Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas: Afrikas unterschätzter Riese
> Die Ecowas erntet viel Kritik. Seit sie Nigers Putschisten droht, findet
> sie weltweit Gehör. Wofür steht die Westafrikanische
> Wirtschaftsgemeinschaft?
Bild: Aktivisten der zivilgesellschaftlichen Nigrischen Bewegung für Demokrati…
Cotonou taz | Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, (Ecowas, im
Französischen Cedeao) will Ernst machen. Am Sonntagabend sollte ihr
Ultimatum an Nigers Junta unter General Abdourahmane Tchiani ablaufen, nach
dem Staatsstreich vom 26. Juli den gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum
freizulassen und wieder in sein Amt einzusetzen. Ansonsten droht dem Land
mit 26 Millionen Einwohner:innen eine Militärintervention.
Über diese entscheiden können die Staats- und Regierungschefs derjenigen 15
Mitgliedsstaaten, die nicht schon aufgrund von Putschen suspendiert sind.
Grundlage ist das 1981 verabschiedete Ecowas-Protokoll zum gegenseitigen
Beistand, in dem es heißt: „Jede bewaffnete Bedrohung oder Aggression gegen
einen Mitgliedstaat stellt eine Bedrohung oder Aggression gegen die gesamte
Gemeinschaft dar.“
[1][Mit Niger hat nun der vierte westafrikanische Staat keine gewählte
Regierung mehr]. In nicht einmal drei Jahren hat die Region sechs
Staatsstreiche erlebt, vor Niger in Mali, Guinea und Burkina Faso. Diesem
Trend wolle die Ecowas einen Riegel vorschieben, sagt Politologe Emmanuel
Odilon Koukoubou von der Denkfabrik Civic Academy for Africa’s Future
(CiAAF) in Cotonou in Benin.
Die ungewohnte Deutlichkeit der Regionalorganisation kann allerdings auch
Drohkulisse sein, um noch eine andere Lösung zu finden. Seit Tagen wird
über folgenreiche Konsequenzen spekuliert für den Fall, dass die Drohung
wahr gemacht wird. Bricht die Region – und damit auch die Organisation –
auseinander? Stehen dann die Länder mit gewählten Staatschefs gegen jene
mit Militärs an der Spitze, die zumindest teilweise eine gewisse Affinität
zu Russland haben?
## Auf Interventionsplan geeinigt
Das will die Ecowas, deren Vorsitzender seit Anfang Juli Nigerias
neugewählter Präsident Bola Tinubu ist, nicht zulassen. Am Freitag einigten
sich die Generalstabschefs der Ecowas-Staaten in Nigerias Hauptstadt Abuja
auf einen Interventionsplan gegen Niger. Dazu gehören, so Abdel-Fatau
Musah, Ecowas-Kommissar für politische Angelegenheiten, Frieden und
Sicherheit, „die benötigten Ressourcen und auch die Art und Weise, wann wir
die Truppe einsetzen werden“.
Federführend wird Nigeria sein, das mit Abstand größte Land Westafrikas mit
der größten Armee. Auch die Streitkräfte von Benin, Senegal, Ghana und Togo
seien professionell, meint Koukoubou. „Haben sie aber die notwendigen
Mittel, um auf dem Boden eines anderen Staates einzugreifen, noch dazu im
Präsidentenpalast?“
Nigeria hat das größte Interesse an einer Intervention, grenzt es im Norden
doch an Niger, mit dem es 1.500 Kilometer Grenze teilt. Mali und Burkina
Faso haben gezeigt, dass sich nach Staatsstreichen die Sicherheitslage
weiter verschlechtert.
Davor warnt jetzt auch Ecowas-Kommisionspräsident Omar Alieu Touray. In der
ersten Jahreshälfte 2023 seien 2.725 Menschen in Burkina Faso und 844 in
Mali bei terroristischen Angriffen ums Leben gekommen. Es gebe deutliche
Hinweise auf die Ausweitung des Terrorismus auf Anrainerstaaten. Bei Niger
würde dies direkt Nigeria treffen, wo ohnehin gerade in grenznahen Gebieten
die Unsicherheit groß ist.
## Mali zeigt die Schwächen der Organisation Ecowas
Ecowas ist in Afrika Vorreiter bei regionalen Militärinterventionen.
Militärisch trat sie in Westafrika erstmals 1990 in Aktion. Ihre
Eingreiftruppe Ecomog (Ecowas-Überwachungsgruppe) griff unter Führung
Nigerias im Bürgerkrieg in Liberia ein und blieb bis zum Ende des Krieges
1996 im Land. Die Truppe verlagerte sich dann nach Sierra Leone.
Es folgte 1999 eine Intervention in Guinea-Bissau, 2003 erneut in Liberia
sowie in der Elfenbeinküste. 2013 intervenierten Ecowas-Truppen parallel zu
Frankreich in Mali, aus ihrer Eingreiftruppe entstand die UN-Mission
Minusma, die jetzt abziehen muss. Zuletzt setzte eine Ecowas-Truppe
[2][unter Führung Senegals 2017 Gambias] gewählten Präsidenten [3][Adama
Barrow] ins Amt ein. Heute gibt es eine Bereitschaftsvereinbarung.
Bei den Einsätzen habe die Ecowas Erfolge erzielt, bewertet Koukoubou. Bis
zum Putsch in Mali 2020 hatten alle Staaten Westafrikas gewählte
Regierungen, einzigartig auf dem Kontinent. Der einzige Langzeitherrscher
in der Region war Togos Präsident Faure Gnassingbé, der die Macht 2005 von
seinem Vater übernommen hatte und sie bis heute innehat. Auch sei es in
Mali nach dem Putsch 2020 gelungen, eine zivile Übergangsregierung
einzusetzen.
Gerade Mali zeigt aber auch die Schwächen der Organisation. [4][Seit dem
zweiten Staatsstreich 2021 ist in Mali General Assimi Goïta
Interimspräsident]. Er hielt den mit der Ecowas ausgehandelten Fahrplan zu
Wahlen nicht ein, was seitens der Regionalorganisation mit schweren
Sanktionen bis hin zu Grenzschließungen quittiert wurde. Im Land wurde das
als Bestrafung der Bevölkerung bewertet, wofür die Ecowas massive Kritik
erntete. Wahlen gab es in Mali bis heute nicht.
## 1975 als Wirtschaftsgemeinschaft entstanden
Getrieben ist all dies von der Überzeugung, dass ohne politische Stabilität
eine gemeinsame Wirtschaft nicht funktionieren kann. Die Ecowas entstand
1975 als Wirtschaftsgemeinschaft. Die kolonialen Grenzziehungen, die
zusammenlebende Volksgruppen auf mehrere Länder verteilen, sollten auf
wirtschaftlicher Ebene überwunden werden, um die Zusammenarbeit und
Integration zu stärken.
Als zentral gilt das Protokoll zur Personenfreizügigkeit aus dem Jahr 1979.
Darin ist geregelt, dass Ecowas-Bürger:innen innerhalb der Region keinen
Reisepass brauchen, sich bis zu 90 Tage ohne Visum in allen Mitgliedstaaten
aufhalten und ihren Wohnsitz frei wählen können.
Die Praxis sieht mitunter anders aus, und für den Grenzübertritt werden
gerne „Gebühren“ erhoben. Auch die angestrebte gemeinsame westafrikanische
Währung hat die Ecowas nicht erreicht. Lediglich acht ehemalige
französische Kolonien sowie Guinea-Bissau teilen sich die alte
Kolonialwährung CFA-Franc, die der Westafrikanischen Wirtschafts- und
Währungsunion (UEMOA) untersteht, als eine an den Euro gekoppelte
Gemeinschaftswährung. Dieses Konstrukt wird wegen der Anbindung an
Frankreich viel kritisiert.
Und trotz regionaler Integration gehen Länder immer wieder eigene Wege. Oft
weisen einzelne westafrikanische Länder Migranten aus anderen
Ecowas-Mitgliedern aus. [5][2019 ließ Nigeria die Grenzen schließen], weil
– so begründete es der damalige Präsident Muhammadu Buhari – Importgüter
die heimische Produktion schwächelten. Lastwagen aus Benin hingen fest. Die
Waren kamen trotzdem ins Land. Ende 2020 ließ Buhari die Grenzen wieder
öffnen.
Jetzt sind aufgrund der neuen Ecowas-Beschlüsse Nigers Grenzen zu Nigeria
und Benin geschlossen. Welche Auswirkungen das hat, ist noch unklar. Es
dürfte aber ein Faktor bei der Entscheidung werden, ob es tatsächlich zu
einem militärischen Eingreifen kommt.
6 Aug 2023
## LINKS
[1] /Putsch-in-Niger/!5946570
[2] /Gambias-neuer-Praesident/!5373176
[3] /Wahlen-in-Gambia/!5817195
[4] /Nach-erneutem-Putsch-in-Mali/!5775621
[5] /Geschlossene-Grenzen-fuer-den-Handel/!5634092
## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Niger
Westafrika
Putsch
Militärputsch
ecowas
GNS
ecowas
Niger
Niger
Niger
Niger
Nigeria
Niger
Niger
Militärjunta
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sanktionen gegen Niger aufgehoben: Ecowas will nicht schrumpfen
Westafrikas Regionalorganisation hebt die Sanktionen gegen Nigers
Putschregime auf. Man hofft, dass Niger, Mali und Burkina Faso nicht
austreten.
Auswirkungen des Putsches in Niger: Längere Flüge, höhere Preise
Der Putsch in Niger beeinflusst den Flugverkehr zwischen Europa und Afrika.
Flüge werden umgeleitet, der Kerosinverbrauch steigt.
Niger nach dem Putsch: Die Junta schafft Fakten
Die Putschisten in Niger benennen weitere Regierungsmitglieder. Westafrika
hofft weiter, dass es doch noch zu einer friedlichen Lösung kommt.
Nach Putsch in Niger: Militärjunta schließt Luftraum
Am Sonntagabend lief ein von der Ecowas gestelltes Ultimatum aus. Wegen
„Gefahr einer Intervention“ bleibt der nigrische Luftraum derweil
geschlossen.
Militärisches Eingreifen in Niger: Gerechtfertigt und doch fatal
Eine nigerianische Militärintervention in Niger würde bedeuten: Zwei Armeen
mit historisch schlechtem Ruf führen auf dem Rücken der Menschen Krieg.
Nach dem Putsch in Niger: Nigeria uneins über Eingreifen
Präsident Bola Tinubu spricht von einer Intervention im nördlichen
Nachbarland. Kritiker werten das als Ablenkung von inneren Problemen.
Nach dem Putsch in Niger: Zerrbilder und Zerreißprobe
Ist Nigers Putsch eine „Vollendung der Souveränität“, die bejubelt, oder
„ein Putsch zu viel“, der beendet gehört? Westafrika streitet.
Nach dem Militärputsch in Niger: Appell des gestürzten Präsidenten
Nigers entmachteter Präsident Bazoum ruft die Weltgemeinschaft auf, den
Putsch nicht zu akzeptieren. Ecowas ringt vergeblich um eine diplomatische
Lösung.
Ultimatum gegen Nigers Putschisten: Showdown in Westafrika
Militärische Drohgebärden und ökonomischer Druck sollen Nigers Putschisten
zum Aufgeben zwingen. Es droht eine Intervention unter Führung Nigerias.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.