. Die großen Industrien des Landes – neben der | |
Auto- vor allem die Elektronik-, Stahl- und Chemiebranche – haben sich | |
dagegen schwerpunktmäßig um Tokio und im Süden des Landes angesiedelt. | |
Allerdings meldeten mehrere große japanische Konzerne Produktionsausfälle, | |
darunter Sony, Toshiba, Panasonic und Canon. Eine Sony-Halbleiterfabrik in | |
Miyagi etwa wurde vom Tsunami überflutet. | |
Die Beseitigung der unmittelbaren Folgen von Erdbeben und Tsunami ist | |
wahrscheinlich eine beherrschbare Aufgabe. Das besagen zumindest die | |
Erfahrungen mit dem Erdbeben von 1995, das die Stadt Kobe zerstörte und | |
6.400 Menschenleben kostete. Obwohl das Beben eine dicht besiedelte und | |
hoch industrialisierte Region traf, in der rund ein Siebtel des japanischen | |
Sozialprodukts erwirtschaftet wurde, berappelte sich die Wirtschaft | |
schnell. Insgesamt konnte Japan 1995 und 1996 ein recht ordentliches | |
Wirtschaftswachstum erzielen. | |
Doch damals waren keine Atomkraftwerke betroffen. Diesmal aber könnte zu | |
einer potenziellen atomaren Verseuchung in der Kraftwerksumgebung ein | |
langfristiger und in seinen Auswirkungen auf die Wirtschaft dramatischer | |
Energieengpass hinzukommen. | |
## Schlimmer als Griechenland | |
Und noch einen Unterschied gibt es: Damals beliefen sich die Schulden des | |
japanischen Staates auf weniger als 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts | |
(BIP) – heute werden sie auf 225 Prozent geschätzt. Zum Vergleich: Selbst | |
Griechenland und Irland bringen es auf nur rund 140 bzw. 100 Prozent. | |
Allein um die Infrastruktur wieder instand zu setzen, wird die Regierung in | |
Tokio gigantische Summen aufbringen müssen – und dafür weitere Schulden | |
aufnehmen müssen. | |
Auf kurze Sicht dürfte solch ein staatliches Ausgabenprogramm die | |
Konjunktur sogar kräftig ankurbeln. Doch wenn sich die Wirtschaft nicht | |
schnell wieder erholt und dem Staat zusätzliche Einnahmen in die Kassen | |
spült, könnte den Gläubigern das Vertrauen abhandenkommen, dass der | |
japanische Staat seine Schulden noch zurückzahlen kann. | |
Schon zwei Monate vor dem Beben hatte die Ratingagentur Standard & Poors | |
die Kreditwürdigkeit Japans wegen der gigantischen Staatsverschuldung | |
herabgestuft. Droht nun womöglich eine japanische Schuldenkrise, die die | |
Krisen in Griechenland und Irland noch in den Schatten stellt? | |
14 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Nicola Liebert | |
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