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# taz.de -- Mieträder-Anbieter Nextbike: Next Betriebsratsgründung
> Beim Radverleiher Nextbike soll ein Betriebsrat gewählt werden. Die
> Übernahme durch das E-Roller-Start-up Tier einen ersten Versuch zunichte
> gemacht.
Bild: Dominoeffekt Betriebsratsgründung
Berlin taz | Sehr vorsichtig agieren die aktiven Beschäftigten des
[1][Bike-Sharing-Anbieters Nextbike] vor ihrer geplanten Betriebsratswahl
am Mittwoch. Es ist nicht der erste Versuch der Angestellten, sich zu
organisieren – und diesmal soll es wirklich klappen. Selbst die
Kontaktaufnahme mit der taz läuft über ein Vorgespräch beim
[2][Arbeitsrechtsanwalt Martin Bechert]. Er hat in der Vergangenheit einige
Organisierungsprojekte von Beschäftigten in der Berliner Start-up-Szene
betreut, etwa beim Essenlieferanten [3][Gorillas]. Viele der Engagierten
vertrauen ihm. So auch die siebenköpfige Initiatorengruppe von Nextbike.
Einer von Ihnen ist Erik. Er will unerkannt bleiben, um der
Arbeitgeberseite keine Angriffsfläche zu bieten, wie er sagt. Seit mehr als
drei Jahren wartet er als Servicemitarbeiter die Räder. Das Interesse an
der Gründung eines Betriebsrates unter den Angestellten ist groß: 36 aller
43 Wahlberechtigten der vier Berliner Standorte kamen zur letzten
Betriebsversammlung, auf der der Wahlvorstand gewählt wurde.
Das ursprünglich aus Leipzig stammende Unternehmen Nextbike, das vom Senat
gefördert wurde, um eine Flotte in der ganzen Stadt aufzustellen, wurde im
Oktober vergangenen Jahres vom Berliner Start-up Tier Mobility übernommen.
Tier ist im Berliner Stadtbild vor allem durch die türkisfarbenen E-Scooter
präsent. Dagegen wirken die silbernen, unmotorisierten Räder von Nextbike,
die nur an festen Stationen entliehen und geparkt werden können, fast
unscheinbar.
Für die Beschäftigten hat sich seit der Übernahme vieles verschlechtert,
sagt Erik. Die familiären Atmosphäre, in der die Interessen der
Beschäftigten berücksichtigt wurden, sei einer anonymen Arbeitskultur
gewichen. „Und das fühlt sich auch irgendwie so gewollt an.“ Zudem hätten
übliche und auch für 2023 zugesagte Lohnrunden sowie eine Angleichung der
Löhne an die der Tier-Angestellten nicht stattgefunden. Das Einstiegsgehalt
für Servicekräfte liegt bei 2.400 Euro brutto.
## Schon wieder ein Verkauf?
Jüngste Berichte über eine mögliche Übernahme von Tier durch den
Konkurrenten Bolt, einen E-Scooter-Anbieter mit Sitz in Estland,
beunruhigen die Angestellten zusätzlich: „Die Verhandlungen mit Bolt
signalisieren, dass mit den Löhnen nichts mehr passieren wird“, sagt Erik.
Aufgrund seiner Wirtschaftlichkeit sei Nextbike eigentlich als
Unternehmensbestandteil zu wichtig, als dass in naher Zukunft eine
Abwicklung drohen würde, sagt Erik; „Aber aufgrund der Unwägbarkeiten haben
wir das Vorhaben Betriebsrat lieber forciert, bevor es wieder zu spät ist.“
Denn das war es schon einmal: Kolleg:innen vom Nextbike-Unternehmenssitz
in Leipzig hatten vergangenes Jahr schon einmal eine Wahl angestrebt, und
zwar für bundesweit alle knapp 450 Mitarbeitenden. Doch zwei Wochen vor der
finalen Wahl war der Betriebsübergang von Nextbike zu Tier besiegelt. Die
Geschäftsführung hatte zuvor bereits eine einstweilige Verfügung gegen die
Wahl bei Gericht beantragt, laut eigener Aussage, um „zu einer neutralen
rechtlichen Einschätzung“ sowie „einem Konsens mit dem Wahlvorstand“ zu
gelangen.
Die Unsicherheit, ob ein für Nextbike gewählter unternehmensübergreifender
Betriebsrat auch bei Tier noch Bestand hätte, wurde vom Wahlvorstand
geteilt. Dieser war jedoch der Ansicht, dies nach erfolgter Wahl zu prüfen,
und sah in den vorab erfolgten rechtlichen Schritten der Geschäftsführung
„einen massiven Angriff“ und „den Versuch, die rechtmäßige Wahl eines
Betriebsrats zu verhindern“.
Zu diesem Vorgang wollten weder Tier noch Nextbike Stellung nehmen. Eine
Nextbike-Sprecherin erklärte: „Innerhalb der Tier Mobility wird es genauso
wie vormals bei Nextbike GmbH begrüßt, wenn sich die Mitarbeiter*innen
einbringen und für das Unternehmen engagieren.“
Dass eine Unternehmensführung erklärt, im Sinne der Beschäftigten zu
handeln, und gleichzeitig gerichtlich gegen Organisierungsbestrebungen
vorgeht, ist kein Einzelfall. Innerhalb der Start-up-Szene hat sich ein
Betriebsklima entwickelt, in dem Beschäftigte de facto davon ausgehen
müssen, beim Einsatz für ihre Interessen behindert zu werden oder gleich
ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Immer wieder kommt es zu
Betriebsratsinitiativen, in deren Verlauf die Arbeitgeber das
Arbeitsgericht anrufen. Dazu kommt: Auch die Beschäftigten selbst wüssten
nicht genau, was ein lokaler Betriebsrat in einem europaweit tätigen
Unternehmen leisten kann, wie Erik sagt.
Eine erfolgreiche Wahl wäre ein Beitrag zu einer Branchenkultur, in der
Beschäftigte den Angriffen der Arbeitgeber trotzen. Andererseits werden
auch eingerichtete Betriebsräte mitunter derart von Arbeitgebern
beschäftigt und in rechtliche Auseinandersetzungen verstrickt, dass sie
kaum ihren eigentlichen Zweck erfüllen können.
## Kein Interesse bei Verdi
Dass Betriebsräte in ihrer Handlungsmacht begrenzt und auf eine gewisse
Akzeptanz seitens der Arbeitgeber angewiesen sind, ist auch den Aktiven bei
Nextbike klar. Erik erklärt, sie hätten daher versucht, Kontakt zu der
Gewerkschaft Verdi aufzunehmen. Dort habe sich aber niemand zuständig
gefühlt. Auch für eine Anfrage der taz war kein Ansprechpartner für
Arbeits- und Organisationsbedingungen in dieser Branche verfügbar.
Unterstützung bekamen die Initator:innen der Betriebsratsgründung von
einer mittlerweile etablierten Vernetzung engagierter Beschäftigter und
Betriebsratsmitglieder um Unternehmen wie Gorillas und dem mittlerweile
gescheiterten Dropp. „Es war ein Glück, dass es diese wertvolle Vernetzung
gab“, sagt Erik. „Hoffentlich geht die Wahl diesmal gut und sicher über die
Bühne.“ Wenn es gelingt, wollten sie ihrerseits engagierte
Arbeiter:innen anderer Standorte und andere Firmen aus dem Milieu
unterstützen.
Das 2004 gegründete Nextbike hat nach Angaben der Senatsverkehrsverwaltung
6.200 Fahrräder im Einsatz. Das Land Berlin bezuschusst das Unternehmen mit
jährlich 1,5 Millionen Euro. Der im nächsten Jahr auslaufende Vertrag soll
noch in diesem Jahr neu ausgeschrieben werden. Die Nachfrage nach dem
Angebot von Nextbike ist zuletzt gewachsen. Eine Sprecherin gab gegenüber
der taz an, dass 2022 1,1 Millionen Ausleihen verzeichnet wurden, 2023
waren es bisher bereits knapp 800.000.
Das Mutterunternehmen Tier, eine Aktiengesellschaft, ist seit der Gründung
2018 auf Fremdkapital angewiesen. Laut einem Sprecher habe man bei dem
Vorhaben, noch dieses Jahr profitabel zu werden, „hervorragende
Fortschritte“ gemacht. Mit diesem Ziel wurde zuletzt auch die Entlassung
von 180 Beschäftigten – 16 Prozent der Belegschaft – begründet. Den im Ra…
stehenden Verkauf an den Konkurrenten Bolt wollte man nicht kommentieren.
5 Jul 2023
## LINKS
[1] /Mietraeder-mit-Landesfoerderung/!5603901
[2] /Interview-mit-Arbeitsrechtsanwalt/!5865998
[3] /Massenentlassungen-bei-Gorillas/!5856794
## AUTOREN
Christian Lelek
## TAGS
E-Roller
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Betriebsrat
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Verkehrswende
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Nextbike
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