# taz.de -- Klimaforscher zur deutschen Klimapolitik: „Wir haben keine Spielr… | |
> Klimaforscher Pörtner warnt vor allzu großer Technologieoffenheit. Die | |
> Ampel kritisiert er für zweifelhafte Kompromisse. Hoffnung hat er | |
> dennoch. | |
Bild: Wer Verbrennerautos mit E-Fuels betreiben will, versteht Technologieoffen… | |
taz: Herr Pörtner, die Ampelregierung hat den Klimaschutz bei den Gebäuden | |
auf die lange Bank geschoben, das Klimagesetz verwässert, und auf der | |
Klimakonferenz in Bonn gab es nur marginale Fortschritte. Sehen Sie einen | |
Rückwärtstrend beim Klimaschutz? | |
Hans-Otto Pörtner: Es gibt auf jeden Fall einen Trend zu zweifelhaften | |
Kompromissen. Das dringend nötige Handeln wird wieder einmal verzögert: in | |
den internationalen Verhandlungen und auch von dieser Regierung. Bei vielen | |
Verantwortlichen fehlt die Einsicht, dass ambitionierter Klimaschutz | |
bedeutet, dass wir jetzt wirklich mit hohem Tempo die Emissionen | |
runterfahren müssen. Viele verstehen nicht, wie drängend die Probleme | |
sind, wie wichtig der Faktor Zeit ist. Und dieses mangelnde Verständnis | |
führt dazu, dass eben an den falschen Stellen Kompromisse gemacht werden. | |
Dazu kommt dann diese Ideologie der Technologieoffenheit. | |
Was meinen Sie damit? | |
Wenn wir wie die FDP und Teile der Union Technologieoffenheit zur Maxime | |
erheben, dann fehlen uns die wirksamen Hebel, mit denen wir eine schnelle | |
Umstellung auf Technologien der erneuerbaren Energie bekommen. Es ist | |
richtig, Technologiepfade nicht zu früh zu verschließen. Aber wenn sich | |
eine Technik durchgesetzt hat, dann führt solche Offenheit zu unnötigen | |
Verzögerungen in der Umsetzung. Und das ist aus meiner Sicht etwa beim | |
E-Auto der Fall – Strom zu nutzen ist viel effizienter, als mit dem Strom | |
E-Fuels herzustellen. Da müssen wir rasch in die Umsetzung und nicht mehr | |
über Technologieoffenheit diskutieren. | |
Das Argument für Technologieoffenheit ist immer: Wir müssen alle Optionen | |
offenhalten. | |
Aber zum jetzigen Zeitpunkt sind das Verzögerungstechniken, die die | |
dringend nötige Umsetzung der Maßnahmen zum Klimaschutz verhindern. [1][Das | |
ist wie mit CCS [Carbon Capture and Storage; Anm. d. Red.]]: Das ist | |
wichtig, das brauchen wir, um verlorene Zeit für Klimaschutz zu kaufen und | |
aufzuholen. Parallel müssen wir hauptsächlich alles tun, um zügig und | |
wirksam auf die CO2-Reduktionspfade zu kommen, die uns zu unseren | |
Klimazielen bringen. Wenn jetzt davon geredet wird, man könne CCS nutzen, | |
um CO2 aus der Atmosphäre zu holen und so das Problem zu lösen, aber dabei | |
weiteremittieren, dann ist das eine ähnliche Illusion, wie zu glauben, wir | |
könnten die verbleibenden Verbrennerautos mit synthetischen Kraftstoffen | |
betreiben. | |
Diese falsch verstandene Technologieoffenheit führt zu verzögertem | |
Klimaschutz und verpassten Klimazielen. Oberstes Ziel muss es sein, mit | |
Emissionsreduktionen endlich auf den Pfad zu den Klimazielen zu kommen. Wir | |
sind nicht auf diesem Pfad, und wenn man spät dran ist, wenn man wie wir im | |
Prinzip schon Jahrzehnte verpennt hat, dann ist man weniger flexibel und | |
muss die wirklich wirksamen Maßnahmen ergreifen. Es wird dabei vielleicht | |
teurer und unbequemer, denn es muss ja schneller gehen, als wenn man gleich | |
reagiert hätte. | |
Haben die Verantwortlichen in der Politik, etwa im Bundestag, das Ihrer | |
Meinung nach im Blick? | |
Ich weiß es nicht, weil wir ja keinen direkten Zugang zu den | |
Verantwortlichen haben. Aber es liegt der Verdacht nahe, dass es bei | |
vielen, die hier mit Blick auf Wählerstimmen argumentieren, an tieferem | |
Verständnis dieser sachlichen Zusammenhänge fehlt. Das hat sicherlich auch | |
etwas mit unserem Bildungssystem zu tun, worin die Vermittlung | |
naturwissenschaftlicher Grundlagen und der Funktionsweise unseres | |
Planeten zu kurz kommt. | |
War das besser unter einer Kanzlerin Merkel, die Doktor der Physik war? | |
Die Kanzlerin, die Physikerin war, war auch gleichzeitig eine gewiefte | |
Machtpolitikerin. Und sie führte eine Partei, an der wir besonders gut | |
beobachten können, wie weit die Anschauungen zu diesem Thema | |
auseinandergehen. Also nein, es war nicht besser. | |
Wie viele Verantwortliche in der deutschen Politik haben die IPCC-Berichte | |
gelesen, die Sie mit so großer Sorgfalt erstellen? | |
Dazu kann ich überhaupt nichts sagen, weil ich mit den betreffenden | |
Personen keine direkten Kommunikationswege habe. Es gibt bei uns keine | |
direkte Kommunikation zwischen Volksvertretern und Wissenschaft. Das ist in | |
einigen unserer Nachbarländer anders. | |
Aber es gibt doch Expertenanhörungen vor Gesetzen. Und jede Menge | |
wissenschaftliche Beratungsgremien für die Regierung. Sie selbst sitzen im | |
WBGU, dem Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale | |
Umweltveränderungen. | |
Ja, die allgemeinen Einsichten der Klima- und Biodiversitätsberichte finden | |
da auch Berücksichtigung. Oder man wird mal in einen Unterausschuss | |
eingeladen. Aber direkte Drähte gibt es nicht. [2][Nach Verabschiedung der | |
IPCC-Berichte] war ich regelmäßig zu Vorträgen im Europaparlament. Sie | |
müssen nicht glauben, dass Ähnliches im Bundestag passiert. Nach der | |
Verabschiedung des 6. IPCC-Berichts hat es so einen direkten Kontakt zu | |
einer größeren Gruppe von Parlamentariern nicht gegeben. Dabei wäre das | |
sehr sinnvoll, etwa mal vor den Fraktionen zu sprechen. | |
Was würden Sie denen denn sagen? | |
Die Menschen müssen etwas Grundlegendes verstehen: Wir müssen die Fehler | |
des Industriezeitalters korrigieren. Die letzten 150 Jahre haben uns viele | |
Erfolge gebracht, aber wir haben auch viele Fehler gemacht. Jeder | |
konservativ denkende Mensch, der die wichtigen Dinge erhalten will, müsste | |
sagen: Diese Fehler müssen wir jetzt korrigieren. Aber gerade die | |
Konservativen wollen diese großen Zusammenhänge nicht sehen, sondern so | |
weitermachen wie bisher. | |
Und es sind die eher links orientierten Parteien, die scheinbar | |
progressiven, die wertkonservative Positionen vertreten, weil sie sagen: | |
Wir müssen die Lebensgrundlagen dieser Erde bewahren. Die mit Blick auf die | |
[3][Naturschätze und Lebensgrundlagen] Wertkonservativen sind zum Beispiel | |
bei den Grünen zu finden und nicht bei den offiziell konservativen | |
Parteien. Man muss ja nur sehen, wie die Konservativen im EU-Parlament den | |
Green Deal angehen. | |
Wie frustrierend ist es, als Wissenschaftler so wenig durchzudringen? | |
Machen Sie sich da große Sorgen? | |
Natürlich sind wir als Wissenschaftler besorgt. Wir sind ja nicht nur | |
Wissenschaftler, die zur Neutralität der wissenschaftlichen Aussagen | |
verpflichtet sind. Wir sind auch Staatsbürger oder Eltern und Großeltern. | |
Das sollte doch Motivation genug sein, hier ein klares Wort zu sprechen, | |
wenn wissenschaftliche Erkenntnisse in der Politik nicht genügend | |
berücksichtigt werden. | |
Wo passiert das? | |
Beim Klimaschutzgesetz. Wir haben eine Entscheidung des | |
Verfassungsgerichts, in der ganz klar gesagt wurde: Es geht hier um die | |
Zukunft nicht nur der jetzigen Generationen, sondern auch der künftigen. | |
Das heißt, es ist ein hohes Verfassungsgut, den nächsten Generationen | |
dieselben Freiheitsgrade zu ermöglichen, die wir haben. Was das genau | |
heißt, darüber lässt sich streiten, aber de facto bedeutet das, wir müssen | |
den nächsten Generationen ein Weltklima hinterlassen, in dem es sich leben | |
lässt. | |
Wir sind jedoch dabei, das zu unterminieren und durch Verzögerungstaktiken | |
zu verhindern. Um es scharf zu formulieren: Das neue Klimaschutzgesetz ist | |
in meinen Augen verfassungswidrig, wenn es durch verwässerte Maßnahmen dazu | |
führt, dass wir die Klimaziele nicht einhalten. | |
Die Realpolitik sagt: Wir dürfen es beim Klimaschutz nicht übertreiben. Wir | |
müssten das physikalisch Machbare mit dem wirtschaftlich Vernünftigen | |
verbinden, sagt FDP-Finanzminister Lindner. Wie klingt das für Sie als | |
Wissenschaftler? | |
Für mich als Wissenschaftler klingt das so, dass wir im Zweifelsfall bereit | |
sind, die Klimaziele zu reißen. Und das ist der Punkt. Wir haben keine | |
Spielräume mehr, die wir gerne hätten auf dem Weg zum Erreichen der | |
Klimaziele, denn wir sind nicht auf dem richtigen Pfad. Die Flexibilität, | |
die in diesen Aussagen angenommen wird, die haben wir nur, wenn wir auf den | |
Emissionspfaden zu unseren Klimazielen sind. Aber danach sieht es im | |
Moment nicht aus, wir steuern global gesehen auf eine Welt zu, die um 2,7 | |
bis 3,2 Grad wärmer sein wird. | |
Haben Sie Angst, dass wir die Klimaziele von Paris aufgeben, weil sie | |
vielleicht nicht zu erreichen sind? | |
Alle unsere Ziele im Klimaschutz, für die Nachhaltigkeit, die Biodiversität | |
oder den Katastrophenschutz klingen wunderbar, wie sie aufgeschrieben | |
wurden. Und es war ja zum Teil schwer genug, sich darauf zu einigen. Denken | |
Sie an das Pariser Abkommen. Aber jetzt sind Leute an der Macht, die damals | |
nicht dabei waren oder nur in der zweiten, dritten oder vierten Reihe. Die | |
sind möglicherweise nicht wirklich bereit, das hundertprozentig ernst zu | |
nehmen. Alle Zielmarken wurden bisher nicht erreicht, oder die | |
entsprechenden Maßnahmen sind nicht im Plan. | |
Herr Pörtner, machen Sie uns doch bitte mal ein bisschen Hoffnung. | |
[4][Die Hoffnung stirbt zuletzt], klar. Natürlich hoffe ich, dass ein | |
kleines Wunder geschieht und die Maßnahmen, die wir in Deutschland mit dem | |
Klimaschutzprogramm angeschoben haben, noch zum Erfolg führen. Dazu gehört | |
aber auch, dass wir mit allen Ländern am gleichen Strang ziehen. Die | |
Länder, die die industrielle Revolution angeschoben haben, sollten | |
vorangehen und als Erste deren Fehler korrigieren. | |
Wir halten fest: Die Lage ist so, dass ein durch und durch rational und | |
wissenschaftlich denkender Naturwissenschaftler wie Sie an Wunder glauben | |
muss. | |
Wir müssen um jedes Zehntelgrad Celsius weniger Erwärmung kämpfen. Und wenn | |
sich das jenseits von 1,5 oder auch irgendwann vielleicht jenseits von 2 | |
Grad Erwärmung abspielt, dann muss man trotzdem weiterkämpfen, um noch mehr | |
Schäden und Leiden zu verhindern. Klimaschutz ist letztlich von | |
existenzieller Bedeutung für Mensch und Natur und deshalb alternativlos. | |
3 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /CO2-Verpressung-unter-dem-Meer/!5909292 | |
[2] /Neuer-Klimabericht-des-IPCC/!5920074 | |
[3] /Pestizidverbote-und-mehr-Artenvielfalt/!5932864 | |
[4] /Kampf-um-Kohledorf/!5903043 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Bundesregierung | |
Ampel-Koalition | |
Klimaschutzziele | |
Naturwissenschaft | |
klimataz | |
Vermieter | |
Wir retten die Welt | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Hamburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Haus & Grund in Hannover: Vermieter-Verband voll auf AfD-Kurs | |
In Hannover nutzt der Haus-&-Grund-Vorsitzende die Mitgliederzeitschrift, | |
um AfD-Positionen zu propagieren – und kaum jemanden scheint das zu stören. | |
Verteilungskämpfe in der Verkehrspolitik: Wohin geht das Geld? | |
Wer auf dem Rad unterwegs ist, merkt, dass Platz und Ressourcen endlich | |
sind. Diese Erkenntnis sollten wir auch auf andere Bereiche übertragen. | |
Klimaethikerin zur Überforderung: „Wir sollten mehr tun“ | |
Viele Menschen fühlen sich von Klimaschutzmaßnahmen überfordert. Die | |
Klimaethikerin Kirsten Meyer erklärt, warum wir uns etwas abverlangen | |
sollten. | |
Verhandlungen zur Emissionsminderung: Warschauer Pakt in der Klimakrise | |
Im nächsten Jahr soll die UN-Klimakonferenz in einem früheren Ostblockstaat | |
stattfinden – trotz Krieg in der Ukraine. Die Standortwahl wird schwierig. | |
Gesundheitsrisiken durch Klimawandel: „Wir sind darauf nicht vorbereitet“ | |
Der Klimawandel bringt Hitze und Infektionserreger mit sich. Das bedeutet | |
erhöhte Gesundheitsrisiken auch für die Menschen hierzulande. |