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# taz.de -- Covid-Impfung vs. Infektion: So gefährlich wie ein kleines Steak
> Eine natürliche Infektion soll mehr bringen als eine Impfung? Nein, das
> tut sie nicht. Auch Corona bildet da keine Ausnahme.
Bild: Gegen die Masern ist eine Impfpflicht schon Gesetz: Mädchen bei der frei…
Eigentlich sollte man die seriösen Corona-Expert:innen in Deutschland
vor allem für ihre Fachkenntnis bewundern, und dafür, dass sie seit mehr
als zwei Jahren ohne Unterlass die Pandemie erklären. Manche dieser
Fachleute versuchen sogar das Unmögliche: Skeptiker:innen und
Verschwörer:innen von Fakten zu überzeugen – und das auch noch auf
Twitter.
In letzter Zeit ging es dabei um natürliche Infektionen, um Omikron und
wieder um Impfungen. [1][Sogar ein Steak kam dabei vor]. Im Mittelpunkt
stand aber wieder einmal die Behauptung, eine durchgemachte Erkrankung sei
irgendwie besser als der Piks in den Arm.
Das Märchen vom Immunitätstraining durch natürliche Infektionen ist kein
neues, in Deutschland wird es vor allem im Zusammenhang mit den sogenannten
Kinderkrankheiten, also Masern und Co, erzählt. Die Idee, man müsse
Infektionen durchmachen, um sich auf natürliche Weise abzuhärten, zeugt
allerdings von einem recht geringen Verständnis für die enormen Risiken,
die eine vermeintliche Natürlichkeit für die Gesundheit birgt. Insbesondere
für die von Kindern.
Das Masernvirus etwa gehört zu den ansteckendsten Erregern, die überhaupt
existieren – und wenn es zuschlägt, ist es gefährlich. Die Erkrankung kann
in jedem Alter schwer verlaufen, in Entzündungen der Lunge und des Gehirns
münden, bleibende Schäden hinterlassen oder töten. Noch in den Achtzigern
starben weltweit jährlich 2,6 Millionen Menschen an den Masern, in der
großen Mehrheit waren die Opfer kleine Kinder. Nach massiven Impfkampagnen
lag diese Zahl 2018 bei 115.000 Toten durch die Masern.
## Risiko rasch reduziert
Das zugehörige Vakzin, das in Deutschland seit mehr als 20 Jahren in einer
Kombination mit Impfstoffen gegen Mumps und Röteln verabreicht wird,
schützt zu mehr als 99 Prozent vor Ansteckungen und Erkrankungen. Die
Übertragung des Masernvirus wird vollständig unterbunden. Dadurch wird die
natürliche und ganz erhebliche Krankheitslast unter Kindern komplett
eliminiert. Das Risiko einer Gehirnentzündung, die zu schweren
Behinderungen und sogar zum Tod führen kann, sinkt von eins zu tausend auf
eins zu einer Million.
Obwohl die Impfempfehlungen angesichts des hohen Risikos durch die Masern
sehr klar sind – alle Zweijährigen sollten zweifach und damit vollständig
geimpft sein –, gab und gibt es in einigen Teilen Deutschlands Eltern, die
ihre Kinder bis zur Einschulung ungeimpft lassen. In Garmisch-Partenkirchen
war ein Viertel der Sechsjährigen 2018 gar nicht oder unvollständig
immunisiert.
Und das, obwohl der Ausbruch der Masern in Berlin 2014/15 gezeigt haben
sollte, welchem Risiko ungeimpfte Kinder noch heute ausgesetzt sind, nicht
zuletzt durch ungeimpfte Erwachsene. Mehr als 1.300 Menschen infizierten
sich, in der Charité wurden nachfolgend zwölf Kinder und Jugendliche mit
schweren Komplikationen behandelt, teils über Wochen hinweg. Ein Kind
starb.
All das hätte vermieden werden können. Ende 2020 wurde daher bundesweit
eine Impfpflicht für Kinder und Betreuende in Kitas und Schulen
beschlossen. Umgesetzt ist sie jedoch bis heute nicht – wegen Corona.
## Corona, ein komplizierterer Fall
Während die Statistik für die Masern ein ziemlich unmissverständliches Bild
zeichnet, sind die Dinge für Sars-CoV-2 durchaus komplizierter. Die
Impfstoffe sind gut geprüft, extrem sicher, aber sie sind neu. Sie schützen
zwar gut vor schwerer Erkrankung, aber nicht vollständig vor Infektionen.
Gerade der Schutz vor Ansteckung lässt nach einiger Zeit nach.
Und es gibt mit einer gewissen Regelmäßigkeit neue Varianten des Virus mit
neuen Eigenschaften, die den Schutz vor Infektionen immer weiter
untergraben, zugleich aber auch das Risikoprofil für Einzelne verändern
können. Und wenn es Menschen gibt, denen die klare Erkenntnislage zu den
Masern schon nicht einleuchtet: Warum sollte es beim viel komplexeren
Sars-CoV-2 anders sein?
Der Vergleich zwischen Infektion und Impfung ist dabei noch einfach.
Erstens ist das Risiko einer Infektion im Augenblick überhaupt sehr hoch.
Zweitens birgt eine Corona-Infektion das Risiko, schwer zu erkranken und
sogar zu sterben. Das gilt insbesondere für ältere Erwachsene und
Senior:innen. Eine zweifache Impfung senkt sowohl das Risiko einer
Ansteckung als auch einer Erkrankung, eine Auffrischung kann den
nachlassenden Schutz vor Infektionen stark erhöhen. So weit, so klar.
Dass sich diese Klarheit rasch trüben lässt, hat bereits die Verwirrung um
die Hospitalisierungsstatistiken gezeigt. Weil Geimpfte nicht komplett vor
einer Ansteckung gefeit sind und auch der Schutz vor schwerer Erkrankung
nicht absolut ist, gibt es in den Krankenhäusern auch Geimpfte mit Corona.
Anteilig an der Gesamtzahl sind sie viel weniger als die Ungeimpften, aber
da in Deutschland inzwischen sehr viel mehr Menschen geimpft statt
ungeimpft sind, sieht es auf den Covidstationen zum Teil so aus, als
schützten die Impfungen gar nicht. Eben weil da so viele Geimpfte liegen.
## Verzerrter Blick
Wie verzerrt dieser Blick ist, ist leicht zu erkennen, wenn man die
Hospitalisierungsraten auf jeweils gleiche Zahlen von Geimpften und
Ungeimpften hochrechnet, zum Beispiel auf je 100.000. Dann spätestens
sollte auch für Corona klar sein, warum eine natürliche Infektion niemals
„besser“ sein kann im Schutz als die Impfung: Ungeimpfte haben ein mehr als
20-fach höheres Risiko, mit Covid im Krankenhaus zu landen. Der Unterschied
zu Geboosterten ist noch größer, was im Umkehrschluss zeigt: Wer sich
doppelt impfen und boostern lässt, trägt das geringste Risiko.
Diesen Zusammenhang nachzuvollziehen ist dabei noch einfach. Schwieriger
wird es mit der Frage, wie die Impfstoffe und insbesondere die
Boosterimpfungen, die ja sämtlich gegen die in Wuhan entdeckte
Ursprungsvariante des Coronavirus entwickelt wurden, denn [2][noch vor
Omikron schützen] sollen. Die jüngste Mutante des Erregers ist immerhin so
heftig verändert, dass sie den Schutz vor dem Original selbst nach
zweifacher Immunisierung recht leichtfüßig unterwandert. Wie soll eine
dritte Impfung mit denselben Vakzinen das ändern?
Was für Expert:innen völlig klar ist, verlangt anderen möglicherweise
etwas mehr ab, als ein paar Fachbegriffe zu googeln. Das Immunsystem des
Menschen ist komplex und optimierungswütig. Der einmalige Kontakt mit einem
Krankheitserreger oder Impfstoff reicht nur selten aus, um die Abwehr so
perfekt zu programmieren, dass der betreffende Erreger anschließend keine
Chance mehr hat. Es bedarf in vielen Fällen einer Reifung der Immunantwort
durch mehrfachen Kontakt mit den Merkmalen eines Virus, um die richtigen
Teile der Abwehr anzuregen und sie auch dauerhaft ins Spiel zu bringen.
Dazu gehört, aus einem bereits vorhandenen Repertoire verschiedenster
Antikörper nicht nur die passenden zu mobilisieren, sondern diese passenden
Abwehrmoleküle weiter zu optimieren, um noch besser passende zu finden.
Welche das sind, merkt sich der Körper, indem er die Information in
langlebigen Gedächtniszellen speichert.
## Mindestens drei Impfungen nötig
Im Fall von Corona sind dafür offenbar drei Durchläufe erforderlich,
unabhängig davon, ob der erste Kontakt durch eine riskante Infektion oder
sichere Impfung zustande kommt. Vielleicht werden noch weitere Booster
nötig – und regelmäßige Auffrischungen mit Impfstoffen, die an die jeweils
vorherrschenden Varianten angepasst sind.
Dass die auf das Ursprungsvirus abgestimmten Impfstoffe dennoch vor Omikron
schützen, liegt allerdings auch am Virus selbst. Trotz der vielen
Veränderungen in der neuen Variante gibt es noch genug Anteile des
Erregers, die mit der zuerst in Wuhan entdeckten Virusvariante
übereinstimmen.
Das Vakzin vermittelt also einen gewissen Schutz, der über den Booster
durch eine weitere Reifung der Immunantwort stark erhöht werden kann. Stark
genug, um Übertragungen wieder weitgehend zu verhindern. Das hat ein
Preprint von Forscher:innen der Universität Köln, der Charité in Berlin
und des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin in Hamburg eben erst
klar belegt.
Mit Steaks hat das nun alles wenig zu tun. Aber unterm Strich ist doch
ziemlich klar, dass die natürliche Infektion das eigentliche Risiko
darstellt. Gesenkt werden kann es durch Impfungen. Im Fall von Corona
sollten es mindestens drei sein.
8 Jan 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/c_drosten/status/1476192189793411076
[2] /Omikron-Variante-verlaeuft-milder/!5826343
## AUTOREN
Kathrin Zinkant
## TAGS
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