| # taz.de -- Die Wahrheit: Meine neue Identität | |
| > Ein merkwürdiger Mann erscheint in den Trümmern der Stadt. Was er zu | |
| > berichten weiß, wird das Leben seines Arztes entscheidend verändern. | |
| Das Zentrum der Stadt, in der ich damals lebte und arbeitete, war durch | |
| seine neuen Eigentümer völlig zerstört worden. Kurz danach wurde ein | |
| zwischen den Trümmern aufgegriffener, anscheinend verwirrter Mann in die | |
| Abteilung eingeliefert, der ich als leitender Arzt vorstand. Er war etwa | |
| vierzig Jahre alt, besaß keine Personalien und gab an, Pergh zu heißen. | |
| Mehr war zunächst nicht von ihm zu erfahren. | |
| Nach einer gewissen Zeit der Eingewöhnung wurde er gesprächiger, und seine | |
| Behauptungen erregten mein fachliches wie privates Interesse. „Eigentlich | |
| dürfte ich überhaupt nicht darüber reden“, pflegte Pergh stets zu beginnen. | |
| Höchstwahrscheinlich war alles frei erfunden, gleichwohl erweckte er stets | |
| den Eindruck, es selbst zu glauben. | |
| Auf die Frage, ob er in dem zerstörten Stadtzentrum gelebt habe, antwortete | |
| er, wegen seines Wissens darum, „wie die Dinge wirklich liefen“, habe er | |
| sich in einer Geheimwohnung verstecken müssen. Wo diese denn gewesen sei, | |
| wollte ich wissen. Nach längerem Zögern vertraute mir Pergh an: „Im | |
| Kaufhaus Gleisen, hinter der Herrenoberbekleidungs-Abteilung in der dritten | |
| Etage.“ | |
| Ein Kaufhaus Gleisen war mir, der ich seit Jahren mit der Innenstadt | |
| vertraut gewesen war, unbekannt. Ich fragte Pergh nach dem genauen | |
| Standort, und er nannte eine Stelle, an der es tatsächlich ein Kaufhaus | |
| gegeben hatte, allerdings mit einem anderen Namen. Diese Unstimmigkeit | |
| übergehend, erkundigte ich mich, wie er an die Wohnung gekommen sei. Er | |
| antwortete, sie sei ihm zugeteilt worden. Halb scherzhaft äußerte ich die | |
| Vermutung, er habe sie gewiss nur während der Öffnungszeiten des Kaufhauses | |
| betreten oder verlassen können. Während der Nacht, an Wochenenden und | |
| Feiertagen wäre das doch problematisch gewesen. | |
| „Nein“, widersprach Pergh entschieden, „das Kaufhaus war immer geöffnet.… | |
| „Immer?“ – „Ja. Und es waren immer sehr viele Menschen darin.“ Die Fr… | |
| ob er mit diesen Menschen etwas zu tun gehabt hätte, verneinte er. Aber zum | |
| Personal habe er mit der Zeit sicherlich Kontakt bekommen, meinte ich. Man | |
| habe ihn doch gekannt, wenn er täglich ein und aus gegangen sei? Auch das | |
| verneinte Pergh: „Es war geheim, dass ich da war. Außerdem wurde das | |
| Personal täglich ausgewechselt.“ | |
| Auf dieses Thema wäre ich liebend gern näher eingegangen, doch er wollte | |
| nicht darüber sprechen. Ich versuchte es anders: „Haben Sie selbst in dem | |
| Kaufhaus gearbeitet?“ – „Nein, bei einer Firma in einem anderen Stadtteil… | |
| Ich war gespannt, was er mir über seine Arbeit dort erzählen würde. Leider | |
| hatte ich an jenem Tag keine Zeit mehr und verschob die Fortsetzung unseres | |
| Gesprächs auf einen späteren Zeitpunkt. Doch dazu kam es nicht. Weil ich | |
| wusste, wie die Dinge wirklich liefen, musste ich untertauchen und | |
| benötigte eine neue Identität. | |
| 24 May 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Eugen Egner | |
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