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# taz.de -- Energiesubventionen für Unternehmen: Licht aus oder Deckel drauf
> Energieintensive Firmen drohen wegen hoher Stromkosten abzuwandern.
> Minsterpräsident Weil drängt auf einen ermäßigten Strompreis.
Bild: Dämmerung in Stade? Bleiben die Strompreise hoch, könnte der US-Chemier…
Stade taz | „Auch wenn mein Herz für Deutschland schlägt, kann ich nicht
guten Gewissens empfehlen, das Geld dort auszugeben, wo es am teuersten ist
und langfristig zu Wettbewerbsnachteilen kommt.“ Julia Schlenz lächelt, als
sie diesen Satz sagt, im backsteinernen Empfangscenter des Chemiewerks in
Stade.
Doch in den Worten der Präsidentin von [1][Dow Chemical] für Deutschland,
Österreich und die Schweiz schwingt eine eiskalte Warnung mit: Wenn die
Produktionskosten in Deutschland weiterhin so hoch bleiben, wird der
Konzern woanders investieren. 37.000 Mitarbeiter:innen beschäftigt der
Konzern weltweit, jeden zehnten davon in Deutschland.
Das Problem sind aus Sicht des Chemiekonzerns vor allem die hohen
Energiekosten. Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und dem
Einbruch der Gaslieferungen müssen viele Unternehmen auf Strom umstellen,
die Preise steigen. Das trifft vor allem Betriebe, die viel davon
verbrauchen.
Wie Dow Chemical in Stade, wo mittels Elektrolyse in meterhohen Anlagen
Sole in Chlor, Natronlauge und Wasserstoff zerlegt wird. Chlor ist
Grundstoff für zahlreiche weitere Produkte von Turnschuhsohlen bis zur
Bremsflüssigkeit. Fünf Terawattstunden verbraucht Dow pro Jahr, das ist
etwa ein Prozent des gesamten deutschen Verbrauchs. Damit sei man
zweitgrößter Konsument hinter der Deutschen Bahn, betont das Unternehmen
gern. Was vor dem Krieg als Ausweis wirtschaftlicher Relevanz galt, wird
nun zum Problem, denn im Mutterland USA ist der Strom dreimal günstiger
als in Deutschland.
## Ministerpräsident Weil fürchtet Einbruch von Investitionen
Schlenz und die Stader Werksleitung setzen daher auf politische
Unterstützung. Zu Gast in Stade ist an diesem Tag Ende Juni der
niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil. Der Sozialdemokrat fordert
seit einigen Monaten einen ermäßigten Industriestrompreis für
energieintensive Unternehmen und hat im April ein Konzept dazu vorgelegt.
Nun drückt er aufs Tempo. Er wolle nicht, dass ein gesundes Unternehmen
abwandere, weil es im Moment unrentabel sei, hier zu produzieren. „Wenn
keine Entscheidung fällt, werden Investitionen nicht in Deutschland
stattfinden und Strukturen wegbrechen“, sagt Weil.
Das ist keine unbegründete Angstmacherei. Dow etwa hat im vergangenen Jahr
Verluste gemacht und bereits zu Jahresbeginn den Abbau von 2.000 Stellen
weltweit verkündet, darunter 45 in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Weil hat
vorgeschlagen, den Strompreis für solche energieintensiven Unternehmen, die
im internationalen Wettbewerb stehen, von durchschnittlich 20 auf 7 Cent zu
deckeln. Ein solcher Brückenstrompreis, wie Weil ihn auch nennt, soll
helfen, die Kosten zu senken, bis genügend günstiger Strom aus erneuerbaren
Energien da ist. Die anderen Bundesländer hat Weil auf seiner Seite.
Auch die Gewerkschaften finden den Plan gut: DGB, die IG Bergbau, Chemie,
Energie (IG BCE) und die IG Metall unterstützen einen Industriestrompreis.
Vorausgesetzt, die Unternehmen, die davon profitieren, sichern den Erhalt
von Arbeitsplätzen zu und bekennen sich zu Tarifverträgen.
Selbst die Linkspartei, der global agierende Großkonzerne eigentlich
suspekt sind, ist dafür offen. „Wenn die Grundstoffindustrie wegfällt, hat
das dramatische Auswirkungen auf den gesamten Industriestandort“, so der
industriepolitische Sprecher der Linksfraktion, Alexander Ulrich, im März.
Die Bundesregierung müsse endlich handeln.
## Wieder Uneinigkeit bei der Ampel
Doch die Ampel ist auch in dieser Frage gespalten. Wirtschaftsminister
Robert Habeck von den Grünen ist für einen subventionierten Strompreis. In
einem im Mai veröffentlichten Papier machte er den Vorschlag, den
Unternehmen einen auf 6 Cent gedeckelten Preis für 80 Prozent ihres
Stromverbrauchs zu garantieren. Die FDP – eigentlich Unternehmerpartei –
ist dagegen, weil das den Markt verzerre. Dabei bekommt sie Unterstützung
von Wirtschaftswissenschaftler:innen, die man eher aufseiten der Grünen
vermutet. Die Energieexpertin vom Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung, [2][Claudia Kemfert], findet einen solchen
Billig-Strompreis „teuer und unfair gegenüber nicht privilegierten
Unternehmen und Haushalten“. Und der Ökonom Achim Wambach, Mitglied im
Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums, warnt vor einem
„Subventionswettlauf“.
Ein wesentlicher Grund für die Skepsis der FDP dürften vor allem immense
Kosten sein, die sich auf geschätzte 25 bis 30 Milliarden summieren. Geld,
das FDP-Finanzminister Christian Lindner nicht hat. Den Vorschlag, das Geld
in Form von Krediten aus einem der beiden Schattenhaushalte, dem Klima- und
Transformationsfonds oder dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds zu nehmen,
weist der Finanzminister ebenfalls rigoros zurück. Den Krisenfond dafür zu
nutzen, verbiete sich aus verfassungsrechtlichen Gründen. Und Olaf Scholz?
Der Bundeskanzler hatte mal für einen ermäßigten Strompreis geworben, seit
einiger Zeit hält er sich jedoch zurück. Es wäre besser, die Stromkosten
durch schnelle Ausweitung von Ökostrom zu senken, sagte er neulich
[3][während der Besichtigung eines Erdwärmekraftwerkes in Kenia.]
Doch am Ausbau der erneuerbaren Energien hapert es noch. Eigentlich soll
das vor einem Jahr verabschiedete Windenergie-an-Land-Gesetz die
Planungszeiten für Windkraftanlagen halbieren. Doch die Ämter wüssten
nicht, wie sie das Gesetz anwenden sollen, sagt Alexander Heidebroek, der
unter anderem einen neuen Windpark im niedersächsischen Gevensleben
hochzieht. „Dann heißt es, wir können die Planung nach dem alten Gesetz
machen, dann wissen Sie wenigstens, wie lange sie dauert.“
Auch seine Ehefrau Bärbel Heidebroek, die Bundesvorsitzende des
Windenergieverbands ist, sieht einen Industriestrompreis kritisch.
Zweifelsohne gebe es die reale Gefahr, dass Industrie abwandert.
„Andererseits könnte ein Industriestrompreis den falschen Anreiz setzen,
keine Energie zu sparen und Alternativen, die sich gerade entwickeln,
wieder unattraktiv machen.“ Heidebroek nennt Direktverträge, sogenannte
PPA, die Unternehmen mit Windparkbetreibern schließen. Dadurch ließe sich
der Strompreis langfristig und günstig absichern.
## Schwedische Batteriehersteller Northvolt sagt Fabrikbau ab
Auf solche Langfristverträge setzt auch Volkswagen, das derzeit über seine
Tochterfima VW Technology in Salzgitter ein Werk zur Fertigung von
Batterien für E-Autos hochzieht. Noch steht nur der Rohbau, bereits 2025
soll die Produktion starten. Man werde jedes Jahr einen oberen
dreistelligen Betrag an Gigawattstunden an Strom brauchen, heißt es aus dem
Konzernvorstand. Der soll zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien kommen.
Dennoch fordert auch VW einen Industriestrompreis. „Ohne die 7 Cent wird es
keine wettbewerbsfähigen Batterien aus Deutschland geben“, meint
Konzernvorstand Thomas Schmall. Der schwedische Batteriehersteller
Northvolt hat den geplanten Bau einer Fabrik in Emden kurzfristig wieder
abgesagt. Laut Medienberichten hieß es: Die Strompreise in Deutschland
seien zu hoch.
4 Jul 2023
## LINKS
[1] /Proteste-gegen-Dow-Chemical/!5089714
[2] /Claudia-Kemfert-ueber-fossile-Energien/!5862202
[3] /Bundeskanzler-in-Afrika/!5932564
## AUTOREN
Anna Lehmann
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