# taz.de -- Atom-Debatte im Bundestag: "Im Augenblick rede ich" | |
> Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel stehen als Exumweltminister für den | |
> Atomausstieg. Im Bundestag nutzen sie diesen Vorteil zum Angriff auf die | |
> Kanzlerin. | |
Bild: Reichlich verschnupft wirkt Kanzlerin Merkel, während sie im Bundestag v… | |
BERLIN taz | Es gibt in dieser Woche in Berlin eine Herausforderung für | |
alle Spitzenpolitiker. Sie müssen die Balance halten. Auf der einen Seite | |
gilt es, der Tragik der Ereignisse in Japan mit Zurückhaltung zu begegnen. | |
Auf der anderen Seite stehen Wahlen an, wichtige Landtagswahlen, die erste | |
schon am Sonntag in Sachsen-Anhalt. Und dafür soll, bei aller Pietät, eine | |
Mehrzahl der Wählerinnen und Wähler gewonnen werden. Allerdings eben ohne | |
es so aussehen zu lassen, als wolle man Profit aus der Atomkatastrophe von | |
Fukushima schlagen. | |
Es ist Donnerstagmorgen, als dieser Konflikt im Deutschen Bundestag | |
ausgetragen wird. Angela Merkel hält ihre Regierungserklärung, die | |
Opposition wirft der Kanzlerin die Versäumnisse der vergangenen Jahre in | |
der Atompolitik vor. Und die sind aus deren Perspektive gewaltig: | |
Schließlich ist es die Kanzlerin, die mit ihrer Regierungsmehrheit erst vor | |
wenigen Monaten den Atomausstieg der rot-grünen Regierung rückgängig | |
gemacht hat. | |
Und auf der Oppositionsbank sitzen in der ersten Reihe mit Jürgen Trittin | |
(Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD) nun gerade zwei ehemalige Umweltminister. | |
"Wir kennen die Rechtslage", ruft Sigmar Gabriel, als seine Rede durch | |
einen Zwischenruf von CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe unterbrochen wird. | |
Dann ist Ruhe. | |
Es ist ein schwieriger Tag für Angela Merkel und die Bundesregierung. Die | |
Kanzlerin versucht in die Offensive zu gehen. Ihre Linie: Mit dem | |
dreimonatigen Aussetzen der Laufzeitverlängerung ist die Bundesregierung | |
weiter gegangen als die rot-grüne Regierung mit dem eigenen | |
Ausstiegsbeschluss von 2002. "Wir haben gehandelt", sagt Merkel. | |
Mit einem ganzen Stapel von Papieren versucht sich die Kanzlerin zudem | |
gegen den Vorwurf zu wehren, sie hätte das dreimonatige Moratorium nicht | |
ohne Parlamentszustimmung beschließen dürfen. Sie zitiert aus dem | |
Atomgesetz, beruft sich auf einen Paragrafen, der die Abschaltung bei | |
Gefahrenverdacht regelt. Für Minuten liest Merkel Punkt für Punkt vor, hält | |
sich an ihrem Manuskript fest. | |
Über ihr sitzt Parlamentspräsident Norbert Lammert, ihr Parteikollege. Zum | |
wiederholten Mal hat er in dieser Woche Merkel kritisiert, weil sie den | |
Bundestag in ihren Entscheidungen übergehen würde. In der Debatte lässt | |
Lammert die Zwischenrufe der Opposition dann besonders bei diesem Punkt | |
auffällig lange durchgehen. Auch als Merkel schon fast beleidigt sagte: "Im | |
Augenblick rede ich". | |
Überhaupt wirkt Merkel während der Debatte angeschlagen. Zwar wehrt sie | |
sich nach Kräften, aber die sind nach Wochen, in denen eine Regierungskrise | |
die andere verdrängt, spürbar begrenzt. Es ist erst zehn Tage her, da gab | |
es nur Guttenberg als Thema. Es ist erst sieben Tage her, da redeten alle | |
über den Kraftstoff E10 - und jetzt überrollt die Atomkrise die | |
Bundeskanzlerin. | |
Merkel flüchtet sich in eine Mischung aus staatstragender Rede und Empörung | |
über die Opposition. "Ich finde die Art und Weise ihrer Argumentation | |
respektlos", sagt sie, "Ihr Verhalten ist an Niveaulosigkeit nicht zu | |
unterbieten." Da ist es wieder: Merkel verpackt so den Vorwurf, dass die | |
Opposition die Balance zwischen Zurückhaltung und Wahltaktik nicht halten | |
kann. | |
## Laufzeiten bis 2050? | |
Natürlich lassen sich besonders Grüne und SPD die Chance zum Angriff nicht | |
nehmen. SPD-Chef Gabriel hält sich nur kurze Zeit zurück, spricht leise, | |
gibt den Vernunftpolitiker. Schon kurz darauf ruft er "das Ende des | |
Atomzeitalters aus", spricht von "Kumpanei" der Kanzlerin mit den | |
Energiekonzernen, ohne die der Atomausstieg schon weiter vorangekommen | |
wäre. Gabriel hat sich vorbereitet: Relativ einfach entkräftet er das | |
Argument Merkels, das aktuelle Moratorium gehe weiter als die rot-grünen | |
Beschlüsse. "Sie haben mich als Umweltminister noch dazu aufgefordert, die | |
Laufzeiten zu verlängern", ruft er, "heute haben Sie die Chuzpe, uns zu | |
kritisieren, weil wir zu langsam ausgestiegen sind." | |
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin argumentierte in die gleiche Richtung. | |
Er warnte vor Laufzeiten bis 2050, sollten die Kontingente der | |
abgeschalteten Meiler auf die neueren übertragen werden. | |
Linken-Fraktionschef Gregor Gysi forderte ebenso das Ende des | |
Atomzeitalters. | |
Die Bundestagsdebatte trifft die Koalition in einer Zeit, in der es noch | |
nicht einmal sicher scheint, in welche Richtung sie sich in der Frage der | |
Atompolitik bewegen wird. In dieser Woche wurden erste Stimmen laut, die | |
forderten, nicht alles in der Energiepolitik zu verteufeln, was einst als | |
gut galt. | |
Die Spitzenkandidaten in den Landtagswahlen scheinen dagegen übernervös: In | |
Rheinland-Pfalz sprach Frontfrau Julia Klöckner im Rededuell mit | |
Ministerpräsident Kurt Beck am Mittwoch auf einmal sogar davon, dass die | |
sieben vom Moratorium betroffenen Kernkraftwerke abgeschaltet bleiben | |
sollen. Die Unionspolitiker überbieten sich momentan in ihren | |
Anti-AKW-Tendenzen. | |
Angela Merkel hielt sich im Bundestag damit noch zurück. Doch viele in der | |
Union wissen, dass diese Debatte längst nicht mehr nur im Plenum | |
entschieden wird, dass sie nur noch zum Teil steuerbar ist. Der Verlauf | |
hängt auch vom Ausmaß der Katastrophe in Japan ab. Und natürlich von den | |
Landtagswahlen. | |
17 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Gordon Repinski | |
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