# taz.de -- Kernkraft-Debatte in Frankreich: Atomausstieg ist tabu | |
> Die französische Staatsführung ist überzeugt, ihre AKWs seien die | |
> sichersten. Hinter der japanischen Katastrophe werden Vorteile für die | |
> nukleare Industrie Frankreichs gewittert. | |
Bild: In Japan nicht so gelassen wie zuhause: Die französische Regierung läss… | |
PARIS taz | Für den französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy ist ein | |
Ausstieg aus der Atomkraft kein Thema. Während Umweltschützer und | |
Oppositionspolitiker eine Debatte über ein Moratorium oder einen zeitlich | |
gestaffelten Ausstieg verlangen, wirbt der Staatschef weiter für die | |
französische Nuklearindustrie: "Wenn wir Aufträge nicht erhalten haben, | |
dann darum, weil wir am teuersten sind. Und wir sind die Teuersten, weil | |
wir die Sichersten sind", folgerte er am Montagabend in Anspielung auf | |
einen 20-Milliarden-Auftrag in den Vereinigten Emiraten, den ein | |
südkoreanischer Konzern den Franzosen weggeschnappt hatte. | |
Mit Japans Anlagen möchte Sarkozy die Reaktoren in Frankreich nicht | |
vergleichen, da die neue Generation viel mehr Sicherheit biete: "Wir haben | |
eine Doppelverschalung. Das bedeutet, dass eine Boeing-747 auf das | |
Kraftwerk stürzen kann, und dem Reaktor passiert nichts." | |
Auf seinen Auslandsreisen war Präsident Sarkozy darum stets ein | |
unermüdlicher Handelsvertreter der französischen Atomindustrie, und daran | |
gedenkt er auch nach Fukushima nichts zu ändern. Auf die makabre Idee, dass | |
die Tragödie in Japan "unserer nuklearen Industrie nützen kann", kam | |
Sarkozys Sonderberater und Ghostwriter Henri Guaino. | |
Premierminister François Fillon stört es nicht, wenn die Staatsführung an | |
Konkurrenzvorteile denkt, "unanständig" findet er es, wenn jetzt | |
französische Atomgegner einen Ausstieg aus der Atomkraft fordern. In einem | |
Land, das 80 Prozent seiner Elektrizität aus 19 AKWs mit 58 zum Teil über | |
dreißig Jahre alten Reaktoren bezieht, soll es ein Tabu bleiben, über einen | |
Atomstopp auch nur zu diskutieren! | |
Auch die oppositionellen Sozialisten glauben mehrheitlich an das Dogma, | |
dass Frankreichs Energieversorgung mit der Atomkraft steht oder fällt. Die | |
Grünen bleiben darum mit ihrer Forderung nach einer landesweiten Debatte | |
und einem Referendum über einen Ausstieg bis in 25 oder 30 Jahren ziemlich | |
allein. | |
## Keine "Low-cost"-Reaktoren | |
Eine Debatte finden zwar auch Industrieminister Eric Besson und | |
Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet sinnvoll. Ein möglicher | |
Verzicht auf die Kernenergie soll aber ausgeklammert bleiben. Unter dem | |
Druck einer wachsend skeptischen Öffentlichkeit hat Fillon schließlich eine | |
Überprüfung der Katastrophenschutzvorkehrungen und Sicherheitsnormen in | |
allen 19 Anlagen angeordnet. Mehrere davon liegen in Zonen mit seismischen | |
Präzedenzereignissen. | |
Zu den ersten französischen Unternehmen, die ihr Personal aus Japan | |
heimfliegen ließen, gehörte der staatliche Atomkonzern Areva, dessen | |
Vorsitzende Anne Lauvergeon einräumt, man könne Lehren aus den Vorfällen in | |
Japan ziehen: Die Wellen des Tsunami seien dort um einen Meter höher | |
gewesen, als das Sicherheitsdispositiv im Maximalfall angenommen habe. In | |
Frankreich habe man nach der Erfahrung von Überschwemmungen bei Unwettern | |
Dämme erhöht. | |
Obwohl in Frankreich kein Tsunami-Risiko und eine weit geringere | |
Erdbebengefahr bestehe als in Japan, habe man die Sicherheitsvorkehrungen | |
so erhöht, dass sie den maximalen seismischen Präzedenzfällen mehr als | |
genügend entsprächen. Die Technologie sei selbst für den Fall einer Fusion | |
der Brennstäbe besser gewappnet. | |
Für Areva komme es nicht infrage, "Low-cost"-Reaktoren zu bauen. Sie habe | |
es abgelehnt, Nukleartechnologie in Länder zu liefern, wo die | |
erforderlichen Sicherheitsgarantien nicht existieren. Das hat ihr wütende | |
Reaktionen der Staatsführung eingebracht. Denn Frankreichs Exportchef | |
Sarkozy hatte bezüglich Libyen erklärt: "Frankreich ist bereit, allen | |
Ländern zu helfen, die sich mit ziviler Atomenergie ausrüsten wollen. Es | |
gibt nicht eine Zukunftsenergie nur für westliche Staaten, auf die Länder | |
des Orients keinen Anrecht hätten." | |
17 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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