# taz.de -- Kriegsgeschichte in Norditalien: Kompliziertes Gedenken in Triest | |
> Die Wendungen der Geschichte sind im italienischen Triest zahlreich, | |
> mitunter bizarr. Ein Besuch in einer Stadt zwischen K.-u.-k. und | |
> Ex-Jugoslawien. | |
Bild: Blick auf den Hafen von Triest 1936, die Italianisierung dort lebender Sl… | |
Das Café San Marco ist eines der letzten K.-u.-k.-Kaffeehäuser in Triest. | |
Seine Innenausstattung atmet Jugendstil. Versonnen trinkt man „Il Capo in | |
B“, die Triester Kaffeespezialität, in dem Café, das am Vorabend des Ersten | |
Weltkriegs zu einem Haupttreffpunkt der Irredentisten wurde. So nannte sich | |
eine kleine, aber aggressive Gruppe von Triester Intellektuellen, die | |
überzeugt waren von der „Italianitá“ der Stadt und wortgewaltig für den | |
Anschluss Triests ans „Mutterland“ eintraten. | |
In einer Stadt, in der das Umland seit Jahrhunderten slowenischsprachig war | |
und die Stadtbevölkerung sprachlich heterogen. In der es am Anfang des 20. | |
Jahrhunderts gut zwei Dutzend Tageszeitungen in gut einem Dutzend Sprachen | |
gab. In dieser prosperierenden multikulturellen K.-u.-k.-Hafenmetropole | |
gründete sich Ende des 19. Jahrhunderts die Lega Nazionale, die sich die | |
„Verteidigung der italienischen Sprache und Kultur“ auf die Fahnen schrieb. | |
Die Wendungen der Geschichte sind hier zahlreich, mitunter sogar bizarr. | |
1918, als Folge des Ersten Weltkriegs, wird Triest italienisch. Um 1943, in | |
der Endphase des Zweiten Weltkriegs, zum NS-Territorium, um nach 1945 zur | |
Hauptstadt eines landkreisähnlichen Freistaates unter britischer | |
beziehungsweise US-Verwaltung zu werden. 1954 wird im Zentrum auf der | |
großen Piazza zwischen Rathaus und Adria die als „Rückkehr zum Mutterland“ | |
zelebrierte Eingliederung der Stadt in den italienischen Staatsverband | |
gefeiert. | |
Die Lega Nazionale gibt es heute noch. Sie ist ziemlich aktiv. Zum Beispiel | |
in Basovizza, einem Dorf auf dem Karst, nördlich von Triest. Die | |
Beschilderung im Ort ist inzwischen zweisprachig. Denn die Bevölkerung ist | |
hier oft slowenischsprachig. Und die Grenze zu Slowenien ist nur vier | |
Kilometer entfernt. Am Dorfrand gibt es einen Gedenkort. Auf der Mauer des | |
umfriedeten Geländes steht „Foiba di Basovizza“. Das slowenische Äquivale… | |
fehlt. Wie überhaupt in der gesamten Gedenkstätte. Denn sie wird von der | |
Lega Nazionale betrieben. Es ist die offizielle Gedenkstätte, um der Opfer | |
der 40 Tage dauernden jugoslawischen Besatzung Triests im Mai und Juni 1945 | |
zu gedenken. | |
Anfang der Nullerjahre haben hier staatliche Institutionen wie die Triester | |
Hafenpolizei und die Carabinieri Gedenksteine zur Erinnerung an die Opfer | |
aus den eigenen Reihen aufstellen lassen. Eine riesige Stahlplatte verdeckt | |
die Foibe, eine Karstschlucht, in der entsorgtes Kriegsgerät aus dem Ersten | |
Weltkrieg liegt, in der sich aber auch die Leichen von italienischen | |
Staatsbediensteten befinden, die im Frühsommer 1945 von Tito-Partisanen | |
erschossen wurden. | |
## Kugelschreiber und Fahnen mit Lega-Emblem | |
Gerade führt ein Mann mit Glatze seinen Hund an den Gedenksteinen vorbei. | |
Er winkt dem Lega-Nazionale-Vertreter zu, der aus dem Ausstellungspavillon | |
tritt. Man kennt sich. Im Pavillon werden Kugelschreiber und Fahnen mit | |
Lega-Emblem und von ihr herausgegebene Broschüren zur jugoslawischen | |
Besatzung Triests angeboten. Davon handelt auch die Ausstellung. Die | |
Vorgeschichte der Vergeltungsaktionen findet hier keine Erwähnung. | |
So hat sich Italien nach 1918 im Zuge der Neuordnung Europas das | |
gemischtsprachige Istrien (heute überwiegend slowenisches und kroatisches | |
Staatsgebiet) sowie Teile Dalmatiens (heute Kroatien) unter den Nagel | |
gerissen, und der faschistische Diktator Benito Mussolini hat gerade hier | |
und in der traditionell vielsprachigen ehemaligen K.-u.-k.-Hafenstadt | |
Triest in den 1920er und 1930er Jahren die Zwangs-Italianisierung durch das | |
Verbot des Slowenischen/Kroatischen und der Auflage, nicht italienisch | |
klingende Familiennamen zu ändern, brachial durchgesetzt. | |
1941 besetzt [1][das faschistische Italien] etwa die slowenische Stadt | |
Ljubljana und riegelt sie im Jahr darauf sogar komplett ab. Auf der Suche | |
nach slowenischen Partisanen durchkämmen italienische Soldaten regelmäßig | |
das von Stacheldraht und Wachtürmen umgebene Stadtgebiet. | |
Nach der italienischen Kapitulation im September 1943 wird die Gegend um | |
Triest zum Adriatischen Küstenland, einem NS-Satellitenstaat, in dem | |
italienische Staatsdiener bis zum April 1945 bereitwillig mit Gestapo und | |
SS kollaborieren. In einer ehemaligen Reismühle von Triest wird im Herbst | |
1943 das berüchtigte KZ Risiera di San Sabba errichtet. Für Juden ist es | |
eine Durchgangsstation vor der Deportation in die Vernichtungslager. Slawen | |
werden in der Regel vor Ort ermordet. | |
Das Gelände des KZ Risiera di San Sabba ist bereits seit Mitte der 1970er | |
Jahre eine von der Stadt Triest unterhaltene Gedenkstätte. Das nicht mehr | |
vorhandene Krematorium ist durch eine Wasserfläche markiert. In der | |
Ausstellung werden alte Filmaufnahmen gezeigt. Die älteste ist von 1938. | |
Darin verkündet Mussolini auf der Piazza dell’Unitá d’Italia, dem großen | |
Stadtplatz Triests direkt am Meer, vor einer jubelnden Menge die | |
Rassengesetze. Tonaufnahmen mit KZ-Überlebenden sind meist aus dem Jahr | |
1976. Sie entstanden seinerzeit im Laufe der Prozesse gegen zwei | |
Lagerverantwortliche, die SS-Leute Dietrich Allers und Josef Oberhauser. | |
## Das Museumsprojekt scheitert bei Politik und Institution | |
Da war Diego de Henriquez schon nicht mehr am Leben. Einige Exzerpte seiner | |
Tausende Seiten umfassenden Tagebücher werden in der Ausstellung digital | |
aufgeblättert. Henriquez stirbt am 2. Mai 1974 im Alter von 65 Jahren in | |
Folge eines Brandes in der Lagerhalle, in der er neben dem Kriegsgerät, das | |
er über Jahrzehnte erworben hatte, schläft. Seit Kriegsende 1945 hatte | |
Henriquez versucht, seine Idee umzusetzen, mit dem Kriegsgerät ein Museum | |
über den Krieg und für den Frieden zu errichten. Immer wieder scheitert er | |
an mangelnder Unterstützung durch Politik und Institutionen. | |
Und dann brennt die Lagerhalle. Brandstiftung wird nie ausgeschlossen. Denn | |
Henriquez war auf dem Gelände des ehemaligen KZ Risiera di San Sabba, bevor | |
die Wände in den Zellen übertüncht wurden. In seinen Tagebüchern hatte er | |
alles notiert, was ehemalige Häftlinge in die Wände einritzten. Auch die | |
Namen von nicht wenigen Denunzianten. Diese Seiten des Tagebuchs sind nie | |
aufgetaucht. | |
1976 wurde zwar der Prozess gegen deutsche Verantwortliche der Massaker | |
geführt, nicht aber gegen die italienischen Kollaborateure vor Ort. Wenn | |
man heute mit der Triester Buslinie 18 bis zur Endhaltestelle fährt, kommt | |
man zu einer alten K.-u.-k.-Backsteinkaserne und einer neuen Lagerhalle, in | |
der das städtische „Museum Diego de Henriquez über den Krieg für den | |
Frieden“ untergebracht ist. 25 Jahre hatte es nach Henriquez’ Tod noch | |
gedauert, bis sein Lebensprojekt 1999 verwirklicht wurde. | |
Aber nur zum Teil. Ausgestellt sind bis jetzt lediglich Groß- und | |
Kleinwaffen aus dem Ersten Weltkrieg. Und italienische und österreichische | |
Plakate, die ab 1914 mehr oder weniger aggressiv zu Kriegsanleihen | |
aufrufen. In großen Diagrammen werden getötete Soldaten und Zivilisten, die | |
Verurteilung von Deserteuren durch Kriegsgerichte oder die Produktion von | |
Uniformen dargestellt. | |
## Eine Menschheit, die gegen sich selbst arbeitet | |
Eine kluge Dramaturgie ergänzt die Diagramme um Fotos und Gegenstände. | |
Alles handelt von den Kämpfen zwischen Italien und Österreich im Ersten | |
Weltkrieg, die in dieser Region besonders heftig waren. Soldaten stehen vor | |
Schützengräben im schneebedeckten Karst, sind am Isonzo, haben Gasmasken | |
auf. Die Begleittexte, die thematisch auf Propaganda, [2][Kommunikation | |
zwischen Schützengraben und Heimatdorf], Lazaretten und anderes mehr | |
eingehen, sind aus einer einzigartigen Vogelperspektive geschrieben. | |
Sie hebt auf den Aspekt ab, was der Krieg, der von Menschen ausgelöst wird, | |
mit ihnen macht. Und wie es möglich sein kann, dass die Menschheit mit so | |
viel Energie gegen sich selbst arbeitet. So steht man komplett fassungslos | |
in dieser Lagerhalle. Betrachtet die Skoda-Haubitzen, eine Pontonbrücke, | |
den Fiat-Lazarettwagen und die unförmigen Gasmaskenbehälter. Und versucht | |
sich vorzustellen, wo die Menschheit jetzt wohl zivilisatorisch wäre, wenn | |
all die destruktive Energie eine produktive Verwendung gefunden hätte. Und | |
ein paar Kilometer weiter, in Basovizza, instrumentalisiert die Lega | |
Nazionale einen wichtigen historischen Ort für die eigene nationalistische | |
Ideologie. | |
4 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Katja Kollmann | |
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