# taz.de -- Zugänglichkeit von Sprache: Klare Worte | |
> Es gibt viele Konzepte, um Sprache verständlich zu gestalten. Doch auch | |
> Rechtspopulisten nutzen einfache Sprache längst für ihre Zwecke. | |
Bild: Aus Bernie Sanders Mund kommt das Vokabular von 15-Jährigen, aus Trumps … | |
BERLIN taz | [1][Albert Einstein] soll einmal gesagt haben: „Wenn man es | |
keinem sechsjährigen Kind erklären kann, hat man es selbst nicht | |
verstanden.“ Vieles von dem, was wir in der Zeitung lesen oder in den | |
Nachrichten hören, würde den Sechsjährigen-Test wohl nicht bestehen: zu | |
viele Fachwörter, zu viel vorausgesetztes Wissen, komplizierte | |
Satzstrukturen. Seit einigen Jahren wird verstärkt darüber diskutiert, wie | |
Geschriebenes und Gesagtes vereinfacht werden kann, um so viele Menschen | |
wie möglich zu erreichen. | |
Am prominentesten unter diesen Versuchen ist die [2][Leichte Sprache]. Sie | |
soll Menschen mit Behinderung, Migrant:innen, Menschen mit Leseschwäche | |
oder [3][älteren Menschen] die Teilhabe am kommunikativen Prozess | |
erleichtern. | |
In Deutschland durchgesetzt hat sich ein Konzept mit umfassendem Regelwerk, | |
formuliert durch das Netzwerk Leichte Sprache. Danach werden etwa | |
Nebensätze und Genitiv vermieden, Fachwörter erklärt, Bebilderungen genutzt | |
und lange Wörter getrennt. Außerdem dürfen besonders lange Wörter mit einem | |
Strich oder Punkt unterteilt werden. | |
Wer sich beim Schreiben an diese Regeln hält und den Text anschließend von | |
Angehörigen der Zielgruppe gegenlesen lässt, darf dafür das Siegel des | |
Netzwerks verwenden. Neben der Leichten Sprache besteht das Konzept der | |
Einfachen Sprache – hier dürfen die Sätze etwas komplexer sein, und auch | |
Bilder sind nicht zwangsläufig nötig. Mittlerweile finden sich Texte in | |
Leichter Sprache auf Behörden-Websites, in Wahlprogrammen und einigen | |
Medien. | |
## Kritik von wissenschaftlicher Seite | |
Die von Deutschland ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention fordert | |
vollen Zugang zu Kommunikation und damit verbunden die Übersetzung von | |
Texten in „einfache Sprache“ – konkrete Regeln sind hier natürlich nicht | |
enthalten. Von wissenschaftlicher Seite wird kritisiert, dass die einzelnen | |
Vorgaben des umfassenden Regelwerks der Leichten Sprache empirisch teils | |
nicht oder nicht ausreichend belegt sind – beispielsweise zeigen | |
Forschungsergebnisse, dass Nebensätze nicht pauschal schwer verständlich | |
sind. | |
Die Zielgruppen, die sich die Leichte Sprache auf die Fahnen schreibt, sind | |
schlichtweg zu unterschiedlich, als dass einheitliche Regeln angebracht | |
wären. In der Praxis sollte das Hauptaugenmerk deshalb stets auf einem | |
möglichst zielgruppengerechten Schreiben liegen. | |
Wissenschaftliche Kritik an Aspekten der normierten Leichten Sprache soll | |
aber nicht als Ablehnung einer vereinfachten Sprache insgesamt verstanden | |
werden. Eine solche bringt unzähligen Menschen mehr Teilhabe: | |
Arbeiter:innenkinder, die den Weg an die Universität genommen haben, fühlen | |
sich in der akademischen Sprachwelt oft ausgeschlossen. | |
Das hinterlässt nicht nur ein ungutes Gefühl, sondern kann handfeste | |
Nachteile mit sich bringen. Arbeiter:innenkinder beteiligen sich | |
beispielsweise weniger an Seminardiskussionen. Das bedeutet, dass sie ihre | |
Leistungsfähigkeit weniger zur Schau stellen und entsprechend seltener als | |
Hilfskräfte eingesetzt werden oder sich selbst als Kandidat:innen für | |
eine Promotion begreifen. Sprache hat zweifellos das Potenzial, | |
auszugrenzen, Zugehörigkeiten zu schaffen oder abzuerkennen. | |
## Gendern allein macht Texte nicht komplizierter | |
Wer nicht ausgrenzen möchte, bemüht sich neben verständlichen Worten oft | |
auch um diskriminierungssensible Sprache. Was aber, wenn diese beiden | |
Ansprüche kollidieren? Viele Menschen wissen mit Anglizismen wie Ableismus | |
oder People of Color nichts anzufangen; und Bildschirmleseprogramme, auf | |
die viele Menschen angewiesen sind, gehen mit den verschiedenen Arten des | |
Genderns unterschiedlich gut um. | |
Einfache Lösungen gibt es hier nicht. Es gilt, eine gute Balance zu finden, | |
die sich beiden Ansprüchen möglichst weit nähert. Dabei ist eine | |
diskriminierungssensible Schreibe aber gerade nicht als Hindernis, sondern | |
als weiterer Schritt zur Berücksichtigung unterschiedlichster Menschen zu | |
betrachten. Von Gegner:innen des Genderns kommt oft der Vorwurf, es | |
würde einen Text für viele Menschen unzugänglich machen. Die | |
Antidiskriminierungsstelle des Bundes nutzt den Genderstern unter | |
Berücksichtigung von Studien und auf Grundlage von Empfehlungen von | |
Selbstvertretungsverbänden. | |
Darüber hinaus stellt sich die Frage: macht das Gendern allein einen Text | |
wirklich kompliziert? Es gibt so viele mögliche Fallstricke, dass | |
Doppelpunkt oder Sternchen nicht den entscheidenden Unterschied machen. | |
Ungeachtet dessen gehört zur Balance auch, im Rahmen des Möglichen alles | |
für eine noch bessere Verständlichkeit zu tun. Fachbegriffe und neue | |
Ausdrücke können erklärt oder gar zum eigenständigen Thema gemacht werden. | |
Medien können eine gewisse Anzahl an Artikeln in Einfacher Sprache | |
bereitstellen und in komplexen Texten zumindest an einigen Stellschrauben | |
drehen. Im konstruktiven Dialog lässt sich gut darüber nachdenken, ob es | |
für Anglizismen gute deutsche Entsprechungen geben kann oder was sich als | |
Alternative anbietet. Leider wird die diskriminierungssensible Sprache von | |
ihren Gegner:innen aber oft so rundheraus abgelehnt, dass es nicht übers | |
Bashing hinausreicht. | |
## Der Mehrwert von Unterkomplexität | |
Während sich die einen Gedanken darüber machen, wie sie einfach schreiben | |
und dabei möglichst viele und differenzierte Informationen transportieren | |
können, suchen die anderen gezielt nach dem Mehrwert der Unterkomplexität. | |
Spätestens seit Donald Trump und den Tiraden der AfD ist uns bewusst, wie | |
einfache Worte und undifferenzierte Darstellungen eingesetzt werden können. | |
Ein psychologisches Forschungsteam der Universität von Austin konnte durch | |
Auswertung der Sprechweise ehemaliger US-Präsidenten bestätigen, dass sich | |
Wähler:innen „vermehrt zu Führungsfiguren hingezogen fühlen, die | |
schwierige, komplexe Probleme durch intuitive, selbstbewusste Antworten | |
einfacher werden lassen“. Studien zufolge nutzt Donald Trump das Vokabular | |
von 12-jährigen, Bernie Sanders hingegen das von 15-jährigen | |
Heranwachsenden. Unabhängig vom Inhalt, den die beiden vermitteln möchten, | |
lässt sich also sagen, dass man Trump einfacher versteht als Sanders. | |
Überlässt man also den rechten Populist:innen die klaren Worte, werden | |
sehr viele Menschen nur mit deren Version der Wahrheit versorgt. Zugegeben: | |
In einer Welt voller Informationen über vielschichtige Problemlagen ist es | |
nicht leicht, diese einfach darzustellen. Und doch zeigen immer wieder | |
Projekte, dass es geht. | |
Sham Jaff schreibt seit 2014 den Newsletter „what happend last week?“ und | |
erklärt darin, was in der vergangenen Woche in Ländern los war, die es | |
häufig nicht in die Tagesthemen schaffen. Um möglichst viele Menschen | |
weltweit zu erreichen, sind die Texte auf Englisch – doch obwohl es sich um | |
komplexe politische Themenfelder handelt, gelingt es der Journalistin, für | |
alle verständlich zumindest einen Überblick über die jeweilige Situation zu | |
schaffen. | |
Und wer denkt bei einfach erklärten Nachrichten nicht gerne an die | |
Kindersendung „logo!“, in der komplizierte Themen so weit heruntergebrochen | |
und illustriert werden, dass jede:r mitkommt. Sollen wir nun alle | |
Kindernachrichten schauen? Wer möchte, gerne! Doch auch für alle anderen | |
sollte es mehr Angebote geben, die komplexe Themen gut erklären und kein | |
umfangreiches Fachwissen voraussetzen. Dass die Donalds und Bilds dieser | |
Welt am besten verstanden werden, wirkt schließlich jedem solidarischen | |
Miteinander entgegen. | |
13 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Nadja Kutscher | |
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