# taz.de -- Immobilienentwickler Evergrande: An den Rand des Abgrunds spekuliert | |
> Der chinesische Immobilienkonzern Evergrande schlittert immer tiefer in | |
> die Krise. Die Zinsfristen sind überschritten, die Aktie ausgesetzt. | |
Bild: Zentrale für Verheißung und Größenwahn: Evergrande-Firmensitz in Shen… | |
PEKING taz | Als die boomende Immobilienbranche auf einem nicht enden | |
wollenden Pfeil nach oben zu reiten schien, ließ der [1][Branchenriese | |
Evergrande] direkt vor der Nordküste Hainans, Chinas tropischer | |
Ferieninsel, einen künstlichen Archipel in Form einer aufblühenden Blume | |
aufschütten. Ausgerechnet das schillernde Bauprojekt im Wert von über 20 | |
Milliarden Euro droht nun, dem strauchelnden Marktriesen den Todesstoß zu | |
verpassen: 39 riesige Apartmentanlagen muss Evergrande laut Medienberichten | |
auf „Ocean Flower Island“ innerhalb von zehn Tagen abreißen lassen. Der | |
Grund: Der Entwickler soll die Baugenehmigungen illegal erworben haben. | |
Das ist der vermutliche Auslöser der Hiobsbotschaft vom Montag, als die | |
Hongkonger Börse in einer knappen Stellungnahme bekannt gab, die | |
Evergrande-Aktie werde vom Handel ausgesetzt. Der Firmenzentrale in | |
Shenzhen war bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe keine weitere Erklärung | |
über die Hintergründe zu entlocken. | |
Doch angesichts der jüngsten Entwicklungen rund um den Immobilienkonzern | |
ist der Handelsstopp alles andere als überraschend: Vergangenen Dienstag | |
soll der Konzern erneut den Termin für eine sogenannte Kuponzahlung, also | |
eine Zinsausschüttung an die Aktionäre, in Höhe von über 250 Millionen | |
Dollar verpasst haben. | |
Zuvor hatten bereits zwei internationale Ratingagenturen den in Höhe von | |
300 Milliarden US-Dollar verschuldeten Immobilienriesen auf „restricted | |
default“ herabgestuft – das ist nur einen Schritt von der vollständigen | |
Zahlungsunfähigkeit entfernt. Die am Montag ausgesetzten [2][Aktien hatten | |
2021 eine einzige Talfahrt hingelegt]: 90 Prozent Wertverlust innerhalb von | |
zwölf Monaten. | |
## Gier und Größenwahn | |
Tatsächlich ist der Niedergang von Evergrande vor allem ein Beispiel für | |
Gier und turbokapitalistischen Größenwahn. Jahrzehntelang hatten | |
Immobilienentwickler keinerlei Skrupel, sich mit immer umfangreicheren | |
Krediten zu übernehmen. Denn diese waren schließlich frei verfügbar – und | |
man war der Meinung, dass der Staat im Notfall schon aushelfen werde. Denn | |
der könne auch kein Interesse an einem neuen Lehman-Skandal haben. | |
Apartmentwohnungen wurden wie spekulative Waren gehandelt. Knapp ein | |
Fünftel des chinesischen Wohnbestands soll derzeit leer stehen, weil die | |
Preise für die Bevölkerung inzwischen schlicht zu hoch sind. | |
„Häuser werden gebaut, um bewohnt zu werden, und nicht für Spekulationen“, | |
sagte Staatschef Xi Jinping beim letztjährigen Parteitag der | |
Kommunistischen Partei. Die Staatsführung regulierte die Schuldenquote | |
sowie die Kreditvergabe – und brachte damit unweigerlich die überhitzte | |
Branche ins Straucheln. | |
## Häuslebauer können auf Staat hoffen | |
Schadenfreude ist angesichts der Evergrande-Tragödie allerdings fehl am | |
Platz. Denn möglicherweise 1,6 Millionen chinesischer Häuslebauer sitzen | |
vor unfertigen Apartmentsiedlungen. Wahrscheinlich wird der Staat ihnen | |
tatsächlich noch aus der Patsche helfen, denn Unruhen und Proteste möchte | |
die Kommunistische Partei in jedem Fall vermeiden. Die internationalen | |
Gläubiger laufen hingegen höchste Gefahr, kein Geld mehr zu sehen. | |
Der Immobilienmarkt wird in China zweifelsohne einen nachhaltigen Wandel | |
durchlaufen. Am Sonntag publizierte die Zentralbank eine Studie, nach der | |
rund 56 Prozent aller Chinesen für das laufende Jahresquartal | |
gleichbleibende Häuserpreise erwarten, über 15 Prozent gehen sogar von | |
sinkenden Preisen aus. Was in anderen Ländern eine Randnotiz wäre, ist in | |
der Volksrepublik überaus bemerkenswert. Denn jahrzehntelang war die | |
Bevölkerung von der Illusion geblendet, dass – komme, was wolle – die | |
Immobilien auf absehbare Zeit immer weiter an Wert gewinnen würden. | |
Neben einem Mangel an sicheren Anlagemöglichkeiten war dies auch der | |
Hauptgrund, warum die Chinesen trotz der bereits absurd teuren Marktpreise | |
ihr Erspartes weiterhin in den Immobiliensektor investierten, der laut | |
Schätzungen bereits 29 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts ausmacht. | |
Rund drei Viertel des Wohlstands aus Privathaushalten ist in Immobilien | |
geparkt. | |
„Ich bin noch nicht bereit, den Immobiliensektor für 2022 abzuschreiben, | |
weil ich erwarte, dass Peking und die lokalen Regierungen alles tun werden, | |
um ihn zu stabilisieren“, kommentiert Michael Pettis, Ökonom an der | |
Peking-Universität, auf Twitter: „,Aber es ist ziemlich klar, dass 2021 das | |
Vertrauen in ständig steigende Immobilienpreise gebrochen hat.“ | |
Auszuschließen ist jedoch nicht, dass Evergrande doch wieder auf die Beine | |
kommen könnte. Denn im Oktober war der Handel mit den Wertpapieren des | |
größten chinesischen Baukonzerns wegen nicht bedienter Anleihezinsen schon | |
einmal unterbrochen, und es ging doch weiter. Aber mittelfristig deutet | |
alles darauf hin, dass die Tragödie rund um den am höchsten verschuldeten | |
Immobilienentwickler der Welt kein schönes Ende nimmt. | |
3 Jan 2022 | |
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[1] /Immobilienkrise-in-China/!5804652 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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