| # taz.de -- Die Wahrheit: Die Arbeit unterm Deckmantel | |
| > Aus Geheimhaltungsgründen darf das Firmengebäude nicht verlassen werden. | |
| > Als plötzlich ein mysteriöser neuer Chef auftritt. Eine Groteske. | |
| Oft vergaß ich, morgens zur Arbeit zu gehen, obwohl ich am Abend zuvor noch | |
| daran gedacht hatte. Nach dem mühsamen Erwachen konnte ich mitunter nicht | |
| einmal meinen linken Fuß oder dergleichen finden, geschweige denn die | |
| Firma, die mich beschäftigte. Erschien ich dort aber, scheiterte ich an den | |
| mir übertragenen Aufgaben und wurde schließlich mit sofortiger Wirkung vom | |
| Dienst suspendiert. | |
| Man ließ mich wissen, die Unternehmensleitung berate über meine Versetzung | |
| in einen anderen Bereich. Bis zur Entscheidung über meine weitere | |
| Verwendung durfte ich aus Geheimhaltungsgründen das Firmengebäude, in dem | |
| auch meine Wohnung war, nicht verlassen. Was ich zum Leben brauchte, konnte | |
| ich in einem hauseigenen Laden kaufen. Meinen Arbeitsplatz musste ich | |
| räumen, hatte aber weiterhin jeden Morgen pünktlich in der Firma zu | |
| erscheinen. Was ich bis zum Feierabend tat, blieb mir persönlich | |
| überlassen, solange ich nicht im Weg war oder einen unbeschäftigten | |
| Eindruck erweckte. | |
| Infolgedessen hielt ich mich oft im hinteren, wenig genutzten Treppenhaus | |
| auf, verbrachte auch viel Zeit wartend auf der Toilette. Nachmittags konnte | |
| ich eine Weile im Büro der Chefsekretärin unterkommen. Mit der | |
| sympathischen, eleganten Frau, die einige Jahre älter war als ich, hatte | |
| ich mich während der letzten Monate ein wenig „angefreundet“, so dass sie | |
| mir jetzt Asyl bot. Sie war die einzige Konstante innerhalb der ständig | |
| wechselnden Belegschaft. Ausgerechnet ihren Namen konnte ich mir jedoch | |
| nicht merken. | |
| In angenehmer, ruhiger Atmosphäre unterhielten wir uns ungestört über alles | |
| Mögliche. Dabei erfuhr ich, es sei im Gespräch, mich künftig bei einer | |
| Tarnversion des im Geheimen operierenden Unternehmens unterzubringen, | |
| dessen Angestellte wir waren. Dass es unter dem Deckmantel einer | |
| Haarkosmetikfirma agierte, wusste ich bereits, doch nun vertraute mir die | |
| Chefsekretärin an, auch die Vorspiegelung eines Straßenbauamts gehöre zur | |
| Geschäftspraxis. „Vielleicht werden Sie sogar alternierend in beiden | |
| Varianten eingesetzt“, meinte sie. | |
| Ihre Andeutungen beunruhigten mich, doch mehr konnte oder wollte sie nicht | |
| dazu sagen. Nur wenige Tage später geschah es dann, dass ich, als ich sie | |
| wieder besuchen wollte, in ihrem Büro eine völlig fremde, unsympathische | |
| Frau antraf. Überrascht äußerte ich, zu wem ich eigentlich wollte. Darauf | |
| erwiderte die Fremde: „Das bin ich. Was wünschen Sie?“ Nun war auch die | |
| Chefsekretärin ausgewechselt worden! | |
| Diese Erkenntnis ließ mich die riesigen Leerräume zwischen den Atomen | |
| spüren. Der Boden unter meinen Füßen schien nachzugeben. Ich fürchtete, | |
| ohnmächtig zu werden. Mit letzter Kraft verließ ich das Büro und schleppte | |
| mich zu meiner Wohnung. Dem Dienst blieb ich danach fern. Im Bett liegend, | |
| wartete ich auf meine Versetzung. Vielleicht war ich auch schon gegen eine | |
| fremde Person ausgetauscht worden? | |
| 7 Sep 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Eugen Egner | |
| ## TAGS | |
| Geheimnis | |
| Vorgesetzte | |
| Groteske | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| Kolumne Die Wahrheit | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Die Wahrheit: Die neue Wohnung | |
| Plötzlich zu Hause abgeführt und in ein ganz anderes geheimnisvolles | |
| Domizil geleitet zu werden, kann enorme Beklemmungen auslösen. | |
| Die Wahrheit: Abends auf der Kommandobrücke | |
| Bei einem geheimnisvollen Schiffsbau melden sich die eingesetzten | |
| geschlechtslosen Quadratmeter: Ihnen ist in der Planungsphase zu kalt! | |
| Die Wahrheit: Verhör durch den verlängerten Arm | |
| In einem abgelegenen Haus wird ein Mann festgehalten und mit „Beweisen“ | |
| konfrontiert, die eine „Naturstelle“ gegen ihn zusammengetragen hat. | |
| Die Wahrheit: Das mondähnliche Objekt | |
| Was hat es mit dem geheimen Büro für Arbeit in, an und unter dem Text auf | |
| sich? Fest steht nur eins: Unsinnige Arbeiten können ungemein beflügeln. | |
| Die Wahrheit: Klandestines Büro hinterm Bahnhof | |
| Hat man endlich die "Vermittlungsstelle" hinter einem "unscheinbaren" | |
| Etablissement entdeckt, geht es gnadenlos bürokratisch weiter und weiter. | |
| Die Wahrheit: Meine neue Identität | |
| Ein merkwürdiger Mann erscheint in den Trümmern der Stadt. Was er zu | |
| berichten weiß, wird das Leben seines Arztes entscheidend verändern. |