Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- AKW-Moratorium: Atomausstieg mit Augenmaß
> Bundeskanzlerin Merkel lehnt einen sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft
> ab. Die SPD wirft der Kanzlerin vor, das Moratorium sei nur ein Trick, um
> die Wähler bis zur Landtagswahl hinzuhalten.
Bild: Nach Moratorium vom Netz: Die Kernkraftwerke Philippsburg (links) und Nec…
BERLIN/KARLSRUHE dapd/dpa | Bereits vor der für Donnerstag geplanten
Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Atompolitik
gehen Regierung und Opposition aufeinander los.
SPD-Chef Sigmar Gabriel warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, das
von ihr verkündete Moratorium für die Restlaufzeiten deutscher
Atomkraftwerke sei nur ein Trick, um sich über die Landtagswahlen bis Ende
des Monats zu retten. Merkel warf der Opposition Unehrlichkeit vor. Der
Wirtschaftsflügel der Union kritisierte das Plädoyer von
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) für einen beschleunigten
Ausstieg aus der Atomenergie.
## SPD erwartet nur Bauernopfer von der Industrie
Gabriel sagte, die Bundesregierung schalte jetzt mit großem Tamtam sieben
Kernkraftwerke für drei Monate für Sicherheitsüberprüfungen ab. "Und nach
den drei Monaten?", fragte Gabriel. "Nach drei Monaten werden wir erleben,
dass die Atomlobby ein paar Bauernopfer bringen muss und für alle anderen
Atomkraftwerke werden die Laufzeiten verlängert." Die Bevölkerung werde
hinters Licht geführt.
Er habe mit Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann verabredet, in der EU
eine Volksinitiative zum Ausstieg aus der Atomenergie zu starten. "Die
Bürger Europas sollen entscheiden und nicht die Atomlobbyisten aus den
Konzernen und den Regierungen", sagte Gabriel. "Dafür gibt es Gott sei Dank
ein neues Recht in Europa: eine europäische Volksinitiative."
Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt einen sofortigen Ausstieg aus der
Atomkraft trotz der Katastrophe in Japan ab. "Wir wissen, wie sicher unsere
Kernkraftwerke sind - sie gehören zu den weltweit sichersten", sagte die
CDU-Chefin am Donnerstag. Es sei nicht sinnvoll, in Deutschland die
Kernkraftwerke abzuschalten und dann den Strom von anderen Ländern zu
beziehen. "Was wir brauchen ist ein Ausstieg mit Augenmaß", sagte Merkel in
einer Regierungserklärung im Bundestag.
Die Kanzlerin lehnte auch eine Rückkehr zu dem von Rot-Grün beschlossenen
stufenweisen Ausstieg bis 2022 ab. Zwar werde die Lage nach dem von ihr
verkündeten dreimonatigen Moratorium der im Herbst beschlossenen
Laufzeitverlängerung eine andere sein als jetzt. "Alles kommt auf den
Prüfstand", sagte Merkel. Doch werde sie auch anders sein als von Rot-Grün
beschlossen. Deren Gesetz sei "nicht tragfähig". Es gehe jetzt um einen
beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Regierung werde dafür
einen klaren Zeitplan vorlegen.
## Keine Auswirkungen der Atomdebatte auf die Landtagswahlen?
Merkel verteidigte das von der Opposition scharf kritisierte Vorgehen der
Regierung bei dem dreimonatigen Moratorium. Sie könne die Kritik nicht
nachvollziehen. Es handele sich nicht um einen juristischen Trick. Nach der
Atomkatastrophe in Japan habe sich eine neue Lage ergeben, und man könne
nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. "Wenn, wie in Japan, das
scheinbar Unmögliche möglich, das absolut unwahrscheinliche Realität wurde,
dann verändert das die Lage", sagte Merkel. "Es gilt der Grundsatz: Im
Zweifel für die Sicherheit."
Nach dem Atomgesetz sei eine vorübergehende Abschaltung der Kernkraftwerke
möglich, bis die Behörden sich Klarheit über die neue Lage geschaffen
hätten. Ein Abschaltgesetz, wie es die SPD fordert, sei nicht nötig, sagte
Merkel.
Merkel sagte, Auswirkungen der Atomdebatte auf die Landtagswahlen in
Baden-Württemberg am 27. März erwarte sie nicht. "Ich bin überzeugt, dass
die christlich-liberale Regierung ihren energiepolitischen Weg gut
begründen kann", sagte Merkel.
Nach dem schweren Erdbeben und der Atomkatastrophe in Japan hatte die
Bundesregierung verkündet, dass die Sicherheit der deutschen Kraftwerke in
den nächsten drei Monaten überprüft werden soll. Die sieben ältesten Meiler
werden hierfür abgeschaltet. Der Reaktor Krümmel bleibt solange
stillgelegt.
Die Regierung stützt sich dabei auf eine Regelung im Atomgesetz, wonach die
Aufsichtsbehörden der Länder eine einstweilige Stilllegung von Reaktoren
anordnen können, etwa wenn Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter
drohen. Die Opposition bezeichnet das Vorgehen als rechtlich fragwürdig.
## CDU-Wirtschaftsflügel wirft Röttgen Populismus vor
Der Vorsitzende des Unions-Parlamentskreises Mittelstand, Michael Fuchs
(CDU), sagte, Röttgen sei in der Fraktion gewesen, als diese den Antrag zur
Kernenergie einstimmig verabschiedet habe. "In dem Antrag steht, dass wir
jetzt das Moratorium machen und in diesen drei Monaten intensive
Sicherheitsprüfungen vornehmen. Da Herr Röttgen den Antrag mit beschlossen
hat, gehe ich davon aus, dass er sich auf dem Boden dieses Antrags bewegt",
sagte Fuchs. Er sei gegen einen Atomausstieg mit fliegenden Fahnen. "Wir
haben keine Alternativen", sagte Fuchs. Deutschland brauche Strom zu
bezahlbaren Preisen. Erneuerbare Energien seien aber weit teurer als
herkömmliche Energieträger. "Zu sagen, wir steigen aus allem aus, ist
unheimlich populistisch", sagte Fuchs.
Röttgen hatte dem Magazin Stern gesagt, er rechne noch für zehn bis 15
Jahre mit einer Nutzung der Atomkraft in Deutschland. Nach der im
vergangenen Herbst von der Regierungskoalition beschlossenen Änderung des
Atomgesetzes könnten einige Kernkraftwerke bis etwa 2040 am Netz bleiben.
## Erste Atommeiler nach Moratorium vom Netz
Nach dem Atom-Moratorium der Bundesregierung sind die beiden ersten Meiler
vom Netz. Der Energiekonzern EnBW schaltete in der Nacht zum Donnerstag wie
angekündigt zwei seiner vier Atomreaktoren ab.
Neckarwestheim I sei um 22.41 Uhr vom Netz gegangen, Philippsburg I um 4.28
Uhr, sagte am Morgen ein Unternehmenssprecher in Karlsruhe. Damit folge die
EnBW den Anordnungen des Umweltministeriums in Baden-Württemberg. Der
Betriebszustand der Meiler sei nach dem Herunterfahren vergleichbar mit dem
während einer Revision.
Block I des Kernkraftwerks Neckarwestheim bei Heilbronn war seit 1976 in
Betrieb und soll nun dauerhaft abgeschaltet bleiben. Block I in
Philippsburg bei Karlsruhe ging 1979 ans Netz und könnte nach dem
dreimonatigen Moratorium wieder hochgefahren werden.
Nach der Katastrophe in Japan hatte die Bundesregierung gemeinsam mit den
Ministerpräsidenten der Länder mit Atomkraftwerken angekündigt, dass sieben
Reaktoren, die vor 1980 ihren Betrieb aufnahmen, zumindest vorübergehend
abgeschaltet werden.
17 Mar 2011
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
Schwerpunkt Atomkraft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Das Atomkraft-Moratorium: Wirtschaft warnt vor hastigem Ausstieg
Das Moratorium der Bundesregierung stößt auf Kritik bei den
Spitzenverbänden der Wirtschaft. Ein zu schneller Ausstieg könnte die
Strompreise hochtreiben. Merkel sagte ein Treffen ab.
AKW Biblis geht vom Netz: Das Ende der Abhängigkeit
Jahrzehnte war die hessische Gemeinde Biblis vom AKW abhängig. Jetzt geht
der Meiler wohl vorläufig vom Netz. Nur die Lokalpolitik hofft auf ein
Comeback.
Kommentar Merkels Atompolitik: Der Kanzlerin ist nicht zu trauen
Was bei der Kanzlerin fehlt, ist Selbstkritik, dass die schwarz-gelbe
Politik der Laufzeitverlängerung falsch war. Und das dreimonatige
Moratorium bietet den Vorteil des Ungefähren.
Atom-Debatte im Bundestag: "Im Augenblick rede ich"
Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel stehen als Exumweltminister für den
Atomausstieg. Im Bundestag nutzen sie diesen Vorteil zum Angriff auf die
Kanzlerin.
Parteiinterne Kritik an Merkel: AKW-Abschaltung wohl rechtswidrig
Die Regierung ist unsicher, ob Merkels Schnellschuss rechtlich überhaupt
durchsetzbar ist. CDU-Parteikollegen werfen ihr vor, am Parlament vorbei zu
agieren.
Jürgen Trittin über das AKW-Moratorium: "Schwarz-Gelb hat Angst vor Wählern"
Die Abschaltung der AKWs soll die Koalition nur über die Wahlen retten,
kritisiert der Grünen-Fraktionschef. Um die Ängste der Menschen vor
Atomkraft ginge es nicht.
Streit um AKW-Stillegungen in Deutschland: "Wir haben keine Zweifel"
FDP-Chef Guido Westerwelle widerspricht rechtlichen Zweifeln an den
AKW-Stilllegungen. Umweltminister Röttgen plädiert dafür, die längeren
Laufzeiten für ältere AKWs ganz rückgängig zu machen.
AKWs im Norden: Vattenfall wankt, Eon blockt
Vattenfall stellt Wiederinbetriebnahme der Pannenmeiler Brunsbüttel und
Krümmel in Frage. Eon wehrt sich gegen ein Drei-Monats-Aus für das AKW
Unterweser.
Vorübergehende Stilllegung deutscher AKWs: Atomkraft auf Stand-by
Merkel will sieben AKWs vom Netz nehmen - vorerst nur für drei Monate. Doch
die Regierungskoalition tut sich schwer, den Kurswechsel glaubwürdig zu
verkaufen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.