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# taz.de -- Jurist über Kunstfreiheit in Afghanistan: „Menschen abbilden ist…
> Die Reihe „Hidden Statement“ zeigt virtuell Kunst aus Afghanistan, die
> die Künstler das Leben kosten kann. Jurist Michael Mai versucht, zu
> helfen.
Bild: Kein Gesicht ist zu erkennen, trotzdem ist die Abbildung in Afghanistan g…
taz: Herr Mai, Sie standen den Kurator:innen Elke Gruhn und Yama Rahimi
bei der Konzipierung der virtuellen [1][Ausstellungsreihe „Hidden
Statement“] juristisch zur Seite. „Hidden Statement“ macht eine für uns
unbekannte bildende Kunst aus Afghanistan frei zugänglich. Sichtbar zu
sein, ist für die in Afghanistan lebenden Künstler:innen aber eine
Gefahr. Wie kann man ihre Kunst im Web dokumentieren und die
Urheber:innen gleichzeitig schützen?
Michael Mai: Die Kula Compagnie um Theaterregisseur Robert Schuster und ihr
Film „Das fünfte Rad“ waren für mich ein Vorbild. Darin treten
Schauspielerinnen auf, die sich damals in Afghanistan im Untergrund
befanden, aber in völliger Anonymität blieben. Der einzige gangbare Weg für
die Ausstellung war also die komplette Anonymisierung der Künstler:innen.
Bei „Hidden Statement“ werden nur Pseudonyme verwendet und die
biografischen Angaben sind so reduziert, dass eine Rückverfolgung ins Leere
führen würde. Ich glaube, die strikte Vertraulichkeit im Umgang mit Namen
und Daten ist zentral für das Gelingen dieser Ausstellung. Nur ein sehr
kleiner Kreis kennt sie vollständig.
Alles Bildmaterial, alle Erläuterungen wurden für „Hidden Statement“ per
Messengerdiensten gesammelt. Begeben sich die Künstler:innen nicht schon
durch das bloße Abfotografieren und Versenden in Gefahr?
Das größte Risiko sind Daten und nicht gelöschte Chatverläufe auf
Smartphones und Computern, wenn diese an Checkpoints, bei Festnahmen oder
Hausdurchsuchungen – und davon gibt es viele – den Taliban in die Hände
fallen.
Spüren die Taliban Künstler:innen auch über ein Cyber-Überwachungssystem
auf?
Die Taliban nutzen die Überwachungstechniken nicht so aktiv, wie es möglich
wäre. Bildende Künstler:innen fallen anders auf. Wenn sie sich etwa
Material beschaffen wollen, das bei den Lebensbedingungen unerschwinglich
teuer geworden ist. Das fängt bei Farben an. Viele werden auch denunziert.
Auf welcher rechtlichen Grundlage verfolgen die Taliban Künstler:innen?
Ich habe versucht, an Urteile ranzukommen, an irgendein Dokument der
Rechtsprechung. Bislang erfolglos. Die Taliban verfolgen Künstler:innen
brutal und willkürlich. Grundlage ist eine fanatische Auslegung religiöser
Texte. Aber wer weiß, wer sie wann wie auslegt. Das ist das Schlimme für
die Menschen vor Ort. Mal wird jemand für zwei Tage festgenommen und kommt
frei, mal endet jemand tot im Graben.
In den virtuellen Einzelausstellungen sieht man viel figurative Malerei und
Fotografie, Bilder von Menschen und Plätzen, kaum abstrakte Anspielungen.
Ist diese Art der konkreten Darstellung nicht ein besonderes Risiko?
Menschen abzubilden ist gefährlich! Insbesondere Frauen – vor allem ohne
Verschleierung! Dass Frauen massiver Verfolgung ausgesetzt sind, ist nur
mit dem verächtlichem Rollenverständnis der Taliban ihnen gegenüber zu
erklären. Auch Ehemänner oder männliche Verwandte werden stellvertretend
bestraft, da sie ihrer Rolle des „Aufpassers“ auf die Frauen nicht
ausreichend nachgekommen seien. Das erhöht den sozialen Druck innerhalb der
Familien enorm.
Wie konnten Sie in dieser bedrohlichen Lage überhaupt Kontakt zu den
Künstler:innen aufnehmen?
Erste Kontakte kamen von [2][Yama Rahimi, der bis 2015 in Afghanistan
lebte] und selber Künstler ist. Und mittlerweile hat sich ein großes
Netzwerk entwickelt. Uns vertrauen viele, auch weil wir seit zwei Jahren
beständig daran arbeiten, Künstler:innen und Kulturschaffende in
Sicherheit zu bringen. [3][Im August 2021] …
… als das Auswärtige Amt in einer zehntägigen Aktion Menschen aus
Afghanistan evakuierte, worauf jetzt, zwei Jahre später, eine gerade
freigeschaltete, neue Reihe von „Hidden Statement“ hinweist …
… da wurden Namen für eine Menschenrechtsliste zusammengetragen, aber deren
Schließung nicht kommuniziert. Der Frust war groß. Doch einige wurden
doppelt geführt, wir konnten daher die Liste um wenige zusätzliche Namen
korrigieren. Samiullah Nabipour, der ehemalige Dekan der Kunstfakultät der
Universität Kabul, war dabei. Im Dezember 2021 [4][hatten wir die Idee
einer Verzichtserklärung] für diejenigen, die schon in einem sicheren
Drittland waren. Gut 250 weitere Familien rückten so auf der
Menschenrechtsliste nach. Das hat sich in den Netzwerken schnell verbreitet
und Vertrauen in uns geschaffen. Zu den Nachrückerinnen gehörte auch
Zarghuna Haidari. Sie hat in Kabul das Kulturzentrum Pole Surkh geleitet
und sich offen für die Bildung von Frauen eingesetzt. Ihr Name und ihr
Gesicht waren bekannt. Erst im Frühjahr 2022 erfuhren wir, dass sie sich in
einem Safe House versteckte. Ihre Evakuierung war ein Rennen gegen die
Zeit: Eine Gruppe aus dem Safe House war von den Taliban aufgegriffen
worden, sie hätten an Informationen zu ihrem Aufenthalt gelangen können.
Binnen weniger Stunden erfuhr das Auswärtige Amt davon, nahm mit Zarghuna
Kontakt auf, verglich dann die Listen. Das war unglaublich – und zudem an
einem Freitagnachmittag. Ihre Evakuierung über Pakistan nach Deutschland
gelang in wenigen Tagen. Zarghuna studiert heute Kunst in Süddeutschland.
Die virtuelle Ausstellungsreihe endet, wenn alle ihre 200 Künstler:innen
evakuiert wurden. Wann wird das sein?
Um einen leitenden Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes aus einer öffentlichen
Veranstaltung zu zitieren: „Die Zahl lautet nicht 42“ – seine Anspielung
auf den Film „Per Anhalter durch die Galaxis“ –, „sondern 1.000 Personen
pro Monat.“ Das ist aktuell das maximale Kontingent. Würden die 1.000
eingehalten, wäre die Ausstellung schon in sechs Monaten beendet. Das wird
mit dem jetzigen Tempo im Bundesaufnahmeprogramm nicht laufen. Die
Visavergabe war für Monate ausgesetzt, jetzt langsam fährt sie wieder
hoch.
„Hidden Statement. Art in Afghanistan“: Nassauischer Kunstverein Wiesbaden,
in Kooperation mit Villa Massimo, Goethe-Institut Rom, Walter’s Cube, HfG
Offenbach, Kunsthochschule Weißensee. [5][www.kunstverein-wiesbaden.de]
16 Aug 2023
## LINKS
[1] https://www.kunstverein-wiesbaden.de/austellung/hidden-statement-art-in-afg…
[2] /Initiative-fuer-afghanische-Musiker/!5910141
[3] /Machtuebernahme-und-Unterdrueckung-durch-die-Taliban/!5949650
[4] /Flucht-aus-Afghanistan-vor-den-Taliban/!5849785
[5] https://www.kunstverein-wiesbaden.de/ausstellungen/digital
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
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