# taz.de -- Deflation in China: Der Wachstumskiller | |
> Während viele unter der Inflation ächzen, rutscht China in eine | |
> Deflation. Aber wenn alles günstiger wird, ist das für die Wirtschaft | |
> schlecht. | |
Bild: Vieles steht leer – oder wird nicht fertiggebaut. Evergrande-Wohnkomple… | |
BERLIN taz | Mitten in der Landschaft ragen etwa 30-stöckige Apartmenttürme | |
empor, vielleicht zwei Dutzend. Einige sind fertiggestellt, die anderen | |
sind noch im Bau. Doch selbst bei denen sind die Baugerüste zum Teil schon | |
abmontiert, die Kräne stehen still. Und selbst die bezugsfertigen | |
Wohnhäuser stehen leer. | |
So wie in diesem Vorort der Millionenmetropole Hangzhou sieht es in zig | |
chinesischen Städten aus. Der Immobilienmarkt befindet sich im freien Fall. | |
Allein im Juni waren die Immobilienverkäufe um fast 30 Prozent im Vergleich | |
zum Vorjahresmonat eingebrochen. | |
Landesweit sitzt China auf einem gigantischen Bestand von mehr als 50 | |
Millionen Wohnungen, die keine Käufer – geschweige denn Mieter – finden. | |
„Wir stecken in einer tiefen Depression“, heißt es bei Country Garden | |
Holdings, einem führenden Immobilienentwickler in China. | |
Es ist genau das passiert, wovor Ökonomen seit 15 Jahren in Bezug auf | |
[1][Chinas aufgeblähten Immobiliensektor] warnen: Die Blase ist geplatzt. | |
Nicht so schockartig, wie die Welt das nach der Pleite der Lehman-Bank | |
2008 und der darauf folgenden Immobilien- und Finanzkrise erlebte, sondern | |
auf chinesische Art: Dort springt bei Zahlungsverzug der | |
Immobilienunternehmen der Staat ein, weil er eine Insolvenz der großen | |
Konzerne nicht riskieren will. Käufer und Investoren für Immobilien bleiben | |
dennoch aus. Die Aktien der Bauunternehmen fallen – und müssen nun | |
reihenweise den Börsenhandel verlassen. | |
## Es kommt zum Käuferstreik | |
Werte sind also trotzdem vernichtet. Und weil zugleich 70 Prozent des | |
chinesischen Privatvermögens in Immobilien gebunden ist und viele | |
VerbraucherInnen verschuldet sind, gehen sie in den Käuferstreik. Die | |
Autoverkäufe gehen zurück, der Konsum ebenso. Die Preise fallen. Während | |
westliche Notenbanken und die meisten Länder der Welt derzeit unter | |
Inflation ächzen, steht China vor dem gegenteiligen Phänomen: einer | |
Deflation. | |
Am Mittwoch gab das Pekinger Statistikamt die aktuellen Zahlen bekannt. Die | |
Verbraucherpreise sind im Juli im Vergleich zum Vorjahr um 0,3 Prozent | |
gefallen. Bereits im Juni hatten die Preise nur noch stagniert. | |
Was Deflation so gefährlich macht: Wenn Verbraucher darauf setzen, dass | |
Waren immer günstiger werden, halten sie sich mit ihren Ausgaben zurück. | |
Die Firmen bleiben auf ihren Produkten sitzen, müssen die Löhne senken und | |
Mitarbeiter entlassen – was den Konsum weiter drückt. Investitionen kommen | |
in einer solchen Lage für die Unternehmen gar nicht infrage. | |
Während bei Inflation die Zentralbanken mit höheren Zinsen gegensteuern | |
können, sind die Instrumente bei Deflation weniger wirkungsvoll. Nur | |
„schnelle, substanzielle und nachhaltige“ fiskalische Anreize der Regierung | |
würden helfen, sagt der renommierte Chefökonom des | |
Nomura-Forschungsinstituts Richard Koo. | |
## Staatliche Anreize sind in China nur schwer umsetzbar | |
Zwar ist die Verschuldung des Zentralstaats weiterhin niedrig. Der Ökonom | |
Koo hält fiskalische Anreize dennoch für nur schwer umsetzbar. Denn was in | |
China hinzukommt: Auch die Kommunalverwaltungen haben jahrzehntelang am | |
Immobiliengeschäft verdient. Und zwar durch den Verkauf von Grundstücken. | |
Nun, da diese Einnahmequelle ausfällt, sind sie ebenfalls in | |
Zahlungsschwierigkeiten. Also hält sich auch die öffentliche Hand mit | |
Investitionen zurück. Koo spricht von einer drohenden „Bilanzrezession“: | |
Verbraucher, Unternehmen und Kommunen zahlen lieber Schulden zurück, | |
anstatt Kredite aufzunehmen und zu investieren. Die Abwärtsspirale dreht | |
sich weiter. | |
Dem Statistikamt zufolge schaffte die chinesische Volkswirtschaft im | |
abgelaufenen Quartal zwar ein Wachstum von 6,3 Prozent im Vergleich zum | |
Vorjahreszeitraum. Das klingt beachtlich. Doch diese Zahl trügt. Vor einem | |
Jahr verhängte die Führung in Schanghai und zahlreichen anderen Regionen | |
einen der drakonischsten Corona-Lockdowns überhaupt. | |
Die Wirtschaft stand für sechs Wochen quasi still. Im Vergleich zum | |
Vorquartal wuchs die chinesische Wirtschaft zuletzt auch nur noch um 0,8 | |
Prozent. Das ist für ein sich noch entwickelndes Schwellenland wie China, | |
in dem insbesondere im ländlichen Raum noch viel Wachstumspotenzial | |
vorhanden wäre, wenig – und weit entfernt von den durchschnittlich jährlich | |
7 Prozent Wachstum in den Jahren vor der Pandemie. | |
## Sogar der Export schwächelt | |
Die Arbeitslosigkeit unter jungen Leuten und Uniabsolventen liegt | |
inzwischen landesweit bei über 20 Prozent. Dabei müsste eigentlich | |
Arbeitskräftemangel herrschen. Denn aufgrund der jahrzehntelangen | |
Ein-Kind-Politik, die jedem Ehepaar nur ein Kind erlaubte, schrumpft die | |
Zahl der Arbeitskräfte seit einiger Zeit. | |
Dass die Jugendarbeitslosigkeit dennoch so hoch ist, zeigt, wie schlecht es | |
auch um den chinesischen Arbeitsmarkt und damit die Wirtschaft insgesamt | |
bestellt ist. Nicht mal der lange Zeit so boomende Außenhandel kann die | |
Schwächen ausgleichen. Nach bereits starken Rückgängen in den Vormonaten | |
sanken die Exporte im Juli im Jahresvergleich um 14,5 Prozent. | |
Erinnerungen an Japan zu Beginn der Neunzigerjahre werden wach. Bis dahin | |
erlebte auch der Inselstaat einen Boom. Dann platzte dort die Blase. Der | |
japanischen Regierung gelang es zwar, mit erheblichen Staatsausgaben einen | |
Absturz der gesamten japanischen Volkswirtschaft zu verhindern. Was aber | |
folgte, waren Jahrzehnte der Deflation. | |
Doch es gibt einen gravierenden Unterschied. Als die japanische Wirtschaft | |
zu stagnieren begann, gehörte das Bruttoinlandsprodukt Japans pro Kopf zu | |
den höchsten der Welt. China hingegen liegt derzeit nur knapp über dem | |
mittleren globalen Einkommensniveau. Sprich: Japan war schon reich. China | |
ist es nicht. | |
9 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Felix Lee | |
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