| # taz.de -- Sommerserie „Wie riecht Berlin?“ (3): Der frische Duft von Lime… | |
| > Der Geruch von Shishabars lässt sich mancherorts nicht überriechen. Ein | |
| > Besuch gibt Anlass, über Habitusfragen und Clan-Debatten nachzudenken. | |
| Bild: Noch geruchsfrei: Shishas warten auf ihren ersten Einsatz | |
| Berlin taz | An einem dieser warmen Sommertage fahre ich mit meinem Fahrrad | |
| durch Charlottenburg. Die Sonne scheint auf den Asphalt und es riecht, wie | |
| es im Sommer oft in Berlins Straßen riecht: nach einer Mischung aus | |
| trockener Luft, Lindenblüten, Asphalt und Abgasen. Auf einmal – pffffffftt | |
| – höre ich, wie die Luft aus meinem Vorderrad strömt. | |
| „Och nö, nicht schon wieder“, denke ich. Erst am Vortag habe ich einen | |
| Platten am Vorderrad geflickt. Jetzt also der zweite. Als ich an der | |
| Kreuzung Leibnizstraße Ecke Bismarckstraße zum Stehen komme, weht mir ein | |
| neuer Geruch in die Nase. Es ist der süßliche Geruch von Shishatabak. Ich | |
| tippe auf Pfirsicharoma. | |
| Vor knapp zehn Jahren, als ich als Teenager angefangen habe, Beck’s Ice zu | |
| trinken und auf Partys zu gehen, gab es in meinem Freundeskreis einen | |
| Trend: Shisharauchen war irgendwie angesagt. In meiner Freundesgruppe | |
| hatten wir sogar zusammengelegt, um uns eine „Gruppen-Shisha“ anzuschaffen. | |
| In Berlin sind Shishabars nicht einfach nur ein Trend, sondern seit | |
| etlichen Jahren fest etabliert. Über 300 soll es geben, auch auf berlin.de, | |
| dem „offiziellen Hauptstadtportal“, sind auf [1][einer eigenen | |
| Shishabar-Seite] etliche gelistet. Vor allem in Kreuzberg, in Neukölln | |
| entlang der Sonnenallee, in Wedding und in Moabit an der Turmstraße weht | |
| einem der süßliche Geruch in die Nase. | |
| Jetzt stehe ich da mit meinem platten Reifen an der Kreuzung und der | |
| Shishageruch erinnert mich an vergangene Zeiten. Warum gehe ich eigentlich | |
| nicht in Shishabars? Alt genug wäre ich mittlerweile. In andere Kneipen | |
| gehe ich ja auch. Aber dort gibt es eben einen Zapfhahn, der in vielen | |
| Shishabars fehlt. | |
| Bestimmt hat diese Shisha-Abstinenz auch etwas mit meinem Habitus zu tun, | |
| schaltet sich mein Soziologenhirn ein. Bis zum fünften Semester gab es | |
| gefühlt noch kein Seminar, in dem nicht die Theorie über den Habitus als | |
| die „Leib gewordene Geschichte“ von Pierre Bourdieu vorkam. Und | |
| ehrlicherweise hängen in Shishabars Leute ab, mit denen ich sonst nichts zu | |
| tun habe. Ich bewege mich in einer anderen Blase. In einem anderen | |
| „Milieu“, würden Soziolog:innen sagen. | |
| ## Spuren von Bullshit | |
| Hinzu kommen diese Geschichten über die kriminellen Clans und arabische | |
| Großfamilien mit den konspirativen Treffen in den Shishabars! Dass das | |
| Bullshit ist, weiß ich eigentlich. Doch die reißerischen Zeitungsartikel | |
| und tendenziösen Fernsehbeiträge über Razzien und Großeinsätze der Polizei | |
| in Shishabars sind auch an mir nicht spurlos vorbeigegangen. | |
| Anfang des Jahres ist eine [2][Studie] dreier Soziolog:innen der | |
| Humboldt Universität erschienen. Sie haben sich die Berichterstattung | |
| zahlreicher Medien über „arabische Clans“ angesehen. Die Forschenden kommen | |
| zu der Erkenntnis, dass vor allem diese „arabischen Clans“ im Vergleich zu | |
| anderen, etwa türkeistämmigen oder aus dem Westbalkan stammenden | |
| Großfamilien, besonders häufig kriminalisiert und rassifiziert werden. | |
| Die Schlussfolgerung der Forschenden: Die Medien verbreiteten eine klare | |
| Botschaft, die lautet: Um den „Verfall der deutschen Zivilgesellschaft“ zu | |
| beenden, müssten die arabischen Clans kontrolliert und zurückgedrängt | |
| werden. | |
| Dass infolge solcher Berichterstattung in der Öffentlichkeit das Bild | |
| krimineller Großfamilien entsteht, liegt nahe. Die Tatsache, dass | |
| „Clankriminalität“ im Jahr 2021 nur knapp 0,2 Prozent der insgesamt | |
| erfassten Straftaten in Berlin ausmachte, zeigt, wie verzerrt die Debatte | |
| ist. | |
| Diese Kombination aus Vorurteilen, meinem sozialen Milieu und einer | |
| Vorliebe für Kneipen mit Alkoholausschank hat mich bis jetzt davon | |
| abgehalten, einen Abend in einer Shishabar zu verbringen. Als ich mein | |
| plattes Rad nach Hause schiebe, beschließe ich: Das muss sich ändern! | |
| An einem späten Mittwochabend bin ich um 22.30 Uhr in Moabit mit einem | |
| Kumpel in einer Shishabar verabredet. Er hat sich bereits einen Platz | |
| gesucht und sitzt draußen in einem der tiefen Sessel mit großen weißen | |
| Kissen. Die weißen Schwaden über den Sesseln riechen schon von Weitem | |
| künstlich nach Waldbeere und Apfel. | |
| Als ich ankomme, müssen wir beide schmunzeln. Offensichtlich bin ich nicht | |
| der Einzige, der sich ein wenig fehl am Platz und unsicher fühlt. Als sich | |
| nach einiger Zeit noch niemand nach unseren Wünschen erkundigt hat, fragen | |
| wir uns, ob wir zum Bestellen rein müssen. Mein Kumpel fragt die drei Jungs | |
| hinter uns, ob jemand rauskommt, um die Bestellung aufzunehmen. „Die | |
| bringen eigentlich ’ne Karte raus“, sagt einer von ihnen. Er gibt uns aber | |
| freundlicherweise schon mal seine. Als nach weiteren fünf Minuten immer | |
| noch niemand da ist, gehe ich zum Bestellen an den Tresen. | |
| Ganz im Gegensatz zu so mancher Berliner Eckkneipe riecht es drinnen nicht | |
| nach Bier und Zigarettenrauch, sondern angenehm frisch. Die Fruchtaromen | |
| scheinen den Tabakgestank zu überdecken. | |
| ## Dekorativer Glühdraht | |
| Über der Bar hängen große Glühbirnen mit dekorativem Glühdraht. Auf zwei | |
| Monitoren laufen Musikvideos, aus den Lautsprechern schallt leise | |
| Deutschrap. An der Wand prangt in blauer Neonschrift: „Every moment has | |
| it’s flavour.“ | |
| In der Tat bietet die Bar 14 verschiedene Aromen an. Neben klassischen | |
| Sorten wie Apfel oder Wassermelone gibt es auch nebulösere, etwa „Red | |
| Magic“ oder „Bruderherz“. Nach was die wohl schmecken? Traube-Minze sei d… | |
| meistbestellte Aroma, sagt der freundliche junge Mann, der mich berät. Ich | |
| entscheide mich für Limette-Minze und bestelle eine Fassbrause und KiBa | |
| dazu. Alkohol steht nicht auf der Karte. Das sei auch so gewollt, meint der | |
| junge Mann hinter dem Tresen. | |
| Kurze Zeit später bringt er unsere vorbereitete Shisha und die Getränke an | |
| den Tisch. Mittlerweile ist es dunkel geworden. Beim ersten Zug glühen die | |
| drei Kohlewürfel in der Nacht auf. Das Wasser in der Bowl, dem großen | |
| Glasbehälter, blubbert. Als ich den Rauch einatme, fühle ich mich wieder | |
| wie mit 15. Der Rauch ist kalt, leicht fruchtig und schmeckt wie | |
| versprochen nach Minze und Limette. Zum Glück ist er nicht so | |
| dominant-süßlich wie der Geruch, der mir in Charlottenburg in die Nase | |
| gestiegen ist. | |
| Das Blubbern entspannt und wir reichen uns den Schlauch hin und her. Der | |
| Rauch kratzt nicht im Rachen und schmeckt im Gegensatz zu einer Zigarette | |
| angenehm frisch. Dabei ist Shishatabak nicht weniger schädlich. Es ist der | |
| gleiche Tabak wie für Zigarren und Zigaretten. Nikotinfreien Tabak gibt es | |
| auch. | |
| Die Aromen werden entweder direkt aus Früchten extrahiert oder chemisch | |
| hergestellt. Zusammen mit Melasse aus Zuckerrohr und Glycerin, welches für | |
| den dichten Rauch sorgt, werden die Aromastoffe dann mit dem Tabak | |
| vermischt. | |
| Um halb zwölf hat sich die Bar in dieser Mittwochnacht in Moabit deutlich | |
| geleert. Innen sitzt noch der Chef und zieht an seiner Wasserpfeife. Auch | |
| mein Kumpel und ich gehen bezahlen. 13 Euro für einen Kopf finde ich | |
| happig. Passionierter Shisharaucher werde ich wohl nicht mehr werden. | |
| Die entspannte Atmosphäre aber, der freundliche Service und der frische | |
| Geruch von Limette-Minze werden mir in Erinnerung bleiben. | |
| 8 Aug 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.berlin.de/bars/shisha-bars/ | |
| [2] https://doi.org/10.3390/socsci12020104 | |
| ## AUTOREN | |
| Leonel Steinbrich | |
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