# taz.de -- Adorno-Vorlesungen von Ilka Quindeau: Gegen allzu bequemes linkes D… | |
> Die Psychoanalytikerin Ilka Quindeau hielt die Adorno-Vorlesungen in | |
> Frankfurt. Autoritäre Charaktere gibt es auch in linken Milieus, führte | |
> sie aus. | |
Bild: Die Psychoanalytikerin Ilka Quindeau hielt die Adorno-Vorlesungen in Fran… | |
Viel Lob für die diesjährig Eingeladene, die Adorno-Vorlesungen an der | |
Frankfurter Universität zu halten: Ilka Quindeau, bis vor wenigen Jahren in | |
Frankfurt am Main selbst beheimate Psychoanalytikerin und nun in Berlin | |
wirkende Expertin in Sachen Antisemitismus. | |
Beifall nach dem ersten Vortrag – aber bei manchen, die sich mit Statements | |
zu Wort meldeten, mit dem Wunsch verbunden, dass die Referierende sich über | |
das Antisemitische hinaus zu Fragen der Misogynie, des Rassismus oder | |
anderen Formen „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ bitte äußere. | |
Quindeau bediente dieses Begehr allerdings nicht, „das ist nicht mein | |
Thema, ich spreche über Antisemitismus“, erwiderte sie freundlich und | |
bestimmt. Das Paket linker Befunde, dass alle Opfer zu allen gehören, also | |
Juden zu ausländisch Gelesenen zu Frauen zu Minderheiten schlechthin – das | |
wollte sie nicht schnüren. | |
Das Antijüdische in einer dominant christlichen Gesellschaftlichkeit ist | |
ihr Beobachtungsobjekt. Sie wählte für ihr Vorlesungstriptychon eine | |
Auseinandersetzung mit den Thesen Theodor W. Adornos und Max Horkheimers, | |
den Heiligen Vorvätern des einladenden [1][Instituts für Sozialforschung,] | |
die in ihrer Studie zum „Autoritären Charakter“ profund glaubten | |
herauspräpariert zu haben, was ein Individuum prädestiniere, um etwa den | |
Nationalsozialismus zu stützen bzw. offen zu unterstützen. | |
Quindeau wies, mit vielen höflichen Worten, diese These zurück – | |
[2][autoritäre Charaktere gebe es in allen politischen Sphären,] auch in | |
linken Milieus, nur darüber wolle niemand der linken politischen Szenen | |
unserer Zeit sprechen, weil, so die Referentin recht verstanden, die These | |
vom autoritären Charakter, der nur auf der rechten Seite des politischen | |
Spektrums verortet werde, es allen viel zu bequem mache – und einem | |
veralteten binären Denken geschuldet sei. | |
Freud jedenfalls vermochte die lodernde Flüssigkeit von Charakterhaltungen | |
in der kapitalistischen Moderne eher zu begreifen: Alle seien, verknappt | |
zusammengefasst, zu aller Ambiguitätsintoleranz fähig – also zur | |
Unfähigkeit, der eigenen Ambivalenz sich reflektierend zu stellen. | |
## Antisemitismus als Reflexionsverweigerung | |
Antisemitismus sei die phantasmatische Königsdisziplin, sich der eigenen | |
Zwiespältigkeiten zu verweigern: Quindeau machte dies besonders daran fest, | |
dass eine bevorzugt linke „Israelkritik“ sich frei von Antisemitischem | |
wähnt und doch erheblich verkenne, wie sehr auch in einer gewissen Art, | |
Jüdisches in Israel prononciert für ein Verhängnis oder für extrarelevant | |
zu halten, der alte (nicht nur) deutsche Affekt gegen „den Juden“ stecke. | |
Qindeau explizierte am Beispiel des, wenn man so will, durch alle | |
Beteiligen kastrierten Documenta-Kassel-2022-Diskuses, wie sehr es bei | |
allen Beteiligten an der Debatte an Talent mangelte, sich den eigenen | |
phantasmatischen Voraussetzungen für einen Diskurs um antisemitische | |
Befunde in Ausstellungssettings offen und ohne Scheu vor eigener | |
Abgründigkeit zu stellen: Ihr zufolge der einzige Weg, nicht rechthaberisch | |
zu agieren, und vor allem, in der Idee, frei von Antisemitismus zu sein, | |
ganz klassischen antijüdischen Reinlichkeitswahn mit zu erkennen. | |
Das Publikum applaudierte einer, die intellektuell etwas zu riskieren | |
wusste: gegen den Zeitgeist operierend. | |
9 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /100-Jahre-Institut-fuer-Sozialforschung/!5909598 | |
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## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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