# taz.de -- Festival Tanz im August: Der Tanz aller Tänze | |
> Schon im alten Rom habe man „The Romeo“ getanzt, sagt Trajal Harrell. Die | |
> Produktion des Choreographen war beim Festival Tanz im August zu sehen. | |
Bild: Auch für die irre vielen Kostüme ist Trajal Harrell verantwortlich | |
BERLIN taz | Eine bezeichnet sich als kaufsüchtig und als kleptomanisch. | |
Einer gibt zu, 65 Mal in Disneyland gewesen zu sein. Die Nächste erklärt | |
ihre Vorliebe für Kaffee, Champagner und Ferien – sie sei eben Französin, | |
„nobody’s perfect“ –, ein anderer seine für orale Sexpraktiken. | |
Bevor es losgeht mit „The Romeo“, einem Stück, das am Wochenende zweimal | |
[1][beim Festival Tanz im August] aufgeführt wurde, wird es persönlich. Die | |
Tänzer*innen stellen sich dem Publikum vor. Trajal Harrell, geboren 1973 | |
im US-amerikanischen Douglas, einer der aktuell interessantesten Tänzer und | |
Choreografen, hat sich das ausgedacht. | |
Seine Uraufführung hatte das Stück im Frühling am Schauspielhaus Zürich, wo | |
Harrell noch bis zum Ende der [2][Intendanz von Nicolas Stemann und | |
Benjamin von Blomberg] das Dance Ensemble leitet. Bei Tanz im August war | |
„The Romeo“ jetzt zum ersten Mal auch in Deutschland zu sehen. | |
Harrell machte vor ein paar Jahren mit einer Reihe von Choreografien von | |
sich reden, in denen er Postmodern Dance mit Voguing kombinierte, jenem an | |
Modeposen angelehntem Tanzstil der queeren New Yorker Ballroom-Community | |
der 1960er. Was er heute und auch in „The Romeo“ tut, hat damit zu tun, | |
aber weniger mit der sozialen und performativen Praxis des Voguings, mehr | |
mit dem, wo es herkommt, mit dem eleganten Schreiten auf Modenschauen und | |
deren historischen Vorformen, mit Laufstegbewegungen, die mal zart und | |
anmutig, mal expressiver, wilder sind. | |
Im Haus der Berliner Festspiele stolzieren die Tänzer*innen mit hohen | |
Hacken daher, als wären sie nicht barfuß, sondern hätten ebensolche an und | |
befänden sich tatsächlich auf einem der Catwalks der Welt. Und was die da | |
so vorführen! Kleidung, Mode, Tracht: Togen und Kimonos, Partytops und | |
Trenchcoats, Wallawalla-Kleider, Volants, jede Menge Volants und Rüschen, | |
knallbunt Bedrucktes, kunstvoll und ziemlich absurd Drapiertes, | |
folkloristisch wie formal Anmutendes, das aber nie ganz so daherkommt, wie | |
man es kennt. | |
Kleidung wird zum Alphabet | |
Harrell, der auch für die irre vielen Kostüme des Stücks verantwortlich | |
ist, demonstriert, was passiert, wenn man sich nicht an die Regeln hält. | |
Konventionen werden umgestülpt, Faltenröcke zu asymmetrischen Tops, | |
Kapuzenpullover halb übergezogen, halb irgendwie um den Rumpf gewickelt, | |
zwei Oberhemden zum weit schwingenden Minikleid geknüpft oder Anzüge am | |
Bügel vor den Körper gehängt. Auf Harrells Bühne wird Kleidung zu einem | |
Alphabet, das immer wieder anders zusammengesetzt werden kann und auch | |
soll. | |
Wie das auch auf die Elemente eines Tanzes zutrifft, ganz konkret jenes | |
Tanzes, von dem Harrell behauptet, dass es ihn schon seit Jahrtausenden, | |
mindestens seit dem alten Rom gäbe und der wie das Stück „The Romeo“ hie�… | |
Um diesen Tanz aller Tänze und nicht etwa um Shakespeares tragischen | |
Liebenden geht es nämlich, so kann man es nachlesen in den FAQ, die vor der | |
Aufführung ausgeteilt wurden. | |
Jener „The Romeo“ speist sich sodann unter anderem aus Modern Dance, | |
Ballett, aber auch Reigentänzen und Waving, viel Waving. Wellenartig winden | |
die Tänzer*innen immer wieder Arme und Körper durch die Luft. Dann | |
wieder erinnern theatralische, exaltierte Bewegungen an japanisches Butoh, | |
scheint überakzentuierte Gestik und Mimik aus einem Stummfilm entlehnt. | |
Den ganz großen Bogen spannt Harrell damit, um das Leben an sich geht es, | |
die kleinen und großen Gefühle. Um Trauer auch. In einer Szene treten die | |
Tänzer*innen nach und nach hervor und werden von anderen sich um sie | |
herum Bewegenden aus ihrer bunten Oberbekleidung geschält, bis sie ganz in | |
Schwarz dastehen. Später tragen sie die Lebensdaten von bereits oder | |
irgendwann, in 100 Jahren Verstorbenen vor. Vergangenheit, Gegenwart und | |
Zukunft, es ist alles eins bei „The Romeo“, der Tanz ist das verbindende | |
Element. | |
17 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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