# taz.de -- Chinas Millionenstadt Xian im Lockdown: Wenn kein Essen mehr zu kau… | |
> Die Bewohner der Stadt Xi’an hängen wegen der strikten Ausgangssperre | |
> komplett von staatlichen Essenslieferungen ab. Die kommen aber nicht | |
> überall an. | |
Bild: Freiwillige versorgen Menschen in Xian mit Lebensmitteln | |
PEKING taz | Das polarisierendste Video, das sich Chinas Internetnutzer | |
derzeit in den sozialen Medien zuschicken, steht sinnbildlich für die | |
Schattenseiten der rigiden Lockdown-Maßnahmen: Man sieht darin einen Mann | |
vorm Eingangstor seiner Wohnanlage stehen, in der rechten Hand hält er eine | |
Plastiktüte mit Dampfbrötchen. | |
Mehrere Aufpasser stellen den mutmaßlichen Regelbrecher, den der Hunger | |
trotz Ausgangssperre zum Essenkaufen auf die Straße getrieben hat, zur | |
Rede. Sie bedrängen und schubsen ihn – bis schlussendlich die kostbaren | |
Nahrungsmittel auf den dreckigen Asphalt fallen. | |
China startet ins neue Jahr mit dem landesweit größten | |
Covid-Infektionsstrang seit Eindämmung der ersten Welle im Frühjahr 2020. | |
Rund 1.600 Infektionen wurden in den letzten Wochen in der | |
Provinzhauptstadt Xi’an registriert. | |
Die Behörden reagierten mit dem [1][härtesten Lockdown seit Wuhan]: Konnten | |
Xi’ans 13 Millionen Bewohner zuvor wenigstens alle paar Tage noch zum | |
Lebensmitteleinkauf ihre Häuser verlassen, dürfen sie nun noch für die | |
verpflichtenden Covid-Tests hinaus. Zugleich sind sie vollständig von | |
staatlich organisierten Versorgungslieferungen abhängig. | |
## Rosiges Bild von sich aufopfernden Nachbarschaftskomitees | |
Um zu beurteilen, wie gut dies funktioniert, ist ein Blick hinter die | |
Kulissen unerlässlich: Denn die Staatsmedien zeichnen ein weitgehend | |
rosiges Bild von sich aufopfernden Nachbarschaftskomitees und dankbaren | |
Bewohnern. Wer jedoch tatsächlich mit den Menschen vor Ort spricht, erhält | |
ein vielschichtigeres Bild. | |
„Seit über einer Woche dürfen wir unsere Wohnanlage nicht mehr verlassen, | |
doch die Bezirksregierung organisiert bislang weder Fleisch, Milch oder | |
sonstiges Essen“, sagt eine Chinesin aus dem Südteil der Stadt, dem | |
Epizentrum des Corona-Ausbruchs. | |
Derzeit würde man sich innerhalb der Nachbarschaft gegenseitig aushelfen. | |
Prekär sei die Lage jedoch für diejenigen Mieter, die keine Kühlschränke | |
zur Essenslagerung hätten. | |
Auf der Online-Plattform Weibo berichten Anwohner, wie sich die | |
Versorgungslage innerhalb weniger Tage verschlimmert habe. „Heute habe ich | |
anderthalb Stunden auf meine Lieferung gewartet: eine bloße Kartoffel und | |
zwei Stück Kohl“, schreibt einer. Der Nachbarschaftskiosk, wo man zuvor das | |
Nötigste bekommen hätte, musste nun auch schließen. | |
## Eine logistische Mammutaufgabe | |
Ein Ladenbesitzer antwortet in einer privaten Chatgruppe verzweifelten | |
Bewohnern, die bei ihm Bestellungen aufgeben wollen, dass er von der | |
Polizei gewarnt worden sei, sich nicht den Regeln zu widersetzen. | |
Natürlich sind dies nur Bruchstücke einer vielschichtigen Realität. Fakt | |
ist: Die Kollateralschäden des Lockdowns kommen in den Berichten der | |
Staatsmedien allenfalls am Rande vor. | |
Man kann sich nur ausmalen, wie es derzeit um Xi’ans Unterprivilegierte | |
steht: den Arbeitsmigranten, Tagelöhnern und Obdachlosen; aber auch | |
denjenigen, die von Medikamentenlieferungen abhängen oder die aufgrund | |
psychischer Erkrankungen nun keine professionelle Hilfe mehr in Anspruch | |
nehmen können. | |
Dabei ist ebenso richtig, dass eine über Nacht verhängte Hilfsversorgung | |
von Millionen Menschen eine logistische Mammutaufgabe ist, die wohl nur | |
wenige Staaten jenseits von China stemmen können. | |
Tatsächlich hat die rigide Null-Covid-Politik der Behörden trotz der | |
radikalen Opfer, die sie den einzelnen Individuen abverlangt, der | |
Gesamtbevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen hunderttausende Virustote | |
erspart: Laut offiziellen Zahlen sind bisher weniger als 6.000 Menschen in | |
China an Corona gestorben. | |
Zwar dürfte die Dunkelziffer aufgrund des Chaos zu Beginn der Pandemie in | |
Wuhan höher liegen, doch spätestens seit Sommer 2020 spielt die | |
[2][Corona-Infektionsgefahr im Alltag der Chinesen] keine Rolle mehr. | |
## Omikron-Fälle in China bisher nur bei Einreisenden | |
„Ich erwarte, dass die Situation in Xi’an noch vor Februar offiziell unter | |
Kontrolle gebracht werden kann“, kommentiert Yanzhong Huang, | |
Gesundheitsexperte und Professor an der Seton-Hall-Universität in New | |
Jersey. Die eigentliche Sorge sei eine andere: die scheinbar mildere, aber | |
zugleich weitaus infektiösere Omikron-Variante. Denn gegen diese bieten die | |
chinesischen Vakzine keinen ausreichenden Schutz. | |
Bislang jedoch wurden die einzigen Omikron-Fälle in China ausschließlich | |
bei Einreisenden festgestellt, die direkt nach ihrer Ankunft in | |
Quarantänezentren isoliert wurden. Doch dürfte es nur eine Frage der Zeit | |
sein, bis in China der nächste Lockdown kommt. | |
2 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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