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# taz.de -- Die Wahrheit: Nach dem Schrei
> Ein unmenschliches Geräusch. Draußen vor dem Fenster. Doch niemand will
> es wahrgenommen haben. Unverständnis breitet sich aus.
Später am Abend stehe ich allein am Fenster und blicke hinaus. Man hat mir
versichert, draußen ginge etwas ganz Besonderes vor sich. Ich kann jedoch
nichts dergleichen feststellen. Alles, was ich sehe, ist eine
unspektakuläre städtische Wohngegend.
Plötzlich ist – anscheinend vom Himmel her – ein lauter und langanhaltender
Schrei zu hören. Er klingt unmenschlich, eigentlich grauenhaft, beunruhigt
mich aber nicht. Ich empfinde lediglich Interesse. Sollte dieser Schrei das
angekündigte „ganz Besondere“ sein?
Einige Zeit lausche ich noch angestrengt, ohne dass etwas geschieht.
Schließlich verlasse ich das Fenster, um mich wieder in Gesellschaft zu
begeben. Mit einigen mir unbekannten Leuten führe ich eine Unterhaltung
über den gehörten Schrei. Allerhand wird gesprochen, das mich an früher
einmal gelesenen Schund erinnert. Eine kleine, vage slawisch wirkende Frau
behauptet, es bestehe ein komplizierter Zusammenhang zwischen dem
unmenschlichen Geräusch und Häuten beziehungsweise Fellen, die in ihrem
Zimmer hingen. Damit erntet sie nur Unverständnis, weshalb sie alle
Anwesenden einlädt, sich an Ort und Stelle selbst von der Richtigkeit ihrer
Behauptung zu überzeugen.
Was wir im Zimmer der Frau zu sehen bekommen, wird erst nach und nach in
dem Maß, in dem es unser Interesse erregt, deutlich. An einer Wand hängen
menschengroße fledermausartige Häute von der Farbe und
Oberflächenbeschaffenheit gerupfter Hühner. Mich beeindruckt die stille
Andacht, mit der wir alle darauf schauen. Und es gibt noch etwas. Von einer
Kunststoffhülle halb verborgen, hängt da außerdem ein Fell. Die kleine Frau
entfernt die Hülle, und wir glauben zuerst, ein Tigerfell zu sehen, doch
hat es einen präparierten nashornartigen Kopf.
## Ein Loch im Fußboden und irgendwelche Juwelen
Nun ist das Interesse der Betrachtenden voll entwickelt und mein Kopf so
groß, dass ich mich hinlegen muss. Die in dem Zimmer stehenden zwei alten
Betten scheinen mir etwas zu kurz zu sein. Entkräftet lege ich mich
trotzdem auf eins und stelle fest, dass die Länge ausreicht. Ich schlafe
sofort ein. Deshalb entgehen mir die den Häuten geltenden Ausführungen der
kleinen Frau von Anfang bis Ende.
Eine energische Stimme weckt mich, und es wird unsanft an mir gerüttelt.
Die Augen mühsam öffnend, nehme ich überrascht wahr, dass es nicht die
kleine Frau von vorhin ist, die sich über mich beugt, sondern vielmehr eine
ganz andere, wahrlich riesenhafte. Ich kann nur ihr zorniges Gesicht sowie
einen Teil ihrer schwarzen Haare sehen. Wie ich allmählich begreife, wirft
sie mir etwas vor, doch verstehe ich nicht, worum es geht.
Von einem Loch im Fußboden und, wenn ich nicht irre, irgendwelchen Juwelen
ist die Rede. Zwecks Vernehmung soll ich zu einem Vorgesetzten gebracht
werden. Beim Aufstehen sehe ich: Das Zimmer ist nicht das, in dem ich
eingeschlafen bin. Wenigstens hat mein Kopf wieder seine natürliche Größe.
25 Apr 2023
## AUTOREN
Eugen Egner
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
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Horror
Groteske
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