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# taz.de -- Einst Gourmetrestaurant, jetzt Museum: Die große Bulliparade
> Im El Bulli revolutionierte Koch Ferran Adrià bis 2011 die Gastronomie.
> Nun hat er es neu eröffnet: als Museum für seine Molekularküche.
Bild: Köche und Köchinnen in der Küche des Restaurants El Bulli
Seeigel-Nigiri. Soja-Kristall. Dekonstruiertes Curry. Wan Tan mit Rosen und
Melonenwasser. Das sind 4 der insgesamt 1.846 Gerichte, die im
legendenumwobenen El Bulli kreiert wurden. Das Restaurant an der nördlichen
Costa Brava verdankt seinen Ruf vor allem [1][dem Spanier Ferran Adrià].
Als 22-Jähriger heuerte er 1984 im El Bulli an, wurde bald Chefkoch, später
Besitzer, erkochte dem Restaurant einen zweiten und dritten Michelin-Stern
und erreichte alles, was man als Küchenchef erreichen kann – einschließlich
einer Einladung zur Documenta in Kassel.
Adriàs Essen [2][wurde immer innovativer], auch über Feinschmeckerkreise
hinaus war er für seine Molekularküche bekannt, und so gab es schließlich
einen Riesenhype und Hunderttausende Anfragen für die 8.000
Tischreservierungen einer Saison – und dann war 2011 Schluss. Bis in diesem
Sommer das El Bulli wieder eröffnete, als Museum „elBulli1846“.
Die Anfahrt dorthin erfolgt mit dem Minibus. Direkt hinter der quirligen
Touristenhochburg Roses schraubt er sich auf Serpentinen durch die bizarre
Landschaft des Naturparks Cap de Creus. Kahle Berge, hier und da Relikte
aus der Megalithkultur, die die Jahrtausende überdauert haben, tief unten
blitzt immer wieder das Mittelmeer auf – ein großartiges Panorama.
Nach rund zwanzig Minuten ist die abgelegene Cala Montjoi erreicht, eine
der schönsten Buchten Spaniens. Dort empfängt das elBulli1846 mit einer
Freiluftgalerie von Stelen und Tafeln aus aufwändig gestyltem oxidiertem
Stahl, allerlei Schlagwörter und Abbildungen sollen auf das Thema Essen und
Kochen einstimmen, etwa: „Love is the ultimate expression of cooking.“ Ob
das auch für Ferran Adriàs Küche gilt?
## Man betrachtet sich als revolutionär
Vorbei an Skulpturen grimmig dreinblickender Hunde in weißen Kitteln –
augenzwinkernder Verweis auf die Bulldogge, die einst bei der Namensgebung
des Restaurants Pate stand – geht es zum einstigen Lokal. „Gleich betrittst
du den Ort, der den Paradigmenwechsel in der Gastronomie eingeleitet hat“,
verkündet pathetisch ein Schild. Doch, doch, das „El Bulli“ betrachtet sich
als revolutionär.
Dann ist man mittendrin im konventionellen Speisesaal. Rundum sind die
Tische gedeckt, als würden gleich die Gäste eintreffen. Doch was auf den
Tellern liegt, sind täuschend echte Nachbildungen aus Wachs: „Aufgetautes“
von 2005, „Samen“ von 2006, „dekonstruierter grüner Spargel“ von 2007.…
1.846 im El Bulli kreierten Gerichte werden aufgeführt, wenn auch meist nur
virtuell, auf Tablets oder als Projektionen. Die Zahl, die es auch in den
Museumsnamen geschafft hat, soll zudem eine Hommage an den berühmten
französischen Koch Auguste Escoffier sein, der 1846 geboren wurde.
Ergänzend zu den Gerichten werden Menüpläne, Fotos, Videos oder
Kochutensilien wie ein Dampfkochtopf, Küchensilikon oder Kochpapier
ausgestellt. Im Schnelldurchgang zeichnen sie die Entwicklung des
Restaurants und von Adriàs Kochkunst nach: von der konventionellen Gourmet-
zur Molekularküche unter Einsatz von Stickstoff und weiter zu den Schäumen,
den Dekonstruktionen, den Infusionen, Gelatinen und der Sphärenküche.
## Gewürzt mit Humor, Provokation und Überraschungseffekten
Wobei die Speisen oft mit einer gewissen Portion Humor, Provokation, Ironie
und reichlich Überraschungseffekten gewürzt sind. Wenn zum Beispiel auf dem
Teller aus raffinierten Ingredienzien die Buchstaben THE SOUP arrangiert
werden, als würde es sich um eine ganz banale Suppe handeln. Oder eine
Gemüseminestrone in verschiedenfarbige Schäume und Kleckse zerlegt wird.
Aber woraus sie genau bestehen oder wie sie hergestellt werden, wird nicht
verraten.
Hat man im Restaurant und in der Küche seine Neugier einigermaßen gestillt
– zwischendurch wird ein halbes Glas Wasser gereicht –, geht es weiter in
einen puristisch designten Neubau, der sich wissenschaftlichen oder
zumindest theoretischen Aspekten widmet. Nachdem der Museumsbetrieb für
diese Saison am 16. September endet, soll dieser Ort in der Wintersaison
[3][als „elBulliDNA“] weiteren Forschungsprojekten zur techno-emotionalen
Küche dienen.
Bis dahin sind hier in der sogenannten Bullipedia Kochbücher und
Zeitungsausschnitte hinter Glas zu sehen. Dazwischen flackern schwer
verständliche Videoschnipsel von Ferran Adrià von der Decke, der wie ein
Prophet seine Botschaften verkündet. Dessen [4][von dem einstigen Stammgast
Richard Hamilton] signierte weiße Kitteljacke macht den Eindruck einer
Kultstätte perfekt.
## Gesalzen ist hier nur der Eintrittspreis
Doch so sehr das elBulli1846 dem hochdekorierten Kochstar huldigt – längst
wurde seine Molekularküche von anderen Trends eingeholt. Die Menüs aus
vierzig Gängen, für die man mehrere Stunden absitzen musste, sind
tatsächlich museumsreif. Wenn die Speisen zuletzt nur noch aus einem
erbsengroßen Etwas bestanden, das auf einem großen Esslöffel serviert
wurde, hatte sich Adriàs Küche definitiv vom sinnlichen Gaumenschmaus zu
einem eher intellektuellen Genuss entwickelt.
Insofern ist es folgerichtig, wenn das elBulli1846 jetzt ausschließlich
geistige Nahrung serviert, gesalzen ist hier nurmehr der Eintrittspreis
(27,50 Euro, Busfahrt inklusive). Es ist eine Flut aus Fakten, Bildern und
Installationen, die auf den 3.800 Quadratmetern Ausstellungsfläche
dargeboten werden. Doch sie hinterlässt keinen Nachgeschmack, denn
Geschmack lässt sich eben nicht konservieren. Und so verlässt man das
Museum mit dem Kopf voller Eindrücke – und leerem Magen. Ein
Museumsrestaurant gibt es nicht im Restaurantmuseum, nicht einmal eine
Caféteria.
Zum Glück findet sich unten an der Bucht ein Strandkiosk. Gegrillter
Tintenfisch und herzhafte Patatas bravas mit Blick aufs Meer: Was für ein
Genuss!
1 Sep 2023
## LINKS
[1] /5165079/
[2] /Werkstattbericht/!5165082
[3] https://elbullifoundation.com/elbullidna/en/
[4] /Nachruf-auf-Pop-Art-Maler-Richard-Hamilton/!5112006
## AUTOREN
Ulrike Wiebrecht
## TAGS
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