| # taz.de -- Wahlen in Ecuador: Mit „Sí“ für das Ende stimmen | |
| > Im Yasuní-Nationalpark in Ecuador wird seit Jahren Erdöl gefördert. | |
| > Indigene Gemeinden kämpfen gemeinsam mit Umweltorganisationen gegen die | |
| > Förderung. Jetzt gibt es Hoffnung. | |
| Bild: Unser Autor fährt mit dem Boot von der Kleinstadt Tiputini in die Gemein… | |
| Tiputini/Llanchama taz | Tiputini heißt die vorletzte Haltestation vor der | |
| Grenze nach Peru. Ein Anleger, die weiterführende Schule, die Kirche mit | |
| dem Marktplatz davor und ein paar Dutzend Häuser – mehr hat die | |
| ecuadorianische Kleinstadt im Nordosten des Landes nicht zu bieten. | |
| Regelmäßig steuert Fernando Avilés sie an, um Kakaobohnen, Maniok und etwas | |
| Gemüse für seine Gemeinde zu verkaufen. „Die Preise sind lausig, aber wir | |
| leben davon und von etwas Tourismus“, sagt der 31-jährige, drahtige Mann, | |
| zuckt mit den Schultern und führt mich zum Anleger der kleinen Privatboote. | |
| Dort wartet seine Frau Gloria mit den drei Kindern, wenig später tuckern | |
| wir in seinem Boot über den breiten Strom, der ein paar hundert Kilometer | |
| weiter abwärts in den Amazonas fließt. | |
| Der Río Napo ist die Hauptverkehrsader in Ecuadors Amazonasregion und an | |
| dieser Stelle, wo er auf den Río Tiputini trifft, besonders breit. | |
| Fernando lenkt das kleine Boot über den Fluss vorbei an Schleppern, auf | |
| denen orangefarbene Tanklaster von und zu einer Erdölanlage transportiert | |
| werden. „Das ist eine der Förderanlagen vom Bloque 43“, sagt Fernando. Er | |
| ist wie viele aus der Kichwa-Gemeinde Llanchama kein Freund der seit 2016 | |
| laufenden Erdölförderung im ITT-Ölfeld. Die Initialen stehen für Ishpingo, | |
| Tambococha und Tiputini, drei Ölquellen mitten im Yasuní-Nationalpark. | |
| In dem mit 10.000 Quadratkilometern größten Nationalparks Ecuadors, rund | |
| vierhundert Kilometer von der Hauptstadt Quito entfernt, hat die indigene | |
| Gemeinde Llanchama freie Nutzungsrechte. Das Gleiche gilt für eine gute | |
| Handvoll weiterer indigener Dörfer, das Biosphärenreservat wurde 1989 zum | |
| Schutzgebiet erklärt. Doch in Ecuador gilt auch, dass der Staat die | |
| Verfügungsgewalt über alle Rohstoffe unter der Erde innehat und diese auch | |
| in einem der artenreichsten Schutzgebiete der Welt durchsetzt. | |
| Dagegen protestieren Umweltorganisationen und indigene Gemeinden wie | |
| Llanchama. Am 20. August findet parallel zu den Parlaments- und | |
| Präsidentschaftswahlen ein Referendum statt, in dem die 13,5 Millionen | |
| wahlberechtigen Ecuadorianer:innen entscheiden, ob die Förderung im | |
| Bloque 43 rückgängig gemacht werden muss oder nicht. | |
| Der Kontrollposten Tiputini der Parkwächter des Yasuní-Nationalparks taucht | |
| auf, den Fernando in aller Regel mit einem Winken passiert. Heute ist | |
| alles anders: Es gibt eine Ausweiskontrolle und strenge Blicke, bevor ein | |
| Parkwächter mit einem herrischen Winken den Weg flussaufwärts freigibt. | |
| Der Fluss ist etwa 15 Meter breit, von dichtem Regenwald eingefasst. Nach | |
| weiteren zehn Minuten Fahrt erklärt Fernando: „Hier beginnt unser Gebiet“ | |
| und deutet auf einen Urwaldriesen mit ausladender Krone, der die Bäume um | |
| sich herum überragt. | |
| Ein paar Affen lassen sich blicken, leise blubbert der Motor. An den Ufern | |
| stehen einzelne Häuser im Regenwald, neben denen kleine Felder mit Bananen, | |
| Maniok und Kakaobäumen zu sehen sind. Eine halbe Stunde später taucht der | |
| Steg der Gemeinde Llanchama auf. Abram, einer der beiden Söhne, klettert | |
| zum Bug, um dem am Ufer wartenden Holmer Machoa ein Seil zuzuwerfen. | |
| Der 34-jährige Machoa koordiniert das kleine kommunale Tourismusprojekt und | |
| engagiert sich für den Erhalt des Yasuní-Nationalparks. Herzlich begrüßt er | |
| den Besucher und weist den Weg in das kleine Dorf. Vorbei geht es am | |
| Fußballplatz der Gemeinde, hinter dem die Schule mit der kleinen Sporthalle | |
| steht, am oberen und unteren Ende sind die ersten beiden Wohnhäuser zu | |
| sehen: Holz, Palmwedel, geflochtene Pflanzenfasern sind die wichtigsten | |
| Baustoffe. | |
| An einer Maniok-Anpflanzung geht es einen matschigen Pfad entlang, bis wir | |
| vor einem Haus mit großer, überdachter Terrasse stehen. Da wohnt Holmer | |
| Machoa mit Frau und drei Töchtern. Ein Plakat mit Zahlen in Kichwa, | |
| Spanisch und Englisch hängt an einer Wand, daneben Plakate mit Buchstaben, | |
| Silben. Unter einem Regal mit rund zwei Dutzend Büchern sind die Schuhe der | |
| Familie aufgereiht. Auf einem Tisch steht eine Karaffe mit Papaya-Saft. | |
| ## Bei ihnen lassen sich die Öl-Firmen nicht mehr blicken | |
| Machoa macht eine einladende Geste, setzt sich an den Tisch und schenkt | |
| Saft ein. „Von meiner Frau Úrsula vorhin geerntet. Wir versorgen uns zu 99 | |
| Prozent selbst und das soll auch so bleiben“, sagt der Mann mit dem offenen | |
| Blick und dem dünnen Schnurrbart. Er ist Guide, empfängt Besucher, | |
| Tourist:innen, Journalist:innen, Aktivist:innen, die für | |
| Umweltorganisationen wie Acción Ecológica oder den YASunidos arbeiten, und | |
| zeigt ihnen sein Dorf. Llanchama bestehe aus 45 Familien mit 166 Menschen, | |
| sagt Machoa, alle Kichwa, und sie engagierten sich für den Erhalt des | |
| Yasuní und gegen die Förderung von Erdöl in der Region. | |
| Seit 2011 ist das so. Damals drang das brasilianische Erdölunternehmen | |
| Petrobras unangemeldet in das Gebiet der Gemeinde ein, um mit seismischen | |
| Tests nach Erdölvorkommen zu suchen. Illegal, denn laut der progressiven | |
| ecuadorianischen Verfassung haben indigene Gemeinden nicht nur das Recht, | |
| vorab über Förder- und Infrastrukturprojekte informiert zu werden, sondern | |
| müssen auch einwilligen. Das ist nicht passiert. | |
| Das Dorf protestierte und bat die Umweltorganisation Acción Ecológica um | |
| Hilfe. Die haben 2011 für Anwälte gesorgt, die sowohl bei den nationalen | |
| Gerichten als auch bei der Interamerikanischen Kommission für | |
| Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) eine Anzeige | |
| einreichten. Das zeigte Wirkung, die Ölunternehmen ließen sich fortan nicht | |
| mehr in der Nähe des Dorfes blicken. Doch Aktivisten wie Holmer Machoa | |
| wurden über zwei Jahre von den Arbeitern der Gesellschaft und der | |
| ecuadorianischen Petroamazonas verfolgt und observiert. | |
| „Das ist die andere Seite der Medaille der Erdölförderung.Wer Widerstand | |
| leistet, wird ausspioniert, bedroht oder auch bestochen“, sagt Machoa mit | |
| leiser Stimme. Er hat sich nicht einschüchtern lassen und arbeitet | |
| weiterhin mit Acción Ecológica, Ecuadors international wohl bekanntester | |
| Nichtregierungsorganisation, zusammen. Deren Bekanntheit hat ihren Grund, | |
| denn gegen die 1986 gegründete und in Quito ansässige Organisation ging die | |
| Regierung von Präsident Rafael Correa (2007–2017) mehrfach rigide vor. Die | |
| Justiz wurde in Bewegung gesetzt, 2009 drohte ein Verbot, das nur dank | |
| internationaler Unterstützung und kompetenter Anwälte abgewendet wurde. | |
| Autoritär ging die Regierung Correa auch mehrfach gegen die Proteste | |
| indigener Gemeinden vor. So wurden Holmer Machoa und mehrere weitere | |
| Aktivist:innen aus Llanchama mit Gefängnisstrafen bedroht, wenn sie | |
| ihren Widerstand gegen die Erdölunternehmen nicht aufgeben würden. Alles | |
| andere als legal, aber Realität, denn die Regierung von Rafael Correa | |
| profitierte damals von hohen Ölpreisen und setzte auf die Ausbeutung der | |
| natürlichen Ressourcen. Da war dem Präsidenten der Widerstand indigener | |
| Gemeinden im Weg. | |
| „Damals ging ein Riss durch die Gemeinde“, erinnert sich Holmer, „92 von | |
| uns waren gegen die Förderung, einige unentschieden und mehrere dafür.“ | |
| Seine Haltung war und ist klar. Er hat als 12-Jähriger 1997 mitbekommen, | |
| wie die französische Erdölexplorationsfirma CGG eine Gemeinde mit | |
| Versprechungen manipulierte. „Arbeitsplätze im Erdölsektor, eine neue | |
| Schule oder der Stromanschluss – das sind die typischen Zusagen von | |
| Erdölunternehmen in der Region“, sagt er. „Wenig später war der Lebensraum | |
| der Menschen dort kontaminiert.“ | |
| Das Risiko der Kontaminierung will die Llanchama-Gemeinde nicht eingehen, | |
| aber es schwebt über der ganzen Region, denn Rohrbrüche sind alles andere | |
| als selten, so der Sprecher des Umweltkollektivs YASunidos, Pedro Bermeo. | |
| ## Es hätte längst ein Referendum geben müssen | |
| 23 Unfälle mit Kontaminierungen habe es allein zwischen 2015, kurz vor der | |
| Aufnahme der Förderung im Bloque 43 des anfangs erwähnten ITT-Ölfelds, und | |
| 2022 gegeben. Das belegen Dokumente, die die YASunidos-Aktivist:innen nach | |
| langen Recherchen von Umweltministerium und Petroecuador ausgehändigt | |
| bekommen haben. | |
| „Saubere Erdölförderung ist eine Illusion“, bekräftigt Bermero, der | |
| mehrfach die Menschen in Llanchama besucht hat und im engen Austausch mit | |
| Holmer Machoa steht. „Erst vor ein paar Wochen war er mit zwei, drei | |
| Journalist:innen hier, die von der Parkwache abgewiesen wurden“, | |
| erinnert sich Machoa. Illegal, denn die Menschen der Gemeinde Llanchama | |
| lebten hier schon, bevor der Yasuní-Nationalpark 1979 entstand, haben aber | |
| immer noch keinen Landtitel. Auf 26.700 Hektar Fläche erheben sie Anspruch | |
| – ihr überlieferter Lebensraum. Die rechtlichen Schritte zur offiziellen | |
| Übertragung laufen – nur seien die bürokratischen Hürden immens, sagt | |
| Holmer Machoa. | |
| Dann schaut er auf die Uhr, nickt seiner Frau Úrsula Pizango Yumbo zu, die | |
| wenig später beginnt zu kochen. Ihr Mann wird in den frühen Morgenstunden | |
| mit seiner Tochter Sacha nach Cuenca, ganz im Süden Ecuadors, reisen, um an | |
| einer Informationsveranstaltung zum Yasuní-Referendum teilzunehmen. Das | |
| Referendum, das am 20. August parallel zu den Wahlen stattfindet (mehr dazu | |
| im zweiten Text auf diesen Seiten), ist ein Hoffnungsschimmer für die | |
| Kichwa-Gemeinde. Denn es könnte die Ölförderung, die sieben Jahre ohne | |
| rechtliche Grundlage lief, im Bloque 43 beenden. | |
| De facto hätte bereits 2013 ein landesweites Referendum stattfinden müssen | |
| über die Frage, ob das Erdöl gefördert oder für immer im Boden bleiben | |
| soll. Dafür hatten die YASunidos, unterstützt von der Acción Ecológica und | |
| vielen Freiwilligen, landesweit 757.000 Unterschriften gesammelt. Doch rund | |
| 400.000 der Unterschriften wurden vom Nationalen Wahlrat auf politischen | |
| Druck hin annulliert. Zehn Jahre dauerte der Rechtsstreit, den schließlich | |
| das Verfassungsgericht am 9. Mai dieses Jahres entschied und das Referendum | |
| auf den Weg brachte. Ein Erfolg der Umweltbewegung, der Anwälte und auch | |
| der Gemeinden im Yasuní-Nationalpark. | |
| Mit den ersten Sonnenstrahlen steht Fernando Avilés am nächsten Morgen mit | |
| einem Becher Guayusa-Tee auf der Matte. Dann deutet er auf die Uhr und | |
| schiebt mit einem Grinsen ein „Du hast Termine“ hinterher. Eine halbe | |
| Stunde später geht es zu Doña Brigida Córdova, sie zeigt ihren Garten mit | |
| Chilis, Gurken, Limonen und Obstbäumen. Sie gehört zu denjenigen im Dorf, | |
| die lange auf Hilfe durch die Erdölunternehmen gehofft haben. „Doch hier | |
| ist kaum etwas angekommen“, ärgert sich Córdova und schüttelt den Kopf. Sie | |
| sagt: „In der ganzen Region gibt es kein richtiges Krankenhaus, zur | |
| weiterführenden Schule müssen die Kinder nach Tiputini, und für jede | |
| Gallone Benzin zahlen wir statt 2,50 US-Dollar zwischen 4 und 7 US-Dollar – | |
| obwohl es hier am Bloque 43 gefördert wird.“ Ihr Mann Heriberto Machoa | |
| nickt. „Der Reichtum fließt ab, die Armut bleibt, und das ist ein weiterer | |
| Grund, weshalb wir mit Sí stimmen – für das Ende der Förderung“, knurrt … | |
| Viele im Dorf sagen Ähnliches. Auch die 38-jährige Bäuerin Alexandra | |
| Avilés, die rund 700 Kakaobäume im Schatten des Regenwaldes gepflanzt hat | |
| und einen kleinen Nachbarschaftsladen unterhält. „Kakao ist eine Option, um | |
| hier zumindest etwas Geld zu verdienen. Doch Beratung, Kredite für den | |
| Start sind kaum zu bekommen“, kritisiert sie die Regierung, die seit 50 | |
| Jahren Erdöl in der Amazonasregion fördert, aber die daraus gewonnenen | |
| Milliarden nicht in die Entwicklung investiert. Die drei Amazonasprovinzen | |
| Ecuadors sind laut offiziellen Statistiken die ärmsten des Landes – typisch | |
| für viele Erdölförder- und Bergbauregionen in Lateinamerika. | |
| Heute ist Alexandra Avilés mit Úrsula Pizango unterwegs, der Frau von | |
| Holmer Machao. Sie ernten Kakaoschoten und ziehen später Maniokknollen aus | |
| der Erde. „Daraus setzen wir Chicha an“, erklärt Avilés. „Wir haben von | |
| Reis über Papaya bis zu Kochbananen vieles angepflanzt und bedienen uns | |
| ansonsten im Regenwald oder im Fluss.“ | |
| ## Früher fingen sie die Fische mit Macheten | |
| Dabei gibt es allerdings klare Regeln zum Schutz der Fische und die kleben | |
| in Form eines Plakats am Haus von Andrés Machoa, dem 62-jährigen Vater von | |
| Holmer, der am unteren Ende des Dorfes lebt und der Letzte ist, bis zu dem | |
| die Strom- und die Wasserleitung reicht. „Vom Fischreichtum, von dem wir | |
| früher profitierten, ist wenig geblieben“, klagt der Mann. | |
| Als Erster aus dem Dorf hat er angefangen, nebenbei als Guide zu arbeiten. | |
| Er gehört zu den 20 Aktivisten, die sich in der Tourismusgruppe des Dorfes | |
| zusammengeschlossen haben. Führungen durch den Regenwald rund um das Dorf, | |
| kleine Vorträge über traditionelle Medizin sind seine Spezialitäten, und er | |
| gehört auch zu denen, die nicht mehr Anbaufläche nutzen als nötig. „Mehr | |
| als 30 Hektar sind es nicht, die wir vom Dorf bebauen“, meint Andrés | |
| Machoa, der beim Gehen ein Bein etwas nachzieht. Er erinnert sich noch | |
| daran, wie sie früher mit der Macheten fischen konnten. „So dicht waren die | |
| Fischschwärme.“ Das ist vorbei. | |
| Dafür macht er die Petroleras, die Ölgesellschaften, verantwortlich mit | |
| ihren Generatoren, den Scheinwerfern und den Lecks in den Pipelines, die | |
| auch dem Río Tiputini zugesetzt haben. Das belegen auch Studien aus dem | |
| Umweltministerium und von Acción Ecológica. Das könne sich mit dem | |
| Referendum ändern, hofft er. „Wir wollen, dass die Bohrlöcher versiegelt | |
| werden und dass wir den Yasuní-Nationalpark nachhaltig nutzen – aber zu | |
| unseren Gunsten“, sagt der Vater dreier Kinder. Er weiß auch, wie. „Hier | |
| gibt es viele Pflanzen, die heilende Wirkung haben. Da könnte die | |
| Pharmaindustrie einiges lernen, aber nicht zum Nulltarif“, sagt er und | |
| zeigt damit Perspektiven neben dem Tourismus und der nachhaltigen | |
| Landwirtschaft auf. Die gelte es zukünftig zu entwickeln – mit direkter | |
| Partizipation von Dörfern wie Llanchama. | |
| 18 Aug 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Knut Henkel | |
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