Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Das mondähnliche Objekt
> Was hat es mit dem geheimen Büro für Arbeit in, an und unter dem Text auf
> sich? Fest steht nur eins: Unsinnige Arbeiten können ungemein beflügeln.
Die Firma, bei der ich arbeitete, gab es offiziell nicht. Somit gab es mich
offiziell auch nicht. Wie man mir versichert hatte, war dies das Äußerste,
was ich an Tarnung erwarten konnte.
Am meinem ersten Arbeitstag war ich aus Geheimhaltungsgründen in einer
innen gepolsterten Holzkiste angeliefert worden. Anders als die übrigen
Angestellten, betrat und verließ ich das Firmengebäude nie durch den
Haupteingang, sondern durch eine unscheinbare Tür weiter unten an der
Straße. Wollte ich hinein, musste ich dreimal klingeln und über die
Gegensprechanlage ein täglich wechselndes Kennwort nennen.
Ich hatte ein kleines Büro für mich allein und sehr wenig Kontakt zu meinen
Arbeitskollegen. Trotzdem entging mir nicht, dass die Belegschaft häufig
ausgewechselt wurde. Die Neuen übernahmen stets die Namen ihrer Vorgänger
und taten, als habe sich gar nichts verändert. Ich kannte das Phänomen seit
der Kindheit. Meine Eltern sowie Verwandte und Bekannte waren oft durch
Fremde ersetzt worden.
Mir wurde ein höchst anspruchsvoller Auftrag erteilt. Ich sollte heterogene
gedruckte Texte in einer Collage so kombinieren, dass in der geistigen
Dimension des neu entstehenden Textes ein mondgroßes, rundes Objekt am
Himmel entstand. Praktisch unsinnige Aufgaben hatten mich schon immer
beflügelt, und ich machte mich mit großem Enthusiasmus ans Werk.
## Korrekt in einem Hauptbuch abgelegt
Als Erklärung für die Macht des gedruckten Worts wurde seinerzeit das
Vorhandensein einer entsprechenden Strahlenquelle angenommen. Damit das
dieser Annahme zugrundeliegende Gesetz aus allen Himmelsrichtungen
funktionierte, musste das geistige Substrat der Quelle korrekt in einem
Hauptbuch abgelegt sein.
Jeden Morgen wurde mir ein Stapel Tageszeitungen und Zeitschriften
gebracht. Aus ihnen schnitt ich bestimmte, in einer Liste aufgeführte Worte
und Sätze aus, die ich dann, mit Angabe der Quelle sowie des Datums, auf
dafür vorgesehene gelbe Karteikarten klebte. Diese wichtigen Arbeiten waren
die Grundlage des Projekts.
Dessen praktische Durchführung erwies sich zuletzt aber als wesentlich
schwerer, als ich erwartet hatte. Ich musste vermeiden, dass sich das zu
erzeugende Objekt zu weit von einem bestimmten Punkt am Himmel des Textes
abschleuderte, selbst wenn es genau gegenüber am selben Punkt zu finden
war.
Wiederholt begab ich mich als geheimer Akteur ins Naturnegativ der Collage,
um die Substratwerte zu justieren. Die Röntgenschreibung der Strahlenquelle
konnte ich jedoch nicht dauerhaft annullieren, wodurch das Ergebnis völlig
misslang. Anstatt eines mondähnlichen Objekts am Himmel der Erzählebene
entstand ein großes Loch im Text.
Die inzwischen komplett ausgewechselte Geschäftsleitung verlangte, ich
solle mich für immer in den beschädigten Text verfügen, um das Loch mit mir
selbst auszufüllen. Natürlich konnte ich das nicht. Ein solches Ansinnen
war lächerlich.
27 Jul 2023
## AUTOREN
Eugen Egner
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Arbeit
Fantasy
Schreiben
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Geheimnis
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Groteske
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Abends auf der Kommandobrücke
Bei einem geheimnisvollen Schiffsbau melden sich die eingesetzten
geschlechtslosen Quadratmeter: Ihnen ist in der Planungsphase zu kalt!
Die Wahrheit: Verhör durch den verlängerten Arm
In einem abgelegenen Haus wird ein Mann festgehalten und mit „Beweisen“
konfrontiert, die eine „Naturstelle“ gegen ihn zusammengetragen hat.
Die Wahrheit: Die Arbeit unterm Deckmantel
Aus Geheimhaltungsgründen darf das Firmengebäude nicht verlassen werden.
Als plötzlich ein mysteriöser neuer Chef auftritt. Eine Groteske.
Die Wahrheit: Klandestines Büro hinterm Bahnhof
Hat man endlich die "Vermittlungsstelle" hinter einem "unscheinbaren"
Etablissement entdeckt, geht es gnadenlos bürokratisch weiter und weiter.
Die Wahrheit: Meine neue Identität
Ein merkwürdiger Mann erscheint in den Trümmern der Stadt. Was er zu
berichten weiß, wird das Leben seines Arztes entscheidend verändern.
Die Wahrheit: Mündliche Prüfung
Es ist ein einziger Albtraum: Vor dem Bahnhof waren mehrere Hütten
errichtet worden. Darin saßen nun die Prüfer mit ihren merkwürdigen Fragen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.