# taz.de -- Wahl und Referenden in Ecuador: Vielleicht ein Weckruf | |
> Ecuador versinkt in Korruption und Kriminalität. Die | |
> Präsidentschaftswahlen und zwei Referenden könnten aber zu einem | |
> Wendepunkt werden. | |
Bild: Wahlkampf mit Schutzweste: Präsidentschaftkandidat Yaku Pérez am 17. Au… | |
Das Wort vom „gescheiterten Staat“ hat derzeit in Ecuador Hochkonjunktur. | |
Präsidentschaftskandidat Yaku Pérez, der zu einer Allianz der | |
Wahlkandidat:innen gegen organisierte Kriminalität und Korruption im | |
Andenken an den von Killern quasi exekutierten Fernando Villavicencio | |
aufrief, nahm es genauso in den Mund wie die ehemalige | |
Parlamentspräsidentin Gabriela Rivadeneira. | |
Binnen sieben Jahren ist das [1][ehemals sichere Ecuador in eine Krise | |
geglitten], für die oberflächlich betrachtet zwei Regierungen | |
verantwortlich sind: die von Lenín Moreno (2017–2021) und die noch | |
amtierende von Guillermo Lasso (2021–2023). Sie haben eine konservative | |
Wende vollzogen, die zutiefst neoliberale Leitlinie von „der Markt werde es | |
schon richten“ etabliert. | |
Dabei schaute den beiden Präsidenten – gegen die wegen Korruption ermittelt | |
wird – der Internationale Währungsfonds (IWF) über die Schulter. Die | |
Regierung Moreno ermunterte die in Washington ansässige Finanzinstitution | |
noch zum Spardiktat, beim ehemaligen Banker Guillermo Lasso musste sie das | |
schon gar nicht mehr tun. Konkrete Folge ist, dass die sozialen | |
Institutionen des Landes quasi geschliffen wurden. | |
Die soziale Infrastruktur des Landes ist binnen sieben Jahren ausradiert | |
worden und das trägt dazu bei, dass eine perspektivlose von Narconovelas | |
wie „Narcos“ oder „Breaking Bad“ geprägte Jugend sich den Drogenkartel… | |
zuwendet, die das vermeintlich leichtere Leben bieten. Je nach Quelle | |
treiben mittlerweile zwischen neu und fünfundzwanzig Drogenkartelle vor | |
allem an der Pazifikküste ihr Unwesen. | |
## Neoliberale Politik öffnete Kartellen Tür und Tor | |
Guayaquil, Ecuadors ökonomische Drehscheibe, zählt zu den 25 gefährlichsten | |
Städten der Welt. Express-Entführungen und Auftragsmorde gehören nicht nur | |
dort, sondern auch im weiter nördlich gelegenen Esmeraldas zum traurigen | |
Alltag. Verantwortlich dafür ist die Politik, die mit dem Rotstift das | |
Justizministerium und jenes zur Koordination der Sicherheitspolitik | |
einsparte, Justizaufgaben an die Polizei übertrug und das Personal in den | |
36 Haftanstalten des Landes auf die Hälfte der UN-Empfehlungen reduzierte. | |
All diese neoliberalen Sparmaßnahmen haben entscheidend dazu beigetragen, | |
dass in Ecuador ab 2018 den Kartellen Tür und Tor offen standen. Hinzu | |
kommt, dass die großen Banden „Los Choneros“ und „Los Lobos“ zahlreiche | |
Polizisten, Gefängniswärter und eben auch Politiker auf ihren Lohnlisten zu | |
stehen haben. | |
In Ecuador alles andere als eine Überraschung, [2][denn Korruption gehört | |
zum politischen Establishment], wie die langjährigen Recherchen | |
Villavicencios belegen: Der Mann, den das [3][siebenköpfige kolumbianische | |
Killerkommando] am 9. August de facto hinrichtete, hatte sich mit der | |
wirtschaftspolitischen Elite angelegt, war ihnen immer wieder mit auf | |
harten Fakten basierenden Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft auf die Füße | |
getreten. | |
Ein Mann, seine Partei und der Erdölsektor des Landes standen dabei im | |
Fokus der Recherchen von Villavicencio und seinem Freund Christian Zurita, | |
der für die Partei Construye anstelle seines ermordeten Freundes nun für | |
die Präsidentschaft kandidiert: Ex-Präsident Rafael Correa. | |
## Nase voll von den korrupten Eliten? | |
Einen Tag vor seinem Tod erstattete Villavicencio Anzeige gegen eine Riege | |
von Mitarbeitern Correas, die den Staat um rund 9 Milliarden US-Dollar | |
durch die Neuvergabe von Förderverträgen im Erdölsektor gebracht haben | |
sollen. Das ist alles andere als eine Ausnahme in Ecuador, sondern hat | |
System. | |
Das belegen zahlreiche Skandale genauso wie die bereits geltende | |
achtjährige Haftstrafe gegen Correa wegen Korruption. Doch das ist nur die | |
Spitze des Eisbergs. Fakt ist auch, dass die Elite keine Steuern zahlt, | |
während das Land in Armut, Perspektivlosigkeit und organisierter | |
Kriminalität zu versinken droht. Das belegt eine Cepal-Studie der | |
UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik, die angibt, | |
dass dem ecuadorianischen Staat 2021 rund 7 Milliarden US-Dollar flöten | |
gingen. | |
All das sind die Zutaten, durch die Ecuador in Rekordtempo vom | |
zweitsichersten Land Lateinamerikas zum unsichersten mutierte, so die | |
bereits erwähnte ehemalige Parlamentspräsidentin Gabriela Rivadeneira. | |
## Weckruf für all jene, die die Nase voll haben | |
Der [4][brutale Mord an Fernando Villavicencio], der zwar die Handschrift | |
der Kartelle trägt, an dem aber die wirtschaftspolitische Elite des Landes | |
ebenfalls Interesse hatte, könnte im besten Fall allerdings auch ein | |
Weckruf für all jene werden, die die Nase voll haben von „ihrer“ korrupten | |
Elite. | |
Ein Votum für einen [5][Kandidaten wie Christian Zurita], | |
Investigativ-Journalist mit Schwerpunkt Korruption, oder den indigenen | |
Juristen und Umweltaktivisten Yaku Pérez sind glaubwürdige Optionen. Doch | |
bei den Präsidentschaftswahlen, die nur eine:n Staatschef:in für den | |
Übergang wählen, also nur für die 18 Monate bis die Regierungsperiode des | |
diskreditieren Guillermo Lasso formal zu Ende geht, stehen auch zwei | |
Volksabstimmungen auf der Agenda. | |
In der einen entscheiden die 13,5 Millionen Wahlberechtigen darüber, ob im | |
Bloque 43 [6][im Yasuní-Nationalpark weiter Öl gefördert werden darf]. In | |
der anderen Volksabstimmung entscheiden die Bewohner des Großraums Quito | |
darüber, ob im Biosphärenreservat Chocó Andino Kupfer, Industriemetalle, | |
Gold und andere Metalle gefördert werden dürfen oder eben nicht. | |
Beide Referenden sind wegweisend für das zukünftige ökonomische Modell des | |
Landes: Eine doppelte Absage an das tradierte, auf Rohstoffförderung | |
ausgerichtete Wirtschaftsmodell des Landes hätte weitreichende Folgen. Die | |
Initiator:innen der Referenden, die Umweltaktivist:innen von | |
Acción Ecológica und YASunidos, werben dafür, dass zukünftig grundlegende | |
Politentscheidungen per Referendum basisdemokratisch getroffen werden | |
sollten. Die progressive Verfassung des Landes gibt das her. Nun | |
entscheiden die Wähler:innen: über die Zukunft eines Landes, dass im Chaos | |
zu versinken droht. | |
18 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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