# taz.de -- Wagner-Aufstand in Russland: „Putin ist verwundbar“ | |
> Nach dem Wagner-Aufstand in Russland fordert der Vorsitzende des | |
> Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, mehr Einsatz der Nato-Staaten in | |
> der Ukraine. | |
Bild: Wagner-Aufstand: Gesichtsverlust für den russischen Präsidenten Putin? | |
taz: Herr Roth, welche Bedeutung hat der [1][Aufstand der Wagner-Gruppe] | |
für den russischen Präsidenten Putin? | |
Michael Roth: Eine immense. Putins Stärke besteht vor allem darin, | |
allumfassend herrschen und bestimmen zu können. Dieser absolutistische | |
Anspruch ist in den vergangenen Tagen massiv ins Wanken geraten. Man hat | |
ihm vor der Weltöffentlichkeit und vor der russischen Öffentlichkeit | |
Schranken und Grenzen aufgezeigt. Putin hat den Menschen in seinem Land | |
versprochen – bei allen Problemen, die Russland hat – Sicherheit und | |
Ordnung zu garantieren. Auch dieses Versprechen ist brüchig geworden. Denn | |
die Russinnen und Russen haben gesehen, dass Stabilität im eigenen Land | |
keine Selbstverständlichkeit mehr ist. | |
Würden Sie sogar von einem Gesichtsverlust Putins sprechen? | |
Es ist ein dramatischer Gesichtsverlust. Der absolutistische Herrscher hat | |
seine Schwächen gezeigt. Er hat erst schwerste Konsequenzen für Prigoschin | |
angekündigt, die er dann wieder zurückziehen musste. Und die Lage hat | |
gezeigt: Wenn Putin sich massiv unter Druck sieht, ist er zu Verhandlungen | |
bereit. | |
Hat Sie diese Wendung überrascht? | |
Ja, wie viele andere auch. Mir schien, Prigoschin hatte Narrenfreiheit, die | |
ihm Provokationen und Beschimpfungen der Machtelite erlaubt. Über dieses | |
Recht verfügt niemand in dieser Diktatur – wer das wagt, kommt ins | |
Gefängnis, wird vergiftet oder kommt anderweitig zu Tode. Zum Bruch mit | |
Putin kam es wohl erst vor wenigen Tagen, als Prigoschin die Propaganda | |
Putins zum Ukraine-Krieg als Märchen darstellte. | |
Wie schätzen Sie die Stabilität Russlands in der aktuellen Lage ein? | |
[2][Putin und sein Herrschaftssystem sind instabiler, als viele von uns | |
meinten.] Es könnte durchaus sein, dass das Problem Putin sich nicht erst | |
durch sein eigenes Wegsterben löst, sondern schon früher. | |
Welche Rolle spielt der belarussische Präsident Lukaschenko? | |
Er ist ein Vasall Putins. Dass Putin auf seine aktive Mithilfe angewiesen | |
ist, um ihm eine mögliche Niederlage und ein größeres Blutvergießen in | |
Russland zu ersparen, ist schon ein erhebliches [3][Zugeständnis gegenüber | |
Lukaschenko]. Auch er wird vermutlich gestärkt hervorgehen, denn er hat | |
deutlich gemacht: Putin braucht mich, wenn es hart auf hart kommt. Das ist | |
ein völliges Novum. | |
Kanzleramt und Auswärtiges Amt halten sich derzeit bedeckt. Was ist Ihrer | |
Meinung nach seitens der Bundesregierung nun zu tun? | |
Es war und ist richtig sich eng mit den internationalen Partnern | |
abzustimmen, um nicht den Eindruck zu erwecken, als sei das ganze eine vom | |
Ausland organisierte Umsturzkampagne gegen Putin. Denn das hätte wiederum | |
seine eigenen Lügenmärchen genährt, die er seiner verunsicherten | |
Bevölkerung auftischt. Die Zurückhaltung war in diesem Moment richtig. | |
Und jetzt? In rund zwei Wochen kommen die Staats- und Regierungschefs zum | |
[4][Nato-Gipfel in Vilnius] zusammen. | |
Die NATO-Staaten müssen in einer konzertierten Aktion noch mehr an Waffen, | |
Munition und Ersatzteilen für die Ukraine zur Verfügung stellen, als das | |
bislang geplant war. Wir müssen uns in der NATO alle in die Augen schauen | |
und uns fragen, was wir noch tun können? Einige Länder, dazu gehört auch | |
Deutschland, sind momentan am Limit. Die Frage ist doch, ob | |
NATO-Bündnisverpflichtungen, etwa im Baltikum, weiter eingehalten werden | |
sollen oder es momentan wichtiger ist, unser Engagement in der Ukraine | |
abermals zu verstärken. Dort wird gerade unsere Freiheit und Sicherheit | |
verteidigt. Derzeit scheint mir alles möglich zu sein. Die Stabilität, die | |
wir für Russland immer vorhergesagt haben, ist ins Wanken geraten. | |
Setzten Sie auf den Einfluss Chinas? | |
Die Lage war für China bisher sehr kommod. Erstens, weil sich die ehemalige | |
Supermacht Russland vor allem wirtschaftlich in die Arme Chinas begeben | |
hat. Zweitens, weil dieser furchtbare Krieg in den USA und in Europa in | |
hohem Maße Kapazitäten bindet. Drittens, gewinnt Russland den Krieg gegen | |
die Ukraine, könnte das für China eine [5][Blaupause für die militärische | |
Lösung eigener Konflikte] sein, vor allem gegenüber Taiwan. Aber China | |
hasst Chaos, Unordnung und Unsicherheiten in der Nachbarschaft. China kann | |
also wirklich nicht glücklich sein über die jüngsten Entwicklungen. | |
Ihre Prognose für die Ukraine? | |
In der [6][Ukraine ist jetzt kein Jubelgeschrei ausgebrochen], man hat sich | |
klugerweise sehr zurückgehalten. Meine Vermutung ist: Putin wird gegen die | |
Ukraine weiter mit unverminderter Härte vorgehen. Aber er ist verwundbar. | |
Dieser verbrecherische Krieg, den er angezettelt hat, ist das Ende von | |
Putin. Wann dieses Ende genau eintritt, das kann aber derzeit noch keiner | |
sagen. | |
25 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
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