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# taz.de -- Auf Seetangsafari: Sie schwärmen von essbaren Algen
> Algen erobern die Küche. Doch wie schmecken sie am besten? Zu Besuch in
> Norwegen und bei einer Algenmanufaktur auf den Lofoten.
Bild: Auch wenn es nicht so aussieht: hier wird eine Delikatesse geerntet
BERGEN/LOFOTEN taz | Als das Schiff in den Hafen an der Südwestküste
Norwegens einfährt, meldet sich der Kapitän per Lautsprecher: „Wir sind in
Bergen, und das, obwohl es heute gar nicht regnet.“ Die Vorzeichen stehen
daher gut für das zweite Bergener Sjømatfestival, das
Meeresfrüchtefestival. Eine Woche lang liegt der Fokus auf allem, was aus
dem Meer kommt und essbar ist: Fisch, Schalentiere, Muscheln – und Algen
natürlich. An denen kommt niemand mehr vorbei.
Weltweit gibt es inzwischen mehrere Algen-Konferenzen, letztes Jahr etwa in
Spanien und Tasmanien; in Trondheim treffen sich regelmäßig
AlgenexpertInnen. Und ob [1][bei der Fraunhofer-Gesellschaft], [2][bei der
EU], [3][beim Zukunftsinstitut], [4][im BR], [5][der Vogue]: den Algen, so
sind sich alle einig, gehört die Zukunft.
Und da das auch für Kinder gilt, gibt es beim Sjømatfestival neben einem
Krabbenpulwettbewerb und einem Wettkochen für das beste Plukkfisk (die
norwegische Hausmannskost aus Kabeljau, Stampfkartoffeln und weißer Soße)
auch eine Seetangsafari für den norwegischen Nachwuchs.
Treffpunkt dafür ist der Strand von Nordnes, einer Halbinsel im
Stadtzentrum von Bergen. In wetterfester Outdoormontur hockt Arne Duinker
wenige Meter von der schäumenden Gischt auf Steinen. Vor ihm steht ein
Campingkocher und [6][ein Eimer voll mit Algen]. Im Kreis um ihn sind eine
Handvoll Vier- bis Sechsjähriger mit Gummistiefeln, großen Augen, Geschirr
und Besteck versammelt.
## Salzig, würzig und wie Tee
Duinker, promovierter Mitarbeiter am Institut für Meeresforschung in
Bergen, erklärt, dass man Algen am besten direkt von der Pflanze
abschneidet, und zwar mindestens knietief im Wasser. „Dort sind sie
frisch.“ Die Kinder sehen sich um – ist nicht der halbe Strand von Algen
bedeckt? „Die könnte man auch essen“, sagt Duinker. Aber da wisse man eben
nicht, wann genau die angespült wurden und wo sie gewachsen sind. [7][Und
da Algen Schadstoffe speichern], sollte man lieber keine essen, die in der
Einfahrtschneise für Fracht- und Personendampfer gewachsen sind.
Arne Duinker will den Kindern zeigen, wie man Algenchips herstellt. Als
Vater, der er ist, weiß er, dass er ein kritisches Publikum vor sich hat.
„In einer Gruppe von Kindern gibt es immer zwei Typen, die Neugierigen und
die Zurückhaltenden“, sagt er. Sein Trick: „Ich gebe den Aufgeschlosseneren
zuerst zu probieren, so kriegt man meistens auch die anderen.“
Für die Algenchips wringt Arne Duinker Zuckertang aus, eine Braunalge mit
großen lamellenartigen Blättern, die sich vielfältig zubereiten lässt. Den
Geschmack beschreibt er den Kindern als salzig, würzig und wie Tee. „Davon
kann man auch Stücke abschneiden und zum Beispiel Fisch, Zitrone oder
Zwiebeln einwickeln und braten“, sagt er. So bleibe der Fisch saftig und
bekomme eine Umami-Note.
Dann gießt Duinker großzügig Pflanzenöl in eine Pfanne und röstet beide
Seiten des Zuckertangs scharf an – fertig. Anders als bei Kartoffelchips
braucht es praktischerweise nicht mal Salz. Während manches Kind noch
skeptisch riecht, greift eines mutig in die Schüssel und stopft sich eine
Handvoll Chips in den Mund. Insgesamt urteilt die junge Jury wohlwollend,
Nachschlag ist erwünscht.
Auch auf einem provisorischen Stand am Bergener Fischmarkt, nur ein paar
Schritte vom Meer entfernt, finden sich verzehrbare Algen, hier in kleinen
Schraubgläsern. Die Gewürzmischungen von Sjøsaker (auf Deutsch etwa:
„Seemüse“) sollen eine Alternative zu herkömmlichen Geschmacksverstärkern
sein. Es gibt die bekannten Geschmacksrichtungen aus dem Supermarktregal –
Pizza, BBQ, Taco oder Garam Masala – bloß eben in gesund und auf
Algenbasis. Eine davon ist die feingliedrige, rötliche Pinselbüschelalge,
die auch „Trüffelalge“ genannt wird. Mineralisch und erdig schmeckt sie,
ein bisschen nach Shiitake, mit einer Idee von Pu-Erh-Tee.
Auch Sjøsaker hat sich von Arne Duinker beraten lassen und die
Gewürzmischungen im intensiven Austausch mit ihm entwickelt. Schon seit
rund 20 Jahren arbeitet Duinker mit Foodies und Küchenchefs zusammen. Er
erzählt, wie Sternekoch Nicolai Nørregaard, ein bedeutender Vertreter der
Nordic Cuisine, vor einigen Jahren an einem seiner Kurse teilgenommen habe.
„Der sagte mir: Ich habe alles ausprobiert, was du mir beigebracht hast.
Aber was mich jetzt noch interessiert, ist die Trüffelalge.“
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Duinker noch nie von dieser Alge gehört, also
begann er zu recherchieren. „Tatsächlich war das meine erste
Trüffelerfahrung“, sagt er. „Als ich dann mal echtes Trüffelöl probiert
habe, fand ich es zu bitter.“
Eine zweitägige Schiffsreise von Bergen entfernt, in den nordnorwegischen
Lofoten, sitzt die Algenmanufaktur „Lofoten Seaweed“. Seit 2016 stellen
Angelita Eriksen und Tamara Singer hier Gewürzmischungen, getrocknetes
Meeresgemüse und Algenseife her. Ihre Produkte wurden schon mehrfach mit
Preisen ausgezeichnet. Unter den rund 450 Algenarten, die in Norwegen
wachsen, werden hier vor allem sechs verarbeitet: Zuckertang, Flügeltang,
Lappentang, Fingertang, Trüffeltang und Nabel-Purpurtang.
## Ernte im Neoprenanzug
Wo Arne Duinker auf kindgerechtes Erklären baut, haben Eriksen und Singer
Instagram-gerechtes Storytelling parat; ihnen würde man in ihrer Wort- und
Bildgewalt auch einen tief in der Arktis gelagerten Gin mit fermentierter
Alge abkaufen.
Während die norwegische Fischerstochter Angelita Eriksen mit dem Schneiden
von Kabeljauzungen und dem Auslegen von Langleinen aufwuchs, lernte die
Neuseeländerin Tamara Singer den kulinarischen Umgang mit Algen früh von
ihrer japanischen Mutter.
An der zerklüfteten Küste hundert Meilen nördlich des Polarkreises kann man
den beiden beim Ernten zusehen. In Neoprenanzügen und Wollmützen, mit
Messern und einem Plastiksieb in der Hand, stehen Eriksen und Singer im
Wasser, das ihnen mitunter bis zu den Hüften reicht, und schneiden Algen
ab. „Immer oberhalb der geschlechtszellbildenden Organe, sodass sie sich
schnell wieder reproduzieren können“, sagt Eriksen.
Danach werden die immer noch über einen Meter langen Algenblätter
getrocknet, zerkleinert, zu Gewürzmischungen verarbeitet und an
High-End-Küchen, Feinkosthändler oder die Kantinen auf Personenschiffen
geliefert. In der Küche ihres Ladens auf den Lofoten können Gäste ihre
Kreationen ebenfalls kosten, etwa Kartoffel-Blini mit Sour Cream und
Algenperlen. Letztere erinnern an Feuchtigkeitskapseln aus dem
Drogeriemarkt, die straffe Haut versprechen.
Auch Arne Duinker argumentiert gerne mit der pflegenden Wirkung von Algen,
um Neulinge von ihnen zu überzeugen. „Viele denken erst mal, dass Algen
glitschig und eklig sind. Dann erwähne ich, dass sehr viele Kosmetika Algen
enthalten und wie gesund sie für Mensch und Umwelt generell sind“, sagt er.
„Gerade der kosmetische Aspekt gefällt vielen, da reibt sich schon auch mal
wer eine Alge übers Gesicht. Und plötzlich fällt aller Ekel. Man muss eben
das Mindset ein wenig anpassen.“
Zu Hause kocht er regelmäßig mit Algen und probiert immer wieder etwas
Neues. „Letzten Sommer habe ich Karamell mit Zucker- und Lappentang
gemacht, das war gut“, sagt Duinker. „Das schmeckt dann nach Anis und
Lakritze. Und es kitzelt ein bisschen.“
Und was ist Arne Duinkers persönliches Algenhighlight in der Küche?
Lappentang in Soja-Zitronen-Zucker, denn so kommt das Umami in voller Weise
zum Tragen. Dazu passt Thunfisch, aber auch Fleisch. „Jedes Mal, wenn ich
Fleisch koche, mariniere ich es in Algen“, sagt Duinker. „Wenn man das ein
paar Mal gemacht hat, geht es nicht mehr ohne. Es ist eine geschmacklich so
einnehmende kulinarische Einbahnstraße.“
Transparenzhinweis: Die Recherche wurde unterstützt von Visit Norway und
Hurtigruten.
13 Jul 2023
## LINKS
[1] https://www.fraunhofer.de/de/forschung/aktuelles-aus-der-forschung/gruen-is…
[2] /Boomende-Algen-Wirtschaft/!5887258
[3] https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/food/algen-als-rohstoff-der-zukunft/
[4] https://www.ardmediathek.de/video/gesundheit/ernaehrungstrend-algen/br-fern…
[5] https://www.vogue.de/lifestyle/artikel/algensalat-gesund
[6] /Medienkunst-und-Anthropozaen/!5926140
[7] /Umweltverschmutzung-von-Fluessen/!5924145
## AUTOREN
Juliane Reichert
## TAGS
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