Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Internationale Presseschau zu Japan: "Die Welle des Schocks"
> Die japanischen AKWs bestimmen die internationalen Schlagzeilen. Während
> die Atom-Lobby relativieren will, sehen sich die Gegner der Kernkraft
> bestätigt.
Bild: Globaler Gesprächsstoff: Das havarierte AKW Fukushima.
BERLIN taz | Die dramatischen Zustände in den japanischen AKWs nach dem
verheerenden Erdbeben und dem Tsunami sorgen weltweit für hitzige Debatten
um Sinn und Zukunft der Kernkraft als Energiequelle.
So weist in den USA die New York Times darauf hin, dass US-AKWs die
gleichen Risiken und Schutzmechanismen wie die Reaktoren in Japan besäßen.
David Lockbaum von dem sich für Umweltschutz und Abrüstung einsetzenden
Verband "Union of Concerned Scientists" wird mit den Worten zitiert:
"Potentielle Probleme bestehen in jeder Region der USA. Alle teilen die
gemeinsame Bedrohung, dass Mutter Natur die AKWs herausfordert." Die
US-Atom-Lobby ist in der gleichen Zeitung derweil um Beruhigung bemüht:
Eine Katastrophe wie in Japan "ist nicht unmöglich, aber sehr
unwahrscheinlich", so Anthony R. Pietrangelo vom "Nuclear Energy
Institute".
Der Demokrat Ed Markey hat in einem Brief an Präsident Obama ein Moratorium
für neue AKWs gefordert. Dies solle gelten, bis Abläufe für nukleare
Notfälle entwickelt seien, die alle Bundesstaaten einschließen. "Es gibt
keine ausgeprägten Notfall-Koordinationen und -Anweisungen für die Reaktion
auf ein nukleares Desaster", sagt das Mitglied des Repräsentantenhauses in
der New York Times. "Das Desaster in Japan", so Markey, "muss einen
bedeutenden Wandel in unserem Umgang mit nuklearer Sicherheit hier in
Amerika bewirken."
Ein Sprecher des Weißen Hauses sagte, Präsident Obama sei der Meinung, dass
eine Befriedigung des amerikanischen Energiebedarfs hieße, sich auf diverse
Energiequellen zu stützen – auch auf nukleare. "Die Informationen über die
Vorfälle in Japan laufen noch immer ein", so der Sprecher weiter, "aber die
Regierung möchte von ihnen lernen und sicherstellen, dass nukleare Energie
in den USA sicher und verantwortungsvoll produziert wird."
Der Senator Joseph Lieberman mahnte im Fernsehsender CBS ebenfalls zum
besonnenen Umgang mit dem Vorfall: "Ich denke wir sollten hier in den USA
nun nicht aufhören, AKWs zu bauen, sondern jetzt die Bremsen anlegen
solange bis wir die Auswirkung dessen, was in Japan passiert ist,
verstanden haben."
Ähnlich gelassener Meinung ist der republikanische Senator Mitch McConnell:
"Wir sollten amerikanische Innenpolitik nicht auf einem Vorfall in Japan
basierend betreiben", sagte er in der Nachrichtensendung Fox News Sunday.
Erstaunliche Aufmerksamkeit in anglo-amerikanischen Medien erhält die
deutsche Debatte um Kernenergie, auch die Anti-Atom-Demonstration in
Neckarwestheim vom vergangenen Samstag findet Beachtung. Die New York Times
vermutet, dass der japanische Vorfall in europäischen Staaten zu einer
"weitreichenden Neueinschätzung" nuklearer Energieversorgung führen könnte.
## Großbritannien
In Großbritannien hält sich die öffentliche Debatte bisher in Grenzen. Laut
Guardian sind jedoch viele in der Regierung und im privaten Energiesektor
besorgt, dass eine Angst vor nuklearen Katastrophen Auswirkungen auf den
geplanten Bau von zehn Reaktoren haben könnte. In einem Kommentar der
Zeitung heißt es: "Ohne mehr AKWs gibt es keine Chance, dass sich dieses
Land fossiler Energien entledigt." In der Frage der Energieversorgung solle
"der Klimawandel noch immer die unwahrscheinliche Aussicht einer nuklearen
Katastrophe übertrumpfen."
Der Telegraph zeigt sich diesbezüglich nicht sehr zuversichtlich. Selbst
wenn die jetzt drohende Katastrophe abgewendet werden sollte, so wird dort
kommentiert, könne die schon vor dem Beben ins Wanken gekommene "nukleare
Renaissance" nur schwer aufrecht erhalten werden. Die nukleare Industrie
werde einen glimpflichen Ausgang zwar nutzen, um zu zeigen, wie ihre
Reaktoren selbst den ernsthaftesten Belastungen standhalten könnten. "Das
wird jedoch kaum ziehen bei einer weltweiten Öffentlichkeit, die
wahrscheinlich zu dem Schluss kommen wird, dass sie den Pakt (mit der
Atomkraft) nie hätte schließen sollen."
## Frankreich
In Frankreich gingen anlässlich der aktuellen Ereignisse in Japan tausende
Menschen auf die Straße, um gegen die Kernenergie zu demonstrieren. Die
Tageszeitung Le Monde schreibt: "Sie zündeten Kerzen an und hängten entlang
der Mauer, die sich gegenüber des Eifelturms befindet, ein riesiges Plakat
auf, auf dem man lesen konnte: Atomkraft tötet die Zukunft."
Auch Stimmen von französischen Experten werden laut, die sich gegen die
Atomkraft äußern: "Im Falle von Tschernobyl konnte man sich verstecken,
auch wenn nur hinter einem 'das ist nicht möglich hier bei uns, die Russen
wissen nicht wovon sie sprechen', aber im Fall Fukushima kann man das nicht
mehr sagen. Die Japaner sind genauso stark auf Gebieten der Technologie wie
wir hier in Frankreich", sagt Atomingenieur Jean-Marie Brom der Zeitung Le
Monde.
Der deutsch-französische EU-Parlamentarier und Mitglied der Grünen Daniel
Cohn-Bendit sagt in Le Monde: "Der Mensch glaubte, er könne die Natur
komplett beherrschen. Japan zeigt nun, dass das nicht möglich ist. Und man
kann mir jetzt nicht sagen, dass Japan sich von uns Franzosen
unterscheidet. Das ist nicht wie bei Tschernobyl, wo man behaupten konnte,
dass es sich um ein technisches Problem handle. Muss man nun auf so etwas
Schlimmes in Frankreich oder Europa warten, damit endlich entschieden wird,
die Kernkraft abzustellen? Es gibt keine totale Sicherheit. Also ist es
nötig, dass das alternative Programm der Linken eine große Debatte von ein
oder zwei Jahren entfacht. Außerdem muss ein Referendum über den
Atomausstieg und all seine Modalitäten organisiert werden. Denn es sind die
französischen BürgerInnen, die wählen müssen."
Le Parisien stellt fest, dass "die Welle des Schocks all die Länder
erreicht, die sich für die Atomenergie als hauptsächliche Energiequelle
entschieden haben".
Außerdem heißt es: "Um den Wechselgesang der Antiatom-Organisationen
aufzunehmen, ruft die französische Ex-Umweltministerin Corinne Lepage die
französischen Bürger auf, progressiv aus der Atomenegie auszusteigen.
Außerdem fordert sie ein Referendum. Die Antwort der derzeitigen
Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet: „Gut gemeistert, Atomenergie
ist gute Energie."
Frankreich verweist als Land mit den zweitmeisten Atomreaktoren weltweit
nach der Katastrophe in Japan auf die Sicherheit seiner Anlagen.
"Frankreich hat beim Bau und Betrieb seiner Einrichtungen stets
größtmöglicher Sicherheit den Vorrang gegeben", teilte die Regierung nach
einem Treffen mehrerer Minister und Experten für Atomsicherheit am
Sonntagabend mit.
Die Grünen kritisieren seine "besänftigenden Worte". Einige
Regierungsmitglieder betrieben "eine Art kollektiver Betäubung", sagte
Grünen-Chefin Cécile Duflot im Fernsehen.
## Italien
In der italienischen Zeitung La Repubblica sagt Außenminister Franco
Frattini, er glaube nicht, dass die Katastrophe in Japan einen neuen Anstoß
zur Diskussion über den Plan zur Atomenergie rechtfertige. "Wir haben
glücklicherweise Zonen, die nicht erdbebengefährdet sind." Er fügte hinzu,
dass die junge Generation nicht noch einmal den Preis der Abhängigkeit von
Produktionsländern zahlen müsse.
## Spanien
Die konservative spanische Zeitung ABC positioniert sich in ihren
Kommentaren klar für die Atomkraft. "Was man nicht erwarten kann, ist, eine
Energie zu haben, die reichlich vorhanden, billig und sauber ist, weil es
so etwas nicht gibt." Weiter heißt es: "Es existiert auch keine totale
Sicherheit bei keiner zentralen Energieform. Sie existiert nicht, weil der
einfache Fakt, dass man Energie herstellt oder mit ihr arbeitet
unvermeidbare Risiken mit sich bringt, die mit der Gefahr des Stoffes, mit
dem man arbeitet, zusammenhängt."
Genau deswegen gäbe es gute Gründe für die Kernenergie: "Sie ist günstig,
sie befindet sich in dem Wirkungsbereich von denen, die ihre Technologie
besitzen und ihre Unfälle waren geringer als die irgendeiner anderen
Energieform in ihren Anfängen. Eigentlich gab es nur zwei größere Unfälle:
den in Harrisburg, bei dem es keine Toten gab und den in Tschernobyl, bei
dem 31 Menschen starben und tausende mehr oder minder von den Folgeschäden
betroffen waren. Jetzt bleibt uns nur noch herauszufinden, wie die
Konsequenzen in Fukushima aussehen."
14 Mar 2011
## AUTOREN
C. Zimmermann
F. Gritti
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kernkraft-Debatte in Frankreich: Atomausstieg ist tabu
Die französische Staatsführung ist überzeugt, ihre AKWs seien die
sichersten. Hinter der japanischen Katastrophe werden Vorteile für die
nukleare Industrie Frankreichs gewittert.
Nach dem Erdbeben und Tsunami in Japan: Versorgung von Millionen gefährdet
Millionen Menschen fehlen Lebensmittel, Trinkwasser, Strom, Gas und Benzin.
Viele Verkehrswege sind nach wie vor unterbrochen. Polizei bestätigt 3.600
Tote, weitere 10.000 werden vermisst.
Folgen der Katastrophe in Japan: Nach der Erde bebt die Wirtschaft
Zerstörte Infrastruktur, fallende Aktienkurse, ruhende Fabriken: Nun muss
Japans Regierung viel Geld aufwenden – dabei ist das Land bereits hoch
verschuldet.
Anti-Atom-Aktionen in Deutschland: "Proteste wie nach Tschernobyl"
Atomkraftgegner machen Druck: Mit Aktionen in mehr als 320 deutschen
Städten wollen sie gemeinsam mit Umweltverbänden auf die Atom-Katastrophe
in Japan reagieren.
AKW-Laufzeitverlängerungen ausgesetzt: Reste einer Atomregierung
So schnell kann es gehen: Im Laufe von drei Tagen knickt die schwarz-gelbe
Regierungskoalition beim Atomkurs ein - zumindest ein bisschen. Und
verkündet, erste AKWs abschalten zu wollen.
Montag-Ticker nach dem Erdbeben in Japan: Kühlwasserpegel sinkt wieder
In Block 2 des AKW Fukushima I wird eine weitere Kernschmelze befürchtet,
die Brennstäbe liegen angeblich frei. Immer neue Nachbeben schüren die
Angst vor neuen Tsunamis.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.